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Ein Buch, das weh tut

Die "Leichen im Keller" im Titel des Buchs muss man wörtlich nehmen: Markus Frenzel spart kein Detail aus, wenn er das unvorstellbar grausame Treiben der weltweiten Schlächter beschreibt. In einem fast literarischen Stil nimmt er sich die Zeit, auch die Hintergründe der blutigen Konflikte zu schildern.

Von Jeanette Seiffert |
    Zehn Jahre lang lebte Ignace Murwanashyaka völlig unbehelligt in Deutschland. Erst in Bad Honnef bei Bonn, später in Mannheim. Brachte morgens seinen Sohn mit dem Fahrrad zum Kindergarten, holte ihn später wieder ab, und zwischendurch, quasi als Nebenjob, befehligte er eine der brutalsten Milizen der Welt, als Präsident der Hutu-Rebellenorganisation FDLR:

    "Er hatte ein Handy, er hatte eine E-Mail-Adresse bei GMX, Telefon ganz normal. Er hat dann per SMS, per E-Mail seinen Soldaten im Kongo die Befehle gegeben. Er hat sogar einen Vernichtungsbefehl von Mannheim aus gegeben. Er hat nämlich gesagt: Richtet eine humanitäre Katastrophe unter der Bevölkerung an. Eine Art Kommissarbefehl aus Deutschland. Und seine Soldaten haben das dann direkt umgesetzt."

    Der Journalist Markus Frenzel hat den Fall Murwanashyaka in allen seinen Einzelheiten und Hintergründen aufgearbeitet. Bereits für die Recherchen für das ARD-Magazin "Fakt" vor gut zwei Jahren war er in Ruanda und im Kongo, hat dort mit Augenzeugen gesprochen. Und er hat den Präsidenten der Rebellenorganisation FDLR in Mannheim aufgespürt, der für unglaubliche Gräueltaten mitverantwortlich ist: Zehntausendfache Vergewaltigungen, Verstümmelungen, tausende Tote, darunter schwangere Frauen und Säuglinge. In einem Interview mit dem ARD-Magazin gab Murwanashyaka ganz offen zu, welche Rolle er dabei spielte:

    "Die FDLR ist eine Organisation, die straff organisiert ist mit Präsident, bis zur unteren Ebene. Ich betreue diese Organisation, ich bin der Präsident von dieser Organisation, ich weiß ganz genau, was geschieht in dieser Organisation."

    Obwohl Ignace Murwanashyaka schon seit Längerem von Interpol gesucht wurde und auf der "schwarzen Liste" der UN stand, konnte er ungestört von Deutschland aus sein Unwesen treiben.

    "Ich bin hier – warum hat Interpol mich noch nicht festgenommen?"

    Der ARD-Bericht führt 2009 schließlich dazu, dass Murwanashyaka gemeinsam mit einem weiteren führenden FDLR-Mitglied festgenommen wird. In seinem Buch "Leichen im Keller" setzt Frenzel den Fall in einen internationalen Kontext und beleuchtet dabei auch die Rolle der deutschen Politik und Justiz:

    "Wir zeigen eben immer gerade auf Frankreich, England und die USA. Und sagen, die haben ganz widerliche Beziehungen. Das stimmt auch in großen Teilen. Nur wir haben sie eben auch. Und der Fall Murwanashyaka ist weltweit einzigartig. Dass ein Vernichtungskrieg über 6000 Kilometer aus Deutschland heraus geführt wird, so was gab's noch nicht."

    Ein Einzelfall, tragischer Irrtum einer überforderten deutschen Justiz? Mitnichten. Mit der Geschichte der "Deutschland-Connection", der neben Ignace Murwanashyaka noch mehrere andere lange Zeit unbehelligt in Deutschland lebende Täter angehörten, fängt Frenzels Geschichte erst richtig an. Auf den restlichen knapp 300 Seiten hat er akribisch weitere Beispiele zusammengetragen, Ruanda, Guinea Äthiopien, Usbekistan: Details der außenpolitischen Verflechtungen, die man in den Büros des Auswärtigen Amtes und des Verteidigungsministeriums lieber unter der Decke hält. So beschreibt Frenzel, wie das deutsche Verteidigungsministerium seit vielen Jahren Militärkooperationen mit Ländern unterhält, in denen brutale Diktatoren herrschen, wie etwa in Guinea: Dessen späterer Präsident sowie der Chef der Nationalen Polizei wurden jahrelang an einer Eliteschule der Bundeswehr ausgebildet.

