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Ein außergewöhnlicher Tatort
"Die Musik stirbt zuletzt"

"Weniger Experimente beim Tatort" hat die ARD vor kurzem angekündigt, und eröffnet die neue Saison mit einer Folge komplett ohne Schnitte und in einem Take gedreht. Es geht um die dunkle Vergangenheit eines Unternehmers, der in Luzern ein Benefizkonzert mit Kompositionen von Holocaustopfern sponsert.

Von Sigrid Fischer | 03.08.2018
    Kommissarin Ritschard (Delia Mayer) ist fassungslos: Ein Giftanschlag im Kultur- und Kongresszentrum Luzern und ihr Kollege Flückiger ist nicht erreichbar.
    Kommissarin Ritschard (Delia Mayer) ist fassungslos: Ein gab einen Giftanschlag im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (ARD Degeto/SRF/Hugofilm)
    "Filme mit Polizisten sollten verboten sein. Es ist eine erbärmliche Geschichte heute Abend, sowas gibt es nur im Fernsehen, aber Sie werden Ihren Spaß haben."
    Franky spricht direkt in die Kamera, und führt uns dann durch die illustre Menschenmenge vor dem KKL - Kultur und Kongresszentrum Luzern rein ins Gebäude, wo gleich das Benefiz-Konzert mit dem "Jewish Chamber Orchestra" stattfinden wird. Auf dem Programm stehen Kompositionen von Holocaustopfern. Wie ein allwissender Erzähler wird er das Geschehen immer mal wieder kommentieren.
    Franky: "Der ganze Abend stinkt."
    Aber er ist auch selbst Teil der Story, Sohn der Hauptfigur Walter Loving, milliardenschwerer Unternehmer und Sponsor des Konzerts. Früher hat er mal Juden zur Flucht verholfen, aber er birgt auch ein dunkles Geheimnis, um das sich hier alles dreht.
    Sehr formgewagt in die neue Saison
    Loving: "Die Anschuldigungen sind falsch. Sie waren es damals und sie sind es heute."
    Wie war das? Weniger Experimente im ARD-Tatort? Diese Ansage kam letzten Herbst, und jetzt startet man sehr formgewagt in die neue Saison. Das Risiko hielt man wohl für gering, war die Schweizer Ausgabe ja nie ein Quotengarant, und nächstes Jahr ist sowieso Schluss für Flückiger und Ritschard. Die treten hier in eigenwilligen Outfits auf: er in Fußballfanshirt und Badelatschen, sie in Abendrobe, denn zufällig sitzt sie im Konzertpublikum.
    "Für uns ist das ein ganz normaler Tatort, mit allen Konsequenzen, mit Befragung, Spurensicherung und so weiter, alles."
    Für den Zuschauer aber nicht. Weil in einem durchgedreht wird, hängt sich die Kamera an Figuren, verlässt die eine, folgt der nächsten durch Türen und Gänge, in Aufzüge und Backstagebereich des KKL, wo die jüdische Pianistin einen Drohanruf entgegennimmt.
    "Ja?"
    "Ich meine es ernst. Was wollen Sie von mir?"
    "Lassen Sie das Gedicht weg. Ich meine es ernst."
    Das Orchester plant offensichtlich einen politischen Skandal an diesem Abend, Kontaktgift kommt zum Einsatz - es trifft den Klarinettisten.
    Franky: "Kontaktgift? Es ist nichts gegen diese Familie."
    Ein Tatort in simulierter Echtzeit ist das, die Kamera schwenkt viel hin und her, erzeugt das Gefühl, live dabei zu sein. Vier komplette Durchgänge wurden gedreht. Inklusive Ortswechsel und Verfolgungsjagd.
    Flückiger: "Der Täter flüchtet durch den Bahnhof, vermutlich zum KKL. Scheiße."
    Der Filmschnitt ist wichtiges Instrument
    Sogar eine Rückblende in die Kindheit einer Figur baut Dani Levy ein. Für die Macher war das sicher aufregender als für die Zuschauer. Es gibt zwar ein klassisches "Who-dun-it"? Mit Opfer und üblichen Verdächtigen. Ohne Schwarz-weiß-Zeichnung, der alte Loving bleibt eine ambivalente Figur. Aber richtige Spannung will nicht aufkommen. Der Erzähler sorgt immer wieder für Distanz. Und der Filmschnitt ist eben schon ein wichtiges dramaturgisches Instrument, das Akzente setzt, Suspense erzeugt, Schliff verleiht. Woran es klassischen Tatorten allerdings auch oft mangelt. Hier macht es vor allem Spaß, die Entstehungsweise nachzuvollziehen, und zu schauen, ob nicht doch geschummelt und irgendwo noch mal angesetzt wurde. Wie beim oscarprämierten "Birdman", der sah ja nur so aus, als gäbe es keinen Schnitt. Dani Levy ging es wohl mehr um den historischen Background seiner Mordgeschichte, und der bringt noch eine unsichtbare Figur ins Spiel: die Musik. Levy hat lange recherchiert, um die Noten der vergessenen Werke aufzutreiben.
    Franky: "Ende gut, alles gut, etwas kürzer als andere Tatorte. Aber immer noch okay, ja?"
    Durchaus. Selbstironie tut dem Tatort mal ganz gut. Man hätte ihn jedenfalls nicht in der Ferienzeit verstecken müssen. Denn, mal ehrlich ARD, richtig los geht die neue Sonntagabendkrimisaison doch erst 3 Wochen später - mit Ulmen und Tschirner.
    Jelena: "Wir befinden uns im Zeitalter der Wahrheit, der ganzen Wahrheit."