"Was war das für ein Krieg? Ein vervollkommnetes, zivilisiertes Massaker, ein Abschlachten der Araber mit neuzeitlichen Waffen."
Die Charakterisierung Lenins, die er im September 1912 niederschrieb, ist durchaus treffend: Grausamer als alle vergleichbaren Kolonialkriege war er - der italienisch-türkische Krieg. Er begann 1911, in jenem Jahr, da das Königreich Italien prunkvoll seinen 50. Jahrestag beging. Doch das Land war von scharfen sozialen Gegensätzen geprägt. Die zumeist liberalen Regierungen wussten auf die immer wieder aufbrechenden Unruhen nur mit Gewalt zu reagieren. In solcher Not hatten binnen Kurzem über 1,5 Millionen Italiener ein besseres Leben gesucht und waren vorwiegend nach Nord- und Südamerika ausgewandert.
In dieser Lage wirkte der Bericht des Schriftstellers und Politikers Enrico Corradini über seine im Juni 1911 unternommene Reise nach Nordafrika wie eine Verheißung:
"Was für dichte Ölbäume! Dunkel, unbeschnitten, wild und voll mit Oliven! Weinstöcke, die das Gewicht der Trauben auf den Boden drückt. Nichts von Wüste! Wir sind im gelobten Land."
Corradini war - wie die von ihm mitbegründete nationalistische Bewegung - erfüllt von der Idee, dass auch Italien seinen "Platz an der Sonne" brauchte, nicht zuletzt deshalb, weil die Errichtung eines Kolonialreiches den sozialen Druck im Mutterland zu mildern versprach.
Animiert durch den medialen Erfolg von Corradinis Reise, nahm Premierminister Giovanni Giolitti den vorgewebten Faden auf. Zwar gehörten die kurzerhand zur Kolonie bestimmten Länder Tripolitanien und die Cyrenaika – die in etwa das Staatsgebiet des heutigen Libyen umfassen – immer noch zum Osmanischen Reich. Doch das wirkte geschwächt und nicht fähig, italienischen Forderungen wehrhaft entgegenzutreten. Der Ton des Ultimatums, das am 26. September 1911 an den türkischen Sultan Mehmet V. abging, fiel entsprechend selbstsicher aus:
"Die italienische Regierung sieht sich gezwungen, an den Schutz ihrer Interessen zu denken, und hat deshalb beschlossen, die militärische Besetzung Tripolitaniens und der Cyrenaika in Angriff zu nehmen. Sie erwartet, dass die kaiserliche Regierung entsprechende Befehle erteilt, sodass von den derzeitigen osmanischen Repräsentanten keine Opposition zu gewärtigen ist."
Wenig verwunderlich reagierten die osmanischen Verantwortlichen auf dieses Ansinnen ablehnend. Und so erklärte Italien am 29. September 1911 der Türkei den Krieg - der den Italienern als eine Art militärischer Spaziergang präsentiert wurde. Der Schweizer Historiker Aram Mattioli:
"Seit dem 5. Oktober 1911 gingen Tausende italienische Soldaten in Tripolis, Bengasi, Derna, Homs und Tobruk an Land. Doch schon nach wenigen Tagen zeigte sich, dass die Regierung die Situation völlig falsch eingeschätzt hatte."
Denn die angeblich sehnsüchtig auf Befreiung von türkischer Herrschaft wartenden Araber und Berber wehrten sich und, so Mattioli,
"… schlossen sich dem Widerstand ihrer osmanischen Herren an und brachten die Italiener, die nicht einmal über das notwendige Kartenmaterial verfügten, in heftige Bedrängnis."
Die wussten darauf nur ein Antwort: unterschiedslos alle Bewohner treffende Massaker und wahre Erhängungsorgien. Auch die 1906 begründete italienische Luftwaffe kam zum Einsatz, - nicht nur bei Aufklärungsflügen. Am 1. November 1911 wurden erstmals in der Geschichte von einem wackligen Eindecker aus Bomben abgeworfen. Der Pilot, Unterleutnant Guilio Gavotti, beschrieb in einem Brief den Abwurf des "ananasförmigen Bömbchens" auf ein Lager der Araber:
"Ich entferne die Sicherung und werfe die Bombe am Flügel vorbei ab. Ich kann sie noch einige Sekunden fallen sehen und dann, nach einer kurzen Weile, kann ich eine kleine schwarze Wolke sehen inmitten des Camps. Ich hatte Glück, ich habe mein Ziel getroffen."
Doch erst die Deportation von über 4000 Zivilisten auf süditalienische Strafinseln und der Einsatz der Marine führten zum Einlenken der osmanischen Regierung – und zum Frieden von Ouchy. Am 15. Oktober 1912 geschlossen und am 18. Oktober im gleichnamigen Schloss in der Nähe Lausannes unterzeichnet, sollte der Friedensschluss die Herrschaft Italiens in Libyen besiegeln.
Davon konnte indessen keine Rede sein. Erst mit der Machtübernahme der Faschisten im Jahr 1922 setzten sich die italienischen Eroberungsversuche fort, noch erbarmungsloser als vor 1914, noch gezielter auf die Ermordung ganzer Volksgruppen abzielend und schließlich auch, wie 1928, Giftgas einsetzend. Zu verantworten hatte dies namentlich Benito Mussolini, eben jener Mann, der 1911 als Sozialist und Gewerkschafter noch einen Generalstreik gegen diesen Krieg organisiert hatte.
