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Ein A, ein C und ein Fis

So langsam wie möglich - diese Tempoanweisung des Komponisten John Cage (1912-1992) zu seinem Orgelkonzert "Organ2/ASLSP" nimmt man in Halberstadt wörtlich: Im September 2001 begann die auf 639 Jahre angelegte Aufführung partiturgemäß mit einer langen Pause, also mit 17 Monaten Stille. Dann folgte im Februar 2003 der erste Ton, weitere kamen hinzu, und jetzt erklang endlich der zweite Akkord.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Claus Fischer |
    Stefan Koldehoff: Ein Schelm, der Böses dabei denkt oder gar an des Kaisers neue Kleider. Wenn man sich die Idee noch einmal vergegenwärtigt, die hinter dem Aufsehen erregenden Halberstädter Orgelkonzert mit dem Namen "Organ2/ASLSP" steckt, dann ist es vor allem eine sehr beruhigende: Die Organisatoren gehen nämlich davon aus, dass es auch im Jahre 2640 in Halberstadt noch eine Orgel gibt und dass sie dann immer noch Musik von John Cage spielen wird. "As slow as possible" - so langsam wie möglich -, das war die einzige Anweisung, die der 1992 gestorbene Musiker, Philosoph, Maler und Literat John Cage zu seiner für die Orgel umgearbeiteten Komposition hinterlassen hat. Zeitsprung: 1361 wurde in Halberstadt die erste Großorgel der Welt gebaut; 639 Jahre später entschied man sich dort, das Cage-Stück so aufzuführen, dass es noch einmal eben diese 639 Jahre lang zu hören sein wird. Los ging es im September 2001 - gleich mit einer 17-monatigen Pause. Dann folgte im Februar 2003 der erste Akkord; nach und nach weitere Töne. Und heute nun kamen wieder drei neue Töne hinzu: ein A, ein C und ein Fis. Eigentlich wollten wir Ihnen diesen großen Moment jetzt vorspielen, das hat technisch nicht geklappt. Claus Fischer aber war Augen- und Ohrenzeuge des Geschehens. Herr Fischer, ein erhebender Augenblick?

    Claus Fischer: Schon ein erhebender Augenblick, weil vor dem eigentlichen Akt des Tonwechsels John Cage selber zitiert wurde, und zwar mit einem sehr interessanten Satz: Die Menschheit muss - sinngemäß -, die Menschheit muss erst wieder das Hören lernen. Es ist eigentlich was, was jeder kann und doch nicht richtig kann. Und den Eindruck hatte man schon, wenn man die Gesichter der Anwesenden betrachtete, das waren also wirklich John-Cage-Enthusiasten, die von München bis Australien hier extra hergekommen sind, um diesen Moment zu erleben, diesen hektischen Moment im Rahmen dieser großen Langsamkeit.

    Koldehoff: Wie genau wurde denn dieser Tonwechsel vollzogen? Da sitzt ja wahrscheinlich kein Organist. Was geschieht da genau alle paar Monate?

    Fischer: Es ist eigentlich ganz simpel: Der Wind, also praktisch die Luft, um die Orgel in Gang zu setzen, der Wind wird elektrisch erzeugt und ist permanent natürlich vorhanden durch einen Stromgenerator. Es werden die Pfeifen dann einfach eingesetzt und dann von der Luft durchströmt. Also das war eigentlich alles. Das waren drei Handgriffe, betätigt von drei Menschen, die jetzt natürlich einen vollkommen neuen Akkord erzeugt haben dadurch.

    Koldehoff: Das heißt also, die Orgel ist eine Art Bausatz? Die gibt es komplett noch gar nicht?

    Fischer: Die Orgel wird in den nächsten schätzungsweise zehn Jahren fertig werden, denn es werden sämtliche Töne, die im Stück vorkommen, innerhalb der nächsten zehn Jahre gebraucht werden. Das heißt, spätestens in zehn Jahren muss der Bausatz dann praktisch komplett sein.

