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Ein Buch, das verärgert

Ihm selbst sei noch nie gekündigt worden, sagt Hubertus Meyer-Burckhardt. Dennoch hat er mit "Die Kündigung" einen Roman darüber verfasst, ein Buch über den Sturz ins Bodenlose und die Frage, ob man mit der Kündigung nicht nur den Job, sondern auch ein Stück Identität verliert.

Von Martin Grzimek |
    "Was erzählen Sie da alles?" Die Bedienung im Zürcher Flughafenrestaurant betrachtete Kannstatt mit prüfendem Blick. Er war ihr wohl unheimlich und irgendwie rätselhaft, aber sie war sensibel genug, um zu spüren, dass dieser Mann tief in Probleme verstrickt war und ihr eine gewisse Verantwortung daraus erwuchs. "Sie wollen einen Cognac, wenn ich Sie recht verstehe, oder?" Kannstatt starrte sie lange an. "Tun Sie mir nichts", flüsterte die junge Frau."

    Der unheimliche und rätselhafte Simon Kannstatt ist der Protagonist in Hubert Mayer-Burckhardts Debütroman "Die Kündigung". Er ist oder besser war einer der Topmanager einer Investmentfirma, bis er von seinem Chef wegen einer Rationalisierungsmaßnahme, wie es heißt, "freigesetzt", also gekündigt wurde. Mit einem Schlag verliert er seine Funktion und den Sinn seines Lebens. Plötzlich ist er wertlos geworden.

    Diese Situation macht ihn so fassungslos, dass er im ersten Moment zum Schein sein bisheriges Leben aufrechterhält. Wie er es aus seinem Berufsleben gewohnt ist, steigt er in ein Flugzeug, Business Class natürlich, und feilt, um weiterhin beschäftigt zu wirken und seine Arbeit immer noch besser zu machen, an alten, längst abgeschlossenen Verträgen herum. Gestört wird er nur von dem einen Gedanken, nämlich Rache zu nehmen für seinen Rausschmiss. So fliegt er von London nach Frankfurt zurück, beschafft sich dort zwei Pistolen und fährt mit dem Mietauto Richtung Schweiz. Auf dem Flughafen Zürich-Kloten, gewissermaßen auf neutralem Gelände, ist ein Treffen mit seinem Chef geplant, um die Kündigung auch rechtlich unter Dach und Fach zu bringen.

    Doch auf dem Weg dorthin verlässt ihn der Mut, seine Rachegedanken in die Tat umzusetzen und seinen Chef zu einem "Duell" herauszufordern. Völlig frustriert und innerlich leer schleppt er sich zu einem Flughafenrestaurant, steht unter dem Schock einer totalen Desillusionierung, und verliert sich in Wunschträume. Er erinnert sich an vergangene Zeiten, in denen er sich noch als Individuum empfunden hat, bevor er Ideen und Ideale aufgab, um sich dem seelenlosen Mechanismus einer erfolgreichen Karriere in der anonymen Welt des Geschäftslebens zu unterwerfen.

    "Ich habe auf so vieles verzichtet, um eine vernünftige Karriere zu machen. Ich habe Kreatives in mir abgetötet, ich bin die Wege gegangen, die man von mir verlangt hat. Ich bin das Resultat der Erwartungen, die man an mich gestellt hat. Ich habe lange keine Erwartungen enttäuscht. Ich habe voller Eifer an dem Drehbuch mitgeschrieben, das die Grundlage zu meinem Lebensfilm ist. Aber ich habe noch nicht einmal darauf Einfluss genommen, ob es ein Thriller, eine Komödie oder gar ein Melodram wird."