Die Charakterisierung Lenins, die er im September 1912 niederschrieb, ist durchaus treffend: Grausamer als alle vergleichbaren Kolonialkriege war er - der italienisch-türkische Krieg. Er begann 1911, in jenem Jahr, da das Königreich Italien prunkvoll seinen 50. Jahrestag beging. Doch das Land war von scharfen sozialen Gegensätzen geprägt. Die zumeist liberalen Regierungen wussten auf die immer wieder aufbrechenden Unruhen nur mit Gewalt zu reagieren. In solcher Not hatten binnen Kurzem über 1,5 Millionen Italiener ein besseres Leben gesucht und waren vorwiegend nach Nord- und Südamerika ausgewandert.
In dieser Lage wirkte der Bericht des Schriftstellers und Politikers Enrico Corradini über seine im Juni 1911 unternommene Reise nach Nordafrika wie eine Verheißung:
"Was für dichte Ölbäume! Dunkel, unbeschnitten, wild und voll mit Oliven! Weinstöcke, die das Gewicht der Trauben auf den Boden drückt. Nichts von Wüste! Wir sind im gelobten Land."
Corradini war - wie die von ihm mitbegründete nationalistische Bewegung - erfüllt von der Idee, dass auch Italien seinen "Platz an der Sonne" brauchte, nicht zuletzt deshalb, weil die Errichtung eines Kolonialreiches den sozialen Druck im Mutterland zu mildern versprach.
Animiert durch den medialen Erfolg von Corradinis Reise, nahm Premierminister Giovanni Giolitti den vorgewebten Faden auf. Zwar gehörten die kurzerhand zur Kolonie bestimmten Länder Tripolitanien und die Cyrenaika – die in etwa das Staatsgebiet des heutigen Libyen umfassen – immer noch zum Osmanischen Reich. Doch das wirkte geschwächt und nicht fähig, italienischen Forderungen wehrhaft entgegenzutreten. Der Ton des Ultimatums, das am 26. September 1911 an den türkischen Sultan Mehmet V. abging, fiel entsprechend selbstsicher aus:
"Die italienische Regierung sieht sich gezwungen, an den Schutz ihrer Interessen zu denken, und hat deshalb beschlossen, die militärische Besetzung Tripolitaniens und der Cyrenaika in Angriff zu nehmen. Sie erwartet, dass die kaiserliche Regierung entsprechende Befehle erteilt, sodass von den derzeitigen osmanischen Repräsentanten keine Opposition zu gewärtigen ist."
Wenig verwunderlich reagierten die osmanischen Verantwortlichen auf dieses Ansinnen ablehnend. Und so erklärte Italien am 29. September 1911 der Türkei den Krieg - der den Italienern als eine Art militärischer Spaziergang präsentiert wurde. Der Schweizer Historiker Aram Mattioli:
"Seit dem 5. Oktober 1911 gingen Tausende italienische Soldaten in Tripolis, Bengasi, Derna, Homs und Tobruk an Land. Doch schon nach wenigen Tagen zeigte sich, dass die Regierung die Situation völlig falsch eingeschätzt hatte."
Denn die angeblich sehnsüchtig auf Befreiung von türkischer Herrschaft wartenden Araber und Berber wehrten sich und, so Mattioli,
"… schlossen sich dem Widerstand ihrer osmanischen Herren an und brachten die Italiener, die nicht einmal über das notwendige Kartenmaterial verfügten, in heftige Bedrängnis."
Die wussten darauf nur ein Antwort: unterschiedslos alle Bewohner treffende Massaker und wahre Erhängungsorgien. Auch die 1906 begründete italienische Luftwaffe kam zum Einsatz, - nicht nur bei Aufklärungsflügen. Am 1. November 1911 wurden erstmals in der Geschichte von einem wackligen Eindecker aus Bomben abgeworfen. Der Pilot, Unterleutnant Guilio Gavotti, beschrieb in einem Brief den Abwurf des "ananasförmigen Bömbchens" auf ein Lager der Araber:
"Ich entferne die Sicherung und werfe die Bombe am Flügel vorbei ab. Ich kann sie noch einige Sekunden fallen sehen und dann, nach einer kurzen Weile, kann ich eine kleine schwarze Wolke sehen inmitten des Camps. Ich hatte Glück, ich habe mein Ziel getroffen."
Doch erst die Deportation von über 4000 Zivilisten auf süditalienische Strafinseln und der Einsatz der Marine führten zum Einlenken der osmanischen Regierung – und zum Frieden von Ouchy. Am 15. Oktober 1912 geschlossen und am 18. Oktober im gleichnamigen Schloss in der Nähe Lausannes unterzeichnet, sollte der Friedensschluss die Herrschaft Italiens in Libyen besiegeln.
Davon konnte indessen keine Rede sein. Erst mit der Machtübernahme der Faschisten im Jahr 1922 setzten sich die italienischen Eroberungsversuche fort, noch erbarmungsloser als vor 1914, noch gezielter auf die Ermordung ganzer Volksgruppen abzielend und schließlich auch, wie 1928, Giftgas einsetzend. Zu verantworten hatte dies namentlich Benito Mussolini, eben jener Mann, der 1911 als Sozialist und Gewerkschafter noch einen Generalstreik gegen diesen Krieg organisiert hatte.