    Offiziell geht es bei diesen Kooperationen darum, ihnen Demokratie und Menschenrechte nahe zu bringen. Tatsächlich nutzten die beiden das dort erlernte militärische Wissen aber, um 2007 in einem Stadion in Guineas Hauptstadt Conakry ein Massaker unter der Zivilbevölkerung anzurichten.

    "Wie blutig und verbrecherisch die verschiedenen Diktatoren in Guinea über Jahrzehnte herrschten, war der Welt bekannt. Auch die deutschen Diplomaten im Auswärtigen Amt konnten davor ihre Augen nicht verschließen."

    … schreibt Frenzel.

    "Trotzdem setzte die Bundesregierung ihre Militärkooperation fort. Auch als Anfang 2007 die Armee in aller Öffentlichkeit ihr Blutbad anrichtete, geht das Austauschprogramm weiter. Immer neue Einladungen werden nach Conakry geschickt, immer neue Soldaten des Regimes dürfen an Bundeswehr-Akademien das Kriegshandwerk lernen."

    Frenzel seziert das, was man gemeinhin als "deutsche Realpolitik" bezeichnet, in alle Einzelteile – und er gräbt sich so tief ins Mark, dass es weh tut. Nicht nur im Fall Murwanashyaka - auch hier reichert Frenzel seine Analysen durch ein erstaunliches Insiderwissen an. Etwa dann, wenn er aus Gesprächen mit ehemaligen Militärs und Diplomaten oder geheimen Strategiepapieren und internen Vermerken aus den Ministerien zitiert. "Wandel durch Annäherung" war das zentrale Prinzip der "Neuen Ostpolitik" Willy Brandts – und es prägt die deutsche Außenpolitik bis heute. Doch Markus Frenzel macht klar, von welcher absurden Naivität dieses Prinzip bisweilen getragen ist - und dass es sich dabei oft nur um ein mühsam kaschiertes Deckmäntelchen für die eigenen geostrategischen Interessen handelt.

    Dafür wendet Frenzel seinen Blick auch nach Usbekistan, einem Land, in dem seit vielen Jahren massive Menschenrechtsverletzungen begangen werden - und zu dem Deutschland dennoch besonders enge Beziehungen pflegt. Als das Regime im Mai 2005 in Andischan ein Massaker unter der Zivilbevölkerung mit Hunderten Toten anrichtet, hält die Bundesregierung – anders als die westlichen Verbündeten - der dortigen Regierung weiterhin die Treue. Und sie überweist dem Regime jedes Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag – bis heute. Reines machtpolitisches Kalkül, kritisiert Markus Frenzel:

    "Weil wir einen Krieg in Afghanistan führen, dort unsere Soldaten hinbringen müssen, und die deutsche Bundeswehrlogistik das nur schafft, indem sie einen Zwischenstopp in Usbekistan macht. Und ohne diesen Brückenkopf der Bundeswehr könnten die deutschen Soldaten nicht ausreichend gesichert werden, dort hinzukommen, der Nachschub könnte nicht gesichert werden."

    Frenzel schont weder die derzeitige noch frühere Bundesregierungen und bezieht auch die teilweise mehr als fragwürdige Politik der Entwicklungshilfeorganisationen und politischen Stiftungen in seine Kritik mit ein: Etwa dann, wenn er beschreibt, wie die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung ausgerechnet am 5. Jahrestag des grausamen Massakers von Andischan eine "deutsch-usbekische Medienpartnerschaft" mit einer regierungsnahen usbekischen Organisation besiegelt. Die "Leichen im Keller" im Titel des Buchs muss man wörtlich nehmen: Markus Frenzel spart kein Detail aus, wenn er das unvorstellbar grausame Treiben der weltweiten Schlächter beschreibt. In einem fast literarischen Stil nimmt er sich die Zeit, auch die Hintergründe der blutigen Konflikte zu schildern. Dabei mutet er zwar dem Leser häufige Zeitsprünge und Ortswechsel zu. Wer sich allerdings darauf einlässt, für den ergibt sich am Ende aus all den Mosaiksteinchen ein sehr ernüchterndes Bild deutscher Außenpolitik, die sich doch so gerne besonders moralisch gibt.

    Jeanette Seiffert war das über: Markus Frenzel: Leichen im Keller. Wie Deutschland internationale Kriegsverbrecher unterstützt. Das Buch ist bei dtv erschienen, 440 Seiten kosten 14 Euro 90.