    Koldehoff: Und gibt es denn Manuale? Müssen irgendwie Tasten betätigt werden?

    Fischer: Nein. Da die Töne ja dauerhaft kommen, ist also der Weg eigentlich direkt vom Blasebalg in die Pfeife. Also da braucht man niemanden. Wenn ein Ton geändert wird, wird ja eine Pfeife dann gewechselt.

    Koldehoff: Also unter Umständen auch wieder entfernt?

    Fischer: Genau.

    Koldehoff: Wie sieht es in der Burchardi-Kirche aus? Sitzen dort permanent Leute, hören zu, begreifen das auch als eine meditative Aktion? Sie haben gerade schon gesagt, bei den Tonwechseln reisen die Leute eigens an. Aber wie ist der Alltag in der Burchardi-Kirche?

    Fischer: Also es ist natürlich - ich sag mal - gewöhnungsbedürftig, gerade zu dieser Jahreszeit. Die Burchardi-Kirche ist baulich zwar gesichert, aber innen doch ein - ich sag mal - Sanierungsobjekt, was in nächster Zeit auch passieren soll. Also "Baustelle" wäre vielleicht zu vermessen. Und es ist natürlich im Winter sehr ungemütlich - im Moment sind plus sechs, sieben Grad in der Kirche. Also da ist natürlich außerhalb solcher Aktionen nicht allzu viel Bewegung. Aber wenn man in das Gästebuch schaut, sieht man natürlich, dass also wirklich rund um die Uhr immer wieder Leute kommen, teilweise auch Texte von Cage in das Gästebuch schreiben. Es gibt ganz bewegende Momente, dass also ein amerikanischer Musikstudent, ein Klangstudent aus Harvard, hier sogar übernachtet hat, also sich mit dem Schlafsack neben die Orgel gelegt und die ganze Nacht einen Ton gehört hat. Also es sind schon wirklich Enthusiasten und ich denke, also des Kaisers neue Kleider, ich denke, das Projekt hat wirklich inzwischen weltweit Fuß gefasst. Und die John-Cage-Gemeinde, die nimmt Notiz.

    Koldehoff: Umgekehrt hat natürlich die Stadt Halberstadt auch einen positiven Effekt von der ganzen Aktion, sie wirbt mit diesem Konzert. Was erleben wir da denn eigentlich? Ist das große, hohe Kultur? Oder ist es vor allen Dingen ein PR-Event? Welchen Eindruck haben Sie?

    Fischer: Also ich habe den Eindruck, dass es eine clevere Mischung ist, muss man sagen. Natürlich profitiert die Stadt Halberstadt und das ist auch kein Zufall, dass der Projektmanager und Federführende in der Stiftung - das Projekt wird durch eine Stiftung betreut - auch der Tourismusmanager der Stadt Halberstadt natürlich ist, der Stadtmarketing-Chef ist. Also da ist eine clevere Verbindung zwischen - ich sage mal, es ist kein Kommerz, es ist - Geschäft, Vermarktung und der Kunst eingegangen worden. Und ich denke, Georg Bandarau, der Chef dieses Unternehmens, ist natürlich selber auch ein ausgebildeter Musiker und bringt die Voraussetzungen mit. Also unter dem Strich würde John Cage wahrscheinlich auch keine Bedenken gegen diese ganze Geschichte haben. Er war ja auch, ihm saß ja auch sprichwörtlich der Schalk des Öfteren im Nacken.

    Koldehoff: Mit der Bitte um kurze Antwort zum Schluss noch die Frage zum Stichwort "Vermarktung": Gibt es denn einen Mitschnitt? Wird es das Ganze irgendwann einmal auf fünf Millionen CDs geben?

    Fischer: Also es gibt im Moment eine CD, die allerdings die Kurzversion des Stückes bringt, von etwa über 30 Minuten. An eine Langversion ist erst mal noch nicht gedacht.

    Koldehoff: Dann kann man sich ja überlegen, wie man das zu Hause schön langsam abspielt.