"83 Prozent, 83 Prozent wollen das Buch aus Polen rauswerfen ..."
... dieser Kombattant aus dem polnischen Untergrund im Zweiten Weltkrieg ist einer von denen, die sich nicht genug über "Złote żniwa" (zu deutsch "Die goldene Ernte"), das neue Buch von Jan Tomasz Groß und Irena Grudzińska-Groß, empören können.
Tatsächlich hat in einer Blitzumfrage des staatlichen Fernsehens eine erdrückende Mehrheit der Befragten erklärt, die "Goldene Ernte" werde von Polen nicht benötigt. Der polnisch-amerikanische Historiker Jan Tomasz Groß und seine Mitautorin schreiben über die systematische Bereicherung von Polen am Holocaust. Sie schildern, wie um die Vernichtungslager der Nazis auf polnischem Boden regelrechte Speckgürtel entstanden, in denen die ansässige Bevölkerung unter deutscher Besatzung durch Handel, Prostitution und Denunziation, durch Bestechung und Erpressung zu Wohlstand gelangen konnte. Das Buch geht aber noch weiter. Es wird die These vertreten, dass viele Polen sich durch Raub und Mord am Holocaust beteiligten, ohne Skrupel. Die Ermordung der Juden, bilanziert das Autorenpaar Groß/Grudzińska-Groß, bildete eine schmale, aber stabile Brücke zwischen den katholischen Polen und den aufgrund ihrer brutalen Besatzungspolitik gehassten Deutschen, eine Brücke, die nicht nur von Kriminellen und Randgruppen überschritten wurde, sondern – zumindest im Geiste – auch von den Eliten der Gesellschaft.
Viele Kritiker in Polen bemängeln, aus der "Goldenen Ernte" werde kaum deutlich, dass die Führung des polnischen Untergrundstaats jede Form der Beteiligung an Judenmorden verurteilte und dafür auch drakonische Strafen verhängte. Jan Tomasz Groß und Irena Grudzińska-Groß würden Randphänomene des polnisch-jüdischen Verhältnisses im Zweiten Weltkrieg ins Zentrum rücken. Daraus entstünde ein falsches Bild von den Polen, die selbst vor allem Opfer der Nazis waren. Dem entgegnet Jan Tomasz Groß:
""Natürlich handelt es sich hier um Randgeschehnisse der Judenvernichtung, und zwar insofern als die Menschen, die sich das alles ausgedacht und in die Tat umgesetzt haben, die Nazis waren. Aber eine unserer Schlussfolgerungen lautet: Es ist eine allgemeine Erscheinung, dass im gesamten von Deutschland besetzten Gebiet, die Juden – dort wo sie lebten – von der örtlichen Bevölkerung feindlich behandelt wurden. Wenn es um Hilfe für Juden geht, nun ja, dass dies ein marginales Phänomen war, wissen wir schon lange. Die Menschen, die Juden halfen, hielten dies vor ihrer Mitwelt streng geheim."
Die "Goldene Ernte" bezieht sich nicht zuletzt auf neuere historischen Studien zum Thema. Die Historiker Barbara Engelking und Jan Grabowski, Experten für die Geschichte der polnischen Juden, haben vor einigen Wochen zwei Bücher über die Haltung der Landbevölkerung zum Holocaust veröffentlicht und kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie Groß. Engelking und Grabowski betreiben allerdings reine Fachwissenschaft. Ihre Bücher wurden eigentlich erst durch die Groß-Debatte einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Anders als Engelking und Grabowski ging es den Autoren der "Goldenen Ernte" nicht so sehr um neue Entdeckungen, sondern vor allem darum, eine breite Öffentlichkeit anzusprechen. Das trug ihnen den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit ein. Dagegen wehrt sich Irena Grudzińska-Groß:
"Es war ein Thema, das niemanden bewegt hat, weil es in Büchern behandelt wurde, in denen jeder Satz sehr abgewogen war. Jeder Satz hatte eine Fußnote und enthielt Hinweise auf die entsprechende Quelle. Das ist eine Form der Geschichtsschreibung. Es gibt aber andere Formen, besonders dann, wenn die Geschichte negiert, wenn sie infrage gestellt wird. Unser Stil ist engagiert, damit wir den Leser erreichen, der vor dem Thema flieht, der nicht hinschauen will."
Für das polnische Publikum ist "Die goldene Ernte" derzeit das geschichtspolitische Ereignis. Dabei mehren sich – im Gegensatz zu früheren Groß-Büchern – kritische Stimmen auch unter denen, die dem Autor insgesamt wohlwollend gegenüberstehen. Der Literaturhistoriker und Sprachforscher Michał Głowiński etwa bemängelte eine überzogene Kritik an der Haltung der katholischen Kirche. Adam Michnik, Legende der polnischen antikommunistischen Opposition und Herausgeber der linksliberalen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" kritisiert Groß, mit seinen Thesen zu stark zu konfrontieren, anstatt das Gute im Menschen anzusprechen.
Ob die "Goldene Ernte" stereotype Vorstellungen überwindet oder verstärkt, weiß zurzeit noch niemand so genau. Zweifellos handelt es sich um einen lesenswerten Essay, der mit in Polen weitverbreiteten Vorstellungen bricht und sicher noch lange diskutiert werden wird.
