Der Privatdetektiv ist noch sehr jung, er steht am Anfang seiner Karriere. Dafür ist sein erster Klient ein alter und sehr berühmter Mann, eine lebende Legende: Pablo Neruda. Man schreibt das Jahr 1973, es ist ein Schicksalsjahr für Chile; das Jahr, in dem die Regierung Salvador Allendes gestürzt wird, und die Militärdiktatur beginnt.
Der Autor, Roberto Ampuero, war ein Augenzeuge, er weiß, wovon er schreibt. Er gehörte damals zur kommunistischen Jugendorganisation, ging ins Exil nach Kuba und trat einen Weg durch sozialistische Bruderländer an, der ihn nach Leipzig und Ost-Berlin führte. All dies sind auch Stationen seines Romans. Der politische geografische Radius reicht also weit.
Umso privater, fast verstörend intim, wirkt das Anliegen, mit dem Pablo Neruda den Privatdetektiv Cayetano Brulé betraut. Er soll eine Frau ausfindig machen, die Pablo Neruda Anfang der 40er-Jahre in Mexiko kennenlernte, und von der er vermutet, dass sie ihm ein Kind geboren hat. Eine Suche mit Hindernissen, denn die Frau ist spurlos verschwunden, wandert ihrerseits unter wechselnden Identitäten auf verschiedenen Kontinenten.
Und: Cayetano Brulé ist blutiger Anfänger, dies ist sein erster Fall, und er hat nicht die blasseste Ahnung, wie man als Privatdetektiv zu Werke geht. Pablo Neruda versucht, ihm mit den Mitteln der Literatur beizuspringen und empfiehlt ihm die Werke von Georges Simenon und dessen Kommissar Maigret. Eine Lektüre, die schnell auf eine weitere Bedeutungsebene des Romans führt. Roberto Ampuero verkehrt die herkömmliche Perspektive. Der globalisierte Norden wird zum Rand seiner literarischen Welt. Im Zentrum steht Lateinamerika mit all seinen kulturellen Differenzen und mit seinem Chaos:
"Genau wie die Herren Dupin und Sherlock Holmes konnte Maigret nur in stabilen, geordneten Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Frankreich auf seine Weise ermitteln, dort, wo eine vernunftgesteuerte Philosophie die Existenz der Menschen lenkte (...). In Lateinamerika dagegen, wo Improvisation, Willkür und Korruption die Regel waren, war alles möglich. Da, wo ein kommunistisches Land, moderne kapitalistische Metropolen, Ländereien mit feudaler Ausbeutung oder sogar Sklaverei und Urwälder, in denen die Geschichte seit der Steinzeit stehen geblieben zu sein schien, nebeneinander existierten, halfen europäische Detektive auch nicht weiter. So einfach und brutal verhielt es sich."
Womit man bei einem zentralen Umstand dieses Romans angekommen wäre: Roberto Ampuero kommentiert sich selbst, vielleicht in dem Bemühen, auch noch den letzten Leser der Nordhalbkugel mitzunehmen, ihm nicht nur Lateinamerika in all seiner Vielfalt und in allen Verwerfungen zu zeigen, sondern ihm auch noch zu erklären, wie man das alles verstehen soll. Das ist ein klarer Fall von Überhäufung. Und ein inneres Paradoxon, denn man merkt beim Lesen sehr schnell, dass Ampuero mit all seinen Zeiten und Schauplätzen vertraut ist, dass er uns mehr liefern könnte als den Scherenschnitt.
Doch zurück zu Pablo Neruda, der in Chile längst eine Legende ist, und der schon mehrfach Gegenstand literarischer Verarbeitungen war, man denke an Antonio Skarmetas Roman "Mit brennender Geduld" oder an den Film "Il Postino" von Michael Radford.
"Der Fall Neruda" bemüht sich hier um eine Zäsur. Roberto Ampuero zeigt den Dichter lebensmüde, melancholisch und krank, auch von Gewissensbissen getrieben, denn das Kind, das er sucht, ist ein illegitimes Kind. Sein leibliches Kind Malva Marina hat der Dichter samt der Mutter verlassen, zugunsten einer anderen Geliebten. Pablo Neruda kommt mit all seinen Versäumnissen und Verhängnissen selbst zu Wort, Ampuero hat ihm eine Stimme gegeben:
"Vom ersten Augenblick an fühlte ich mich zu Delia del Carril hingezogen. Ihre Ungezwungenheit und Eleganz und die Intellektuellenzirkel, in denen sie verkehrte, faszinierten mich sofort. Ich war 30, sie 50. Ich war gerade in Begleitung von Maria Antonieta und der armen Malva Marina als Konsul nach Spanien gekommen. Der Bürgerkrieg stand vor der Tür. Delia schenkte meinem Leben einen Sinn, sie machte mich zum Kommunisten, verbreitete meine Gedichte und verfeinerte meinen Geschmack und mein Benehmen. Noch am selben Abend, als ich ihr begegnete, legte ich zärtlich meine Hand auf ihre Schulter, und wir trennten uns nie wieder, nie wieder. Bis ich 20 Jahre später Matilde kennenlernte und Delia ihretwegen verließ."
