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Eilenberger: Der Nationalelf fehlt es an Charakteren

Die derzeitige Nationalelf sei "eine erschreckend wohlerzogene Truppe", sagt der Chefredakteur des Philosophie-Magazins Wolfram Eilenberger. Es fehle dieser neuen Generation an Grundaggressivität und an Charakteren, die große Turniere entscheiden.

Wolfram Eilenberger im Gespräch mit Ferdos Forudastan |
    Ferdos Forudastan: Guten Morgen, Herr Eilenberger!

    Wolfram Eilenberger: Guten Morgen!

    Forudastan: Zählen Sie schon die Stunden bis kommenden Freitag?

    Eilenberger: Ich bin noch nicht in einer ganz heißen Phase der Vorbereitung, also, das ist bei mir immer so zwei, drei Tage bevor es dann los geht. Aber sicher, man denkt daran.

    Forudastan: Sie sind fußballbegeistert, fußballverrückt, wie Millionen anderer Menschen, mehrheitlich männlicher Menschen in diesem Land. Erklären Sie uns das: Was macht dieses Spiel zu so einem Magneten, wie es keine andere Sportart auch nur annähernd schafft? Warum gerade der Fußball?

    Eilenberger: Ich denke, man könnte da fast noch ein bisschen weiter ausholen und fragen: Warum eigentlich Sport? Weil Sport ist ein ganz junges Phänomen, wie wir es kennen. Das ist kaum 120 Jahre alt und diese 120 Jahre sind auch die 120 Jahre des Fußballs. Der Aufstieg des Sportes ging mit dem Fußball einher. Und dann kann man sich natürlich schon fragen: Was hat der Fußball, was andere Sportarten nicht haben. Und ich denke, das erste, was der Fußball ausmacht, ist, dass er ein Zufallsspiel ist, ein Spiel, in dem das meiste nicht gelingt, in dem wir uns scheitern sehen. Und das liegt ganz trivial einfach daran, dass wir den Ball mit einer Extremität behandeln, die dafür gar nicht geschaffen ist, nämlich dem Fuß. Das heißt, man hat sehr viel weniger Kontrolle als mit der Hand beispielsweise. Und man hat auch keinen Schläger oder kein weiteres Gerät, dass die Kontrolle erhöhen könnte. Insofern kann man sagen, das Unvermögen und das Scheitern wird beim Fußball besonders schön sichtbar, weil der Fuß eigentlich gar nicht dafür geschaffen ist, so etwas komplexes wie den Ball zu kontrollieren.

    Forudastan: Das heißt, das Überraschende, wenn ich Sie richtig verstehe, das ist ein ganz wichtiges Moment bei dieser Begeisterung für den Fußball?

    Eilenberger: Ich denke ja. Das ist ja auch immer die Utopie, dass die Kleinen die Großen schlagen können. Und da würde ich schon sagen, dass der Fußball für eine schwächere Mannschaft sehr viel mehr Gewinn- und Durchhaltechancen bietet als andere Sportarten, beispielsweise jetzt der Basketball oder wie das Eishockey, wo man diese Außenseitersiege sehr viel seltener sieht. Und das andere, denke ich was dem Fußball auch eine große Faszination und Stärke verleiht, ist, dass es fast für jede Körperform und –art geeignet ist. Also von 1,55 Meter bis 2,10 Meter kann man im Fußball seine Position finden und kann man im Fußball besonderes leisten. Das heißt, das ist auch wenn Sie so denken, auf die Körperformen hingesehen, ein sehr demokratisches, ein sehr offenes Spiel.

    Forudastan: Aber wenn man jetzt zum Beispiel das Rennen nimmt, oder das Hüpfen, dann kann man auch sagen, das kann man von 1,55 Meter oder sogar noch darunter bis zwei Meter plus ausüben.

    Eilenberger: Das könnte man glaube ich sagen. Aber es ist ja auch so, wenn sie denken, was muss ein Fußballer können: Der muss nicht unbedingt besonders schnell sein. Er muss auch nicht besonders kräftig sein. Also selbst wenn Sie denken, was für ein Körper ist ein Fußballerkörper und welche Eigenschaften muss man haben, das kann man gar nicht so klar sagen. Das heißt, der Fußball lässt für viele Eigenheiten und Nischen seine Freiräume, so dass ich glaube, dass auch viele Menschen sich dazu hingezogen fühlen, weil sie sehen, das kann ich auch ein bisschen und das kann ich auch ein bisschen.

    Das vollständige Gespräch mit Wolfram Eilenberger können Sie mindestens bis zum 3.12.2012 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.