    Bis hierhin hätte auch Meyer-Burckhardts Buch zu einem Krimi oder auch zu einem Roman werden können, der den realen Leidensdruck eines Menschen beschreibt, der unvermutet von einer hohen Hierarchiestufe im Karriereturm des Managements gestoßen wird, um ins Bodenlose zu fallen. Die damit zumeist verbundene Depression, das oftmalige für alle sichtbare Auseinanderbrechen familiärer Verhältnisse oder des Freundeskreises ist zwar kein noch unentdecktes Thema in der Literatur, kann aber immer wieder neu ausgeleuchtet werden durch die je eigene Stimme des Autors.

    Diese eigene Stimme besitzt Hubertus Meyer-Burckhardt leider nicht. Wie so mancher, der sich an ein Thema heranwagt, dem er offensichtlich nicht gewachsen ist, bestimmen bei ihm nicht die Figuren die Handlung, sondern die Meinung und die Sichtweise, die er ihnen appliziert. Und um diese Schwäche zu kaschieren, weicht er in die unüberprüfbare Scheinwelt des Träumens und Fantasierens aus und entzieht all den ernst gemeinten Beobachtungen den Boden ihre Berechtigung. Denn mit einem Mal ist Kannstatt nicht mehr er selbst, sondern ein Mr. Greenbaum, der in New York auf alternde Hippies trifft und mit ihnen in die Welt der Rockmusik der 70er-Jahre abdriftet. Daneben taucht völlig unvermittelt eine Figur aus einer Erzählung des 2001 verstorbenen Berliner Schriftstellers Klaus Schlesinger auf, durch die wohl ein wenig politisches Zeitkolorit aus der Ära der DDR untergemischt werden soll. Damit Kannstatt auch noch seine verschüttete künstlerische Seite wiederentdecken kann, entwirft Meyer-Burckhardt eine Art Libretto zu einem surrealen Ballett, das man getrost überblättern kann, ohne etwas verpasst zu haben. Um den dünnen Aufguss der Geschichte, hinter der nur Miterlebtes zu stehen scheint, ein wenig anzudicken, braucht es dann notgedrungen des Namedroppings von Elvis Castello bis Jil Sander, die schablonenhafte Kennzeichnung der Welt der Manager als militärisch straffe, halbfaschistische Organisation, oder gewollt lustige Vergleiche, die nur schwer erheitern können.

    "Du bist ein Winterflieger gewesen, Greenbaum. Dich hätte man vor jedem Start enteisen müssen wie die Tragflächen der Flugzeuge, in die du eingepfercht wurdest. Bedank dich bei deinen Alten." Greenbaum saß müde auf dem Bettrand. "Winterflieger haben Väter. Ich bin ein Sommerflieger, ich hatte keinen. Er hat sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht, bevor es zu größeren Schäden kommen konnte."

    Zugegeben – es ist nicht ganz fair, solche bemüht spritzig klingenden Sätze aus dem Textzusammenhang zu reißen, allerdings entstammen sie einer der beliebigen Quasi-Traumpassagen des Romans, die man ebenso schnell vergisst, wie man sie kopfschüttelnd gelesen hat.

    Ärgerlich an diesem Buch ist noch etwas anderes. Eine Kündigung nämlich ist besonders in unseren Zeiten ein zu ernstes und komplexes Thema, mit dem zu viel persönliches Schicksal verbunden ist, als dass man sich mal nebenbei damit befassen und locker vor sich hin plaudernd ein paar nette Sätze dazu aufschreiben könnte. Er selbst sei nicht der Protagonist des Romans, hat Hubert Meyer-Burckhardt, der im NDR eine bekannte Talksendung leitet, in einem Interview gesagt, und ihm sei auch noch nie gekündigt worden. Die naheliegende Frage: Warum er dann einen Roman darüber geschrieben habe?, wurde ihm in dem Interview nicht gestellt. Vielleicht war das besser so, denn es hätte ja nur eine ausweichende Antwort zurückkommen können, in deren Verlegenheit sich der gesamte Charakter dieses Romans gespiegelt hätte.

    Hubertus Meyer-Burckhardt: "Die Kündigung"
    Ullstein Verlag 2011, 160 Seiten, 18,00 Euro.