Viele Frauen, viele Gedichte, etwas späte Reue – Ampuero zeigt uns einen Pablo Neruda, der sich nicht frei von Koketterie seinem Selbstmitleid hingibt, und der so abweicht von der üblichen Stilisierung zum Dichterhelden. Neruda wird auf ein menschliches Maß zurückgestutzt, und der Blick durch das Schlüsselloch auf seine erotischen Eskapaden ist durchaus pikant.
Auch der Ermittler Cayetano Brulé hat ein Privatleben, er trennt sich von seiner Ehefrau, einer Aristokratin, die sich der kubanischen Revolution verschrieben hat. Als er dann in der DDR an der FDJ-Hochschule "Wilhelm Pieck", bekannt auch als das "Rote Kloster" recherchiert, beginnt Cayetano eine Affäre mit einer Ostdeutschen. Die Stasi mischt sich ein, und unter der Weltzeituhr am Alexanderplatz trennen sich die beiden wieder, schließlich gibt es ein Ausreiseverbot.
""Solltest du einmal wiederkommen, weißt du, dass ich dich erwarte", sagte sie und ließ seine Hand los.
"Viel Glück, Margaretchen", murmelte er, bevor er sich unter die Menschenmenge mischte. Er würde sie vermissen, dachte er, aber ihm fehlte der Mut, sich noch einmal umzudrehen, um sie ein letztes Mal anzusehen."
Roberto Ampueros Roman "Der Fall Neruda" ist eines jener Bücher, in denen die Welt nichts kostet. Man bereist Chile, Kuba, Bolivien und die DDR; man begegnet Che Guevara und Salvador Allende, man bekommt den Kommunismus und den Kapitalismus erklärt und sieht zu, wie ein Nobelpreisträger auf sein menschliches Maß gebracht wird. Herzensdinge werden nebenbei erledigt und natürlich ein Fall gelöst. Übrigens: Das geschieht fast so schnell und effizient wie bei Georges Simenon, der im Zweifel dann doch die gehaltvollere Lektüre bietet.
Roberto Ampuero: Der Fall Neruda - Cayetano Brulé ermittelt
Roman, aus dem Spanischen übersetzt von Carsten Regling
Bloomsbury Berlin
384 Seiten 22 Euro
Der Autor, Roberto Ampuero, war ein Augenzeuge, er weiß, wovon er schreibt. Er gehörte damals zur kommunistischen Jugendorganisation, ging ins Exil nach Kuba und trat einen Weg durch sozialistische Bruderländer an, der ihn nach Leipzig und Ost-Berlin führte. All dies sind auch Stationen seines Romans. Der politische geografische Radius reicht also weit.
Umso privater, fast verstörend intim, wirkt das Anliegen, mit dem Pablo Neruda den Privatdetektiv Cayetano Brulé betraut. Er soll eine Frau ausfindig machen, die Pablo Neruda Anfang der 40er-Jahre in Mexiko kennenlernte, und von der er vermutet, dass sie ihm ein Kind geboren hat. Eine Suche mit Hindernissen, denn die Frau ist spurlos verschwunden, wandert ihrerseits unter wechselnden Identitäten auf verschiedenen Kontinenten.
Und: Cayetano Brulé ist blutiger Anfänger, dies ist sein erster Fall, und er hat nicht die blasseste Ahnung, wie man als Privatdetektiv zu Werke geht. Pablo Neruda versucht, ihm mit den Mitteln der Literatur beizuspringen und empfiehlt ihm die Werke von Georges Simenon und dessen Kommissar Maigret. Eine Lektüre, die schnell auf eine weitere Bedeutungsebene des Romans führt. Roberto Ampuero verkehrt die herkömmliche Perspektive. Der globalisierte Norden wird zum Rand seiner literarischen Welt. Im Zentrum steht Lateinamerika mit all seinen kulturellen Differenzen und mit seinem Chaos:
"Genau wie die Herren Dupin und Sherlock Holmes konnte Maigret nur in stabilen, geordneten Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Frankreich auf seine Weise ermitteln, dort, wo eine vernunftgesteuerte Philosophie die Existenz der Menschen lenkte (...). In Lateinamerika dagegen, wo Improvisation, Willkür und Korruption die Regel waren, war alles möglich. Da, wo ein kommunistisches Land, moderne kapitalistische Metropolen, Ländereien mit feudaler Ausbeutung oder sogar Sklaverei und Urwälder, in denen die Geschichte seit der Steinzeit stehen geblieben zu sein schien, nebeneinander existierten, halfen europäische Detektive auch nicht weiter. So einfach und brutal verhielt es sich."
