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Manfred Krug: „Ich sammle mein Leben zusammen. Tagebücher 1996-1997“
Ein Charmeur mit Doppelleben

Manfred Krug war in Ost und West gleichermaßen beliebt, als singender Tatort-Kommissar Stoever oder als Rechtsanwalt „Liebling Kreuzberg“. Der kleine Berliner Kanon Verlag veröffentlicht nun seine Tagebücher. Aufzeichnungen gegen die Vergänglichkeit, dabei aber voller Witz und Lebenslust.

Von Jörg Magenau | 27.01.2022
Manfred Krug: "Ich sammle mein Leben zusammen"
Manfred Krug: "Ich sammle mein Leben zusammen" (Autorenportrait: Elke Petra Thonke / Cover: Kanon Verlag)
Manfred Krug kaufte gerne alte Sachen auf Flohmärkten. Sachen, die dann bei ihm in der Wohnung herumstanden. Mal entdeckte er ein unvergleichliches altes Fahrrad, mal einen Bräter aus Eisenguss, dann 70 Brocken Kolophonium, die Streicher für ihren Bogen brauchen, oder 40 Schellackplatten mit Geräuschen aus der Nachkriegszeit, wie sie die „Voice of America“ zur Hörspielproduktion benutzte. „Unwiederbringliche Geräusche“, schreibt Krug, „vom Dampfhammer bis zum Babygeschrei. Sehr interessant. Alles für 120 Mark. Was werden meine Kinder damit machen?“
Krugs Leidenschaft, Dinge vor der Vergänglichkeit zu retten, hatte womöglich etwas mit der Angst vor dem Tod zu tun, auch wenn er behauptete, der Tod schrecke ihn nicht. In seinem jetzt von Krista Maria Schädlich herausgegebenen Tagebuch der Jahre 1996/97 ist der Tod allgegenwärtig. Sein Freund Jurek Becker starb im März 1997 an Darmkrebs, was Krug tief erschütterte. Und doch misstraute er in einem für ihn typischen Zug der eigenen Gerührtheit:
„Ich sitze allein in meiner Bude, mir laufen die Tränen runter. Ich genieße es. Welche wunderbare Eigenschaft an uns Menschen. Der größte Ganove kann sich an den eigenen Tränen reinigen. Ich weiß, warum das Tier über die Fähigkeit zu weinen nicht verfügt. Es braucht sie nicht. Keine Ganoven unter den Tieren.“

Nicht nur für sich, sondern auch für die Nachwelt geschrieben

Ein paar Monate später erlitt Manfred Krug, gerade 60 geworden, einen Schlaganfall. Nachdem er mühsam wieder zu sprechen und zu schreiben gelernt hatte, notierte er, er sei dem Tod näher gewesen als dem Leben. Die Rekonstruktion des Bewusstseinszustandes der Hilf- und Sprachlosigkeit ist ihm eindrucksvoll gut gelungen. Tatsächlich erwies sich das Tagebuch dann als eine Kraftquelle, in der das Schreiben selbst zum Mittel gegen die Vergänglichkeit wurde:
„Während der Krankheit habe ich nichts aufschreiben können. Ich suche nach den vergessenen Tagen. Was ich heute nicht aufschreibe, das werde ich morgen nicht erlebt haben. Jeder über Fünfzig sollte ein Tagebuch führen, weil er dann mehr erlebt.“
Doch Manfred Krug schrieb nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Nachwelt. Dass sein Tagebuch eines Tages veröffentlicht werden könnte, war ihm durchaus bewusst. Ein bisschen Selbstinszenierung ist also schon dabei, wenn der Eindruck entsteht, was für ein guter Typ er doch gewesen ist. Der Eindruck ist nicht verkehrt, nur dass er vielleicht auch selbst ein bisschen zu gut wusste, wie gut er als der gefühlvolle Raubauz rüberkam, als der unbestechliche, standfeste, selbstbewusste, freche „Manne“, dem keiner was kann, als Legende seiner selbst. 1996 war auch deshalb ein besonderes Jahr, weil sein Buch „Abgehauen“ zum Bestseller wurde und bald auch verfilmt werden sollte. Damit wuchs sein Ruhm weiter, berichtete er doch darin von seiner Ausreise aus der DDR 1977, nach der Biermann-Ausbürgerung und seinem Protest dagegen, und präsentierte zudem den Tonbandmitschnitt, den er von einem Treffen mit dem SED-Funktionär Werner Lamberz und DDR-Künstlern in seinem Haus heimlich angefertigt hatte.

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Lebenskünstler, der über manchen Abgrund segelte

Privat war sein Leben allerdings alles andere als einfach – und auch darüber schrieb er. Seine Frau Ottilie und er lebten in getrennten, benachbarten Wohnungen. In der eigenen war seine Geliebte Petra fast jeden Abend zu Besuch und mit ihr das im Januar 1996 vier Monate alte Töchterchen Marlene. Ottilie wusste nichts davon. Erst als die beiden Frauen sich nach seinem Schlaganfall am Krankenbett begegneten, flog das Doppelleben auf, um dann aber einfach weiterzugehen wie zuvor.
Der Schauspieler, Chansonnier und Autor Manfred Krug auf einem Foto aus dem Jahr 1990.
Der Schauspieler, Chansonnier und Autor Manfred Krug auf einem Foto aus dem Jahr 1990. (picture alliance / dpa - Fotoreport)
Krug war ein gesamtdeutscher Held, der in beiden deutschen Staaten gut zu leben wusste, ohne sich je ganz vereinnahmen zu lassen. Seine Schlagfertigkeit war sein Markenzeichen, ob als „Tatort“-Kommissar Stoever oder als Rechtsanwalt Liebling aus der Serie „Liebling Kreuzberg“, für die Jurek Becker das Drehbuch schrieb.
Manfred Krug als Rechtsanwalt Liebling in der Fernsehserie "Liebling Kreuzberg".
Manfred Krug als Rechtsanwalt Liebling in der Fernsehserie "Liebling Kreuzberg". (dpa-Zentralbild)
Krugs respektlose Bemerkungen über Freund und Feind sind vergnüglich zu lesen. So heißt es über das Tagebuch des DDR-Autors Fritz Rudolf Fries, der alle Namen abzukürzen pflegte:  „Nach drei Seiten Fries werde ich derart namensgierig, dass ich erstmal eine halbe Seite Telefonbuch lesen muss.“
Oder über Antonionis Film „Der Schrei“:  „Ich hätte nie geglaubt, dass man in Italien so viele graue, neblige, trostlose Drehtage zusammenbringen kann.“
Krug war ein Lebenskünstler, der mit seinem Schnodder-Charme über so manche Abgründe hinwegsegelte. Jurek Becker bezeichnete ihn zurecht als eine Optimismusmaschine. Das Tagebuch zeigt ihn als einen Autor, der genau das, was ihn als Schauspieler so erfolgreich gemacht hat, nämlich immer und mit Nachdruck er selbst, Manfred Krug, zu sein, auch im Schreiben praktizierte. Sein Witz war unschlagbar. Seine Respektlosigkeit eine Waffe. Und so ist es ein Trost, ihm beim Leben und Überleben zuzusehen.
Zum Glück wird es bei dieser einen Tagebuchveröffentlichung nicht bleiben. Der Berliner Kanon Verlag, der damit einen echten Coup gelandet hat, hat für den Herbst und das folgende Frühjahr bereits die Tagebücher der Jahre 1998-2003 angekündigt.
Manfred Krug: „Ich sammle mein Leben zusammen. Tagebücher 1996-1997“
Kanon Verlag, Berlin
208 Seiten, 22 Euro.