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Ein bisschen Rio, ein bisschen Rheinland

Der lange, harte Winter fordert von Narren an Rhein und Main in diesem Jahr besonders dicke und warme Kleidung. Der Karneval auf Teneriffa kennt dieses Problem nicht. Bei den Umzügen auf der Kanareninsel müssen die Kostüme vor allem prächtig sein, und das prächtigste trägt die Königin des Karnevals.

Von Sabine Wuttke |
    Los Jorosperos probt in der Sporthalle von La Laguna oberhalb von Santa Cruz. Eben wurde hier noch Fußball gespielt, das Ergebnis von 8 zu 1 steht noch an der Hallenwand. An der oberen Torlatte hängt jetzt jedoch ein Gong, an der Torlinie stehen vier Lautsprecher, vor dem Tor die Instrumente der sechs verschiedenen Rhythmusgruppen, dazu außerdem noch zusätzlich eine Gitarre, ein Schlagzeug, ein Keybord. Auf dem "Spielfeld" dehnen sich die Tänzerinnen und Tänzer der Gruppe. Statt der goldfarbenen Strings tragen sie noch ihre Trainingshosen, dazu T-Shirts. Vor Glanz und Glamour kommt unspektakuläres Training.

    Seit Mai vergangenen Jahres proben sie bereits drei Mal pro Woche, nach dem 6. Januar wurde das Trainingspensum drastisch gesteigert, nun treffen sie sich sogar täglich. Nach der Arbeit zwischen 21 Uhr und manchmal bis zwei Uhr früh proben sie. Es sind alles Amateure, auch der 33-jährige Choreograf, Juan Carlos:

    "Das ist etwas, das hat man in sich, man wird damit geboren. Es ist keine Arbeit. Es ist ein Gefühl, und es lohnt sich einfach, die Mühe, diese Monate für zwei Wochen. Sogar ein ganzes Jahr Arbeit für eine Woche würde gut sein."

    Wie die meisten anderen ist auch Juan Carlos schon lange dabei. Angefangen hat er als Tänzer und vor über zehn Jahren die Choreografie übernommen. Lidia Medina Garcia ist die Begeisterung für den Karneval "vererbt" worden. Sie ist 36 Jahre und tanzt bei Los Jorosperos. Die schwarze Lockenperücke in der Hand läuft sie vorbei und erzählt mir:

    "Sie ist seit neun Jahren in einer Tanzgruppe, weil, es war die Tanzgruppe, die ihr Vater gegründet hat, das heißt, da hat sie angefangen."

    Am Dienstag wird auch sie bei dem großen Umzug durch Santa Cruz dabei sein, perfekt geschminkt und gestylt, eine Prozedur, die zwölf Uhr beginnt und 20 Uhr erst beendet ist. Das sparsame Kostüm aus wenig Stoff, vielen Perlen und Federn wird ihre Traumfigur betonen. Doch die ist nicht das Ergebnis verschiedenster Diäten:

    "Sie braucht das nicht. Sie ist nie schwer, und sie muss, bevor der Karneval anfängt. Sogar etwas mehr essen, damit sie das alles durchstehen kann."

    Den sogenannten kleinen Umzug, den Auftritt bei der Wahl der Königin und schließlich den Großen Umzug am Faschingsdienstag quer durch Santa Cruz, über die Ramblas, zur Placa d'Espana unten am Hafen. Auf fünf bis sechs Bühnen mit je zwei Kapellen tanzen, singen, spielen die verschiedenen Gruppen, insgesamt 600 bis 700 Tänzerinnen, Musiker. 250.000 Zuschauer waren schon einmal gekommen, um das Feuerwerk an Farben, Bewegung und Musik zu erleben. Doch bevor es soweit ist, heißt es für die Akteure trainieren, und für einige einfach nur warten, warten, warten wie dieser Freund einer Tänzerin. Er hat das Gefühl, nicht erst einen Abend in der nüchternen Sporthalle zu sitzen, sondern schon:

    "Ein halbes Leben."

    Aber da er von Teneriffa ist, ein "Chicharero", weiß er dass er eines Tages nicht nur seine Freundin, sondern den Karneval natürlich mitheiratet. Höhepunkt des großen Umzuges ist jedes Jahr die Königin. An dritter, vierter Stelle erscheint sie, nicht zu übersehen. Sie ist die schönste, strahlendste, größte und ihr Kostüm - das schwerste.

    Die rund 600 Quadratmeter große Garage hat so gar nichts Glamouröses, gleicht eher einer Werkstatt. Gleich am Eingang sitzt José Alberto Sorriano und - schweißt. Dieses Eisengestell, an dem er arbeitet, wird das Gerüst sein für das Kostüm der Königin. Allein das Gestell aus Metall wiegt zwischen 200 und 300 Kilogramm, das fertige Kostüm rund 400. Fünf Meter wird es hoch sein, ebenfalls fünf Meter im Durchmesser.

    "Aber es gibt vier Räder, das heißt, zum Bewegen ist es nicht, als ob sie 300 Kg ziehen muss. Ohne Räder kann man das nicht."

    Der Schöpfer des Kostüms, der Künstler, ist der 45-jährige Santi Castro. Auch er ist - natürlich- mit dem Karneval groß geworden, war schon als Junge in Karnevalsgruppen.

    "Dann hat er angefangen, diese kleinen Details zu Hause zu machen, und wenn man das Gefühl hat, dann kommt man immer weiter und fängt selbst an, Kostüme zu machen."

    Santi Castro hat in diesem Jahr zwei Kostüme entworfen. Das Motto des einen "Die Tränen vom Mond". Die einzelnen Teile liegen und stehen in der Garage, die Tränen, zwischen 50 und 60 Zentimeter große weiße, ovale Perlen, halbrunde, purpurfarbene und weinrote Schirme, wie sie aus hinduistischen Prozessionen bekannt sind, dunkle, rechteckige Rahmen, mit hellem Damast bespannt, mit goldenen Lurexbändern und Fransen verziert. An einem langen Tisch werden noch die Bänder für die lindgrünen und violetten Lampions aufgeklebt. Auf dem Kopf wird sie eine schwarze Kappe mit mehreren Schleifen tragen, besetzt mit unzähligen glitzernden Steinen und Perlen, rund 15 Kilogramm schwer. Eine Jury wählt die Königin aus. Für den preisgekrönten Schneider bedeutet das:

    "Eine Explosion von Freude, Glück. Man weiß nicht, ob man weinen soll oder lachen muss, oder springen muss. Man hat Monate gearbeitet nur für diesen Moment. Weil Zweite, Dritte oder Vierte ist okay, aber es ist die Königin, die wichtig ist."

    Das Motto des Karnevals auf Teneriffa wechselt jährlich. In diesem Jahr wird seine Geschichte das Thema sein. Nach Rio in Brasilien ist dieser Karneval der größte. Und von dort ist er auch inspiriert.

    "Viele Leute von hier sind emigriert nach Südamerika und wir sind zwischen Europa und Amerika, die Brücke zwischen beiden Kontinenten. Und Sprache und Essen, Musik sind ganz ähnlich wie in Südamerika, ähnlicher als zum Festland Spanien."

    Spanien hat übrigens versucht, diesen Karneval von Teneriffa zu kopieren, es hat nicht funktioniert. Er bleibt an seinem Ursprungsort. Bis zum 20. Februar wird auf der Kanareninsel gefeiert - mit viel Alkohol. Um dem auch auf Teneriffa bekannten Kater vorzubeugen, empfiehlt die Köchin Susanna von "La Herbita", einem ursprünglichen kanarischen Restaurant in Santa Cruz:

    "Sie meint frischen Fisch."

    "Dann sollte man Rum-Cola oder Bier trinken, dann ist der Fisch auf gutem Boden, meint sie."

    "Nichts geht mehr" heißt es ab Dienstag auf Ämtern und in Büros. Und für alle, die vorher lange gewartet haben, kommt endlich die Zeit des Feierns.

    "Wir wissen immer, wenn wir gehen, aber nicht, wenn wir zu Hause zurückkommen werden."