Gerwald Herter: Und nun zu Pater Eberhard von Gemmingen. Er ist seit vielen Jahren Chefredakteur der deutschen Sektion von Radio Vatikan, hat viele Enzykliken gelesen und deren Veröffentlichung begleitet. Mit ihm bin ich nun in Rom verbunden. Guten Morgen, Herr von Gemmingen.
Eberhard von Gemmingen: Schönen guten Morgen!
Herter: Der Rat der Evangelischen Kirchen in Deutschland ist der Katholischen Kirche in diesem Fall zuvor gekommen und hat schon Anfang des Monats eine Analyse der Wirtschaftskrise veröffentlicht. Auch das war spät, aber Papst Benedikt hat sich noch mehr Zeit gelassen. Wie erklären Sie sich das?
von Gemmingen: Weil die Erklärung, weil die Enzyklika wirklich sehr substanziell sein sollte und auch ist. Deswegen wurde wirklich sehr viel nachgedacht, und zwar von Personen, die was verstehen von dem Geschäft, rund um den Globus, also von Lateinamerika bis Asien, und deswegen hat das eben so lange gebraucht, damit es wirklich ein profunder Text ist, der allen möglichen Gesichtspunkten gerecht wird.
Herter: Italienische Zeitungen berichten, es habe Probleme mit der lateinischen Urfassung des Textes gegeben, weil bestimmte moderne Begriffe wie Steuerparadies zum Beispiel im Lateinischen bisher nicht existieren. Ist das aus Ihrer Sicht vorstellbar?
von Gemmingen: Nein. Italienische Zeitungen haben eine gute Fantasie, um Geld zu verdienen, weil der lateinische Text spielt überhaupt keine Rolle. Der Urtext ist wahrscheinlich deutsch und liegt jetzt vor in sechs Sprachen. Italienische Zeitungen fantasieren.
Herter: Ich muss trotzdem noch mal nachfragen. Papst Pius XI. hatte zu seiner Zeit innerhalb von zwei Wochen drei Enzykliken veröffentlicht. Das war in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Mahlen die Mühlen des Vatikan inzwischen doch etwas langsamer?
von Gemmingen: Ganz im Gegenteil. Eine Enzyklika ist manchmal ein Schreiben von drei Seiten und manchmal von 100 Seiten. Manchmal hat es nur einen theologischen Inhalt, den der Papst bei seiner eigenen Feder schreiben kann; ein anderes Mal braucht man das Fachwissen von tausend Leuten. Bekanntermaßen braucht eine Einrichtung wie die UNO oder Ähnliches, die UNESCO auch, Zeit, weil dann eben die verschiedenen Gesichtspunkte einbezogen werden müssen. Also man kann Enzykliken so nicht vergleichen.
Herter: Papst Benedikt hat sich ja bereits in den letzten Wochen wiederholt zu wirtschafts- und sozialpolitischen Themen geäußert, zum Beispiel auch im Rahmen seiner Afrika-Reise. Wie weit kann er denn gehen in seiner Kritik des Kapitalismus?
von Gemmingen: Es geht ja nicht nur um die Kritik des Kapitalismus; es geht um die Frage, woher Armut kommt, woher Ungerechtigkeit kommt, ob ein falsches Menschenbild hinter unserem Wirtschaften steht, nämlich dass der Mensch eigentlich nur eine Konsummaschine ist und sonst keine Bedürfnisse hat. Es geht jetzt also nicht nur darum, was Sie sagten.
Herter: Aber in der Katholischen Kirche hat Kapitalismuskritik eine gewisse Tradition. Ich denke an Oswald von Nell-Breuning oder an die Befreiungstheologie. Wird sich der Papst nicht doch in die Nähe dieser Linie bewegen?
von Gemmingen: Ja, sicher. Das, glaube ich, kann man schon sagen. Er kritisiert halt vor allem einen Zugriff, der so tut, als sei eben der Mensch nur ein Teil einer Konsummaschine, und in dem Sinn kritisiert er das, was man so allgemein Kapitalismus nennt. Nun ist Kapitalismuskritik manchmal auch sehr oberflächlich und das hat ja auch keinen Zweck, weil der Sozialismus oder der Kommunismus ist ja untergegangen.
Herter: Morgen beginnt im italienischen L'Aquila, bei Ihnen in der Nähe sozusagen, der Weltwirtschaftsgipfel. Kann eine Enzyklika Ratschläge an die Mächtigen der Welt enthalten?
von Gemmingen: Das glaube ich schon. Freilich: Diese Enzyklika muss sehr gründlich gelesen werden und so ein Treffen in L'Aquila kann ja auch nicht von heute auf morgen die Weichen umstellen, weil Gott sei Dank sind die Regierungen keine Diktaturen, und daher ist es ein Denkanstoß, der hoffentlich Früchte bringt auch in L'Aquila, aber wenn der Denkanstoß wirklich verstanden wird, braucht er schon eine gewisse Zeit.
Herter: Wