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Ein Aufklärer im Namen der Nation

Er ist neben Theodor Herzl und David Ben Gurion einer der bekanntesten Zionisten: Chaim Weizmann. Über 50 Jahre stritt er für einen jüdischen Staat in Palästina, bevor er nach der Gründung Israels zum ersten Präsidenten des Staates gewählt wurde. Dabei war ihm die Politik nicht in die Wiege gelegt.

Von Matthias Bertsch |
    "Es ist meine feste Überzeugung, dass Palästina uns nicht gehören wird, solange wir keine jüdischen Arbeiter im Lande haben. Wenn wir keinen jüdischen Boden und keine jüdischen Arbeiter haben, wenn kein neues jüdisches Leben im Lande geschaffen wird und wir stattdessen nur etwas Geld in der Kasse und eine schwache Hoffnung auf den Erfolg unserer Propaganda haben werden – dann werden wir nicht weit kommen. Ohne Taten werden wir den Zionismus im Volke nicht verbreiten."

    Als Chaim Weizmann 1913 auf dem Zionisten-Kongress in Paris eine flammende Rede für die jüdische Besiedlung Palästinas hielt, hatte er – wie viele Juden seiner Zeit – eine Wandlung durchlaufen. 1874 als drittes von 15 Kindern einer orthodoxen Familie in einem kleinen Ort in Weißrussland geboren, wuchs er in einem religiösen Umfeld auf. Doch je älter er wurde, umso stärker traten andere, säkulare "Götter” in den Vordergrund: Wissenschaft, Aufklärung und die Nation.

    Mit 18 begann Weizmann in Darmstadt Chemie zu studieren, zwei Jahre später ging er nach Berlin, wo er sich einem Kreis zionistischer Intellektueller anschloss. Die deutsch-israelische Historikerin Tamar Amar-Dahl hat mehrere Bücher zur Geschichte des Zionismus geschrieben.

    "Er war Zionist insofern, weil er nicht mehr so religiös war. Der Zionismus bot den säkularen Juden, die eigentlich assimilliert waren, eine Alternative für die religiöse Identität. Sie waren nicht mehr religiös aber sie wollten jüdisch bleiben und das war die Attraktion des Zionismus.”"

    Nicht mehr Gott und Glaube, sondern Kultur, Sprache und Geschichte sollten das Bindeglied des jüdischen Volkes sein, das wie jedes andere das Recht auf einen eigenen Staat habe, wie Chaim Weizmann es ausdrückte:

    ""Es sollte einen Ort auf Gottes weiter Welt geben, wo wir auf unsere Art leben und uns verwirklichen können und unseren Beitrag zur Zivilisation leisten können. Die jüdische Geschichte hat immer durch den Bezug zu Israel gelebt."

    Auch als britischer Staatsbürger, der er seit 1910 war, blieb Weizmann dem Traum eines jüdischen Staates in Eretz Israel verbunden. Die Balfour-Deklaration von 1917, die den Juden die Unterstützung der britischen Regierung bei der Gründung einer nationalen Heimstätte in Palästina zusicherte und die jüdische Einwanderung nach Palästina beförderte, ging wesentlich auf seinen Einfluss zurück: Als Chemiker hatte Weizmann im Ersten Weltkrieg militärisch relevante Erfindungen gemacht – die er nun für sein zionistisches Ideal einsetzte.

    "Es war eine Karte, die er in der Hand hatte, und dann konnte er mit dem Lord Balfour, dem britischen Außenminister, verhandeln und diese Erklärung, diese "declaration”, nicht erpressen aber ... okay, aushandeln heißt das: Er hatte was anzubieten und das war wichtig für die britischen Kampfmöglichkeiten gegen Deutschland und er hat es auch herausbekommen, hat es erzielt."

    Das Faisal-Weizmann-Abkommen, das Weizmann 1919 auf der Pariser Friedenskonferenz mit dem Führer der arabischen Nationalisten, Emir Faisal, abgeschlossen hatte, und das einen jüdischen und einen arabischen Staat in Palästina vorsah, wurde dagegen nie umgesetzt. Erst 28 Jahre später – unter dem Eindruck des Holocausts - stimmten die Vereinten Nationen mehrheitlich für eine Teilung Palästinas.

    Während die arabischen Staaten den Teilungsplan ablehnten, riefen die Zionisten auf dem ihnen zugesprochenen Gebiet am 14. Mai 1948 den Staat Israel aus. Erster Staatspräsident wurde Chaim Weizmann, der zuvor 22 Jahre lang an der Spitze der Zionistischen Weltorganisation gestanden hatte. Sein Traum eines jüdischen Staates war wahr geworden, und doch wäre es heute, würde er noch leben, wohl nicht der Staat, den er sich gewünscht hatte. Tamar Amar-Dahl:

    ""Ich glaube, er würde die Realitäten heute nicht verstehen. Er hat in einer Welt gelebt, wo man auf Verhandlungen aufeinander gegangen ist, und für ihn war die Diplomatie die stärkste Waffe für die Verwirklichung des Zionismus, und heute es ist alles andere als Diplomatie am Zug, also das heißt mehr oder weniger, dass er nicht verstehen würde, wie nationalistisch und militaristisch das zionistische Israel geworden ist. Das wäre für ihn eine ganz fremde Welt.”"

    Am 9. November 1952 starb Chaim Weizmann in Jerusalem. Begraben ist er in Rehovot bei Tel Aviv - im Garten des nach ihm benannten Weizmann-Instituts. Das weltweit bekannte Institut für naturwissenschaftliche Grundlagenforschung erinnert daran, dass Weizmann nie nur Politiker war, sondern immer auch Wissenschaftler.