Jan Tomasz Gross / Irena Grudzinskia-Gross: Zlote Zniwa. (Goldene Ernte)
Znak Verlag, Krakau
... dieser Kombattant aus dem polnischen Untergrund im Zweiten Weltkrieg ist einer von denen, die sich nicht genug über "Złote żniwa" (zu deutsch "Die goldene Ernte"), das neue Buch von Jan Tomasz Groß und Irena Grudzińska-Groß, empören können.
Tatsächlich hat in einer Blitzumfrage des staatlichen Fernsehens eine erdrückende Mehrheit der Befragten erklärt, die "Goldene Ernte" werde von Polen nicht benötigt. Der polnisch-amerikanische Historiker Jan Tomasz Groß und seine Mitautorin schreiben über die systematische Bereicherung von Polen am Holocaust. Sie schildern, wie um die Vernichtungslager der Nazis auf polnischem Boden regelrechte Speckgürtel entstanden, in denen die ansässige Bevölkerung unter deutscher Besatzung durch Handel, Prostitution und Denunziation, durch Bestechung und Erpressung zu Wohlstand gelangen konnte. Das Buch geht aber noch weiter. Es wird die These vertreten, dass viele Polen sich durch Raub und Mord am Holocaust beteiligten, ohne Skrupel. Die Ermordung der Juden, bilanziert das Autorenpaar Groß/Grudzińska-Groß, bildete eine schmale, aber stabile Brücke zwischen den katholischen Polen und den aufgrund ihrer brutalen Besatzungspolitik gehassten Deutschen, eine Brücke, die nicht nur von Kriminellen und Randgruppen überschritten wurde, sondern – zumindest im Geiste – auch von den Eliten der Gesellschaft.
Viele Kritiker in Polen bemängeln, aus der "Goldenen Ernte" werde kaum deutlich, dass die Führung des polnischen Untergrundstaats jede Form der Beteiligung an Judenmorden verurteilte und dafür auch drakonische Strafen verhängte. Jan Tomasz Groß und Irena Grudzińska-Groß würden Randphänomene des polnisch-jüdischen Verhältnisses im Zweiten Weltkrieg ins Zentrum rücken. Daraus entstünde ein falsches Bild von den Polen, die selbst vor allem Opfer der Nazis waren. Dem entgegnet Jan Tomasz Groß:
""Natürlich handelt es sich hier um Randgeschehnisse der Judenvernichtung, und zwar insofern als die Menschen, die sich das alles ausgedacht und in die Tat umgesetzt haben, die Nazis waren. Aber eine unserer Schlussfolgerungen lautet: Es ist eine allgemeine Erscheinung, dass im gesamten von Deutschland besetzten Gebiet, die Juden – dort wo sie lebten – von der örtlichen Bevölkerung feindlich behandelt wurden. Wenn es um Hilfe für Juden geht, nun ja, dass dies ein marginales Phänomen war, wissen wir schon lange. Die Menschen, die Juden halfen, hielten dies vor ihrer Mitwelt streng geheim."
Die "Goldene Ernte" bezieht sich nicht zuletzt auf neuere historischen Studien zum Thema. Die Historiker Barbara Engelking und Jan Grabowski, Experten für die Geschichte der polnischen Juden, haben vor einigen Wochen zwei Bücher über die Haltung der Landbevölkerung zum Holocaust veröffentlicht und kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie Groß. Engelking und Grabowski betreiben allerdings reine Fachwissenschaft. Ihre Bücher wurden eigentlich erst durch die Groß-Debatte einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Anders als Engelking und Grabowski ging es den Autoren der "Goldenen Ernte" nicht so sehr um neue Entdeckungen, sondern vor allem darum, eine breite Öffentlichkeit anzusprechen. Das trug ihnen den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit ein. Dagegen wehrt sich Irena Grudzińska-Groß:
"Es war ein Thema, das niemanden bewegt hat, weil es in Büchern behandelt wurde, in denen jeder Satz sehr abgewogen war. Jeder Satz hatte eine Fußnote und enthielt Hinweise auf die entsprechende Quelle. Das ist eine Form der Geschichtsschreibung. Es gibt aber andere Formen, besonders dann, wenn die Geschichte negiert, wenn sie infrage gestellt wird. Unser Stil ist engagiert, damit wir den Leser erreichen, der vor dem Thema flieht, der nicht hinschauen will."
Für das polnische Publikum ist "Die goldene Ernte" derzeit das geschichtspolitische Ereignis. Dabei mehren sich – im Gegensatz zu früheren Groß-Büchern – kritische Stimmen auch unter denen, die dem Autor insgesamt wohlwollend gegenüberstehen. Der Literaturhistoriker und Sprachforscher Michał Głowiński etwa bemängelte eine überzogene Kritik an der Haltung der katholischen Kirche. Adam Michnik, Legende der polnischen antikommunistischen Opposition und Herausgeber der linksliberalen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" kritisiert Groß, mit seinen Thesen zu stark zu konfrontieren, anstatt das Gute im Menschen anzusprechen.
Ob die "Goldene Ernte" stereotype Vorstellungen überwindet oder verstärkt, weiß zurzeit noch niemand so genau. Zweifellos handelt es sich um einen lesenswerten Essay, der mit in Polen weitverbreiteten Vorstellungen bricht und sicher noch lange diskutiert werden wird.
Jan Tomasz Gross / Irena Grudzinskia-Gross: Zlote Zniwa. (Goldene Ernte)
Znak Verlag, Krakau