Womit man bei einem zentralen Umstand dieses Romans angekommen wäre: Roberto Ampuero kommentiert sich selbst, vielleicht in dem Bemühen, auch noch den letzten Leser der Nordhalbkugel mitzunehmen, ihm nicht nur Lateinamerika in all seiner Vielfalt und in allen Verwerfungen zu zeigen, sondern ihm auch noch zu erklären, wie man das alles verstehen soll. Das ist ein klarer Fall von Überhäufung. Und ein inneres Paradoxon, denn man merkt beim Lesen sehr schnell, dass Ampuero mit all seinen Zeiten und Schauplätzen vertraut ist, dass er uns mehr liefern könnte als den Scherenschnitt.
Doch zurück zu Pablo Neruda, der in Chile längst eine Legende ist, und der schon mehrfach Gegenstand literarischer Verarbeitungen war, man denke an Antonio Skarmetas Roman "Mit brennender Geduld" oder an den Film "Il Postino" von Michael Radford.
"Der Fall Neruda" bemüht sich hier um eine Zäsur. Roberto Ampuero zeigt den Dichter lebensmüde, melancholisch und krank, auch von Gewissensbissen getrieben, denn das Kind, das er sucht, ist ein illegitimes Kind. Sein leibliches Kind Malva Marina hat der Dichter samt der Mutter verlassen, zugunsten einer anderen Geliebten. Pablo Neruda kommt mit all seinen Versäumnissen und Verhängnissen selbst zu Wort, Ampuero hat ihm eine Stimme gegeben:
"Vom ersten Augenblick an fühlte ich mich zu Delia del Carril hingezogen. Ihre Ungezwungenheit und Eleganz und die Intellektuellenzirkel, in denen sie verkehrte, faszinierten mich sofort. Ich war 30, sie 50. Ich war gerade in Begleitung von Maria Antonieta und der armen Malva Marina als Konsul nach Spanien gekommen. Der Bürgerkrieg stand vor der Tür. Delia schenkte meinem Leben einen Sinn, sie machte mich zum Kommunisten, verbreitete meine Gedichte und verfeinerte meinen Geschmack und mein Benehmen. Noch am selben Abend, als ich ihr begegnete, legte ich zärtlich meine Hand auf ihre Schulter, und wir trennten uns nie wieder, nie wieder. Bis ich 20 Jahre später Matilde kennenlernte und Delia ihretwegen verließ."
Viele Frauen, viele Gedichte, etwas späte Reue – Ampuero zeigt uns einen Pablo Neruda, der sich nicht frei von Koketterie seinem Selbstmitleid hingibt, und der so abweicht von der üblichen Stilisierung zum Dichterhelden. Neruda wird auf ein menschliches Maß zurückgestutzt, und der Blick durch das Schlüsselloch auf seine erotischen Eskapaden ist durchaus pikant.
Auch der Ermittler Cayetano Brulé hat ein Privatleben, er trennt sich von seiner Ehefrau, einer Aristokratin, die sich der kubanischen Revolution verschrieben hat. Als er dann in der DDR an der FDJ-Hochschule "Wilhelm Pieck", bekannt auch als das "Rote Kloster" recherchiert, beginnt Cayetano eine Affäre mit einer Ostdeutschen. Die Stasi mischt sich ein, und unter der Weltzeituhr am Alexanderplatz trennen sich die beiden wieder, schließlich gibt es ein Ausreiseverbot.
""Solltest du einmal wiederkommen, weißt du, dass ich dich erwarte", sagte sie und ließ seine Hand los.
"Viel Glück, Margaretchen", murmelte er, bevor er sich unter die Menschenmenge mischte. Er würde sie vermissen, dachte er, aber ihm fehlte der Mut, sich noch einmal umzudrehen, um sie ein letztes Mal anzusehen."
Roberto Ampueros Roman "Der Fall Neruda" ist eines jener Bücher, in denen die Welt nichts kostet. Man bereist Chile, Kuba, Bolivien und die DDR; man begegnet Che Guevara und Salvador Allende, man bekommt den Kommunismus und den Kapitalismus erklärt und sieht zu, wie ein Nobelpreisträger auf sein menschliches Maß gebracht wird. Herzensdinge werden nebenbei erledigt und natürlich ein Fall gelöst. Übrigens: Das geschieht fast so schnell und effizient wie bei Georges Simenon, der im Zweifel dann doch die gehaltvollere Lektüre bietet.
Roberto Ampuero: Der Fall Neruda - Cayetano Brulé ermittelt
Roman, aus dem Spanischen übersetzt von Carsten Regling
Bloomsbury Berlin
384 Seiten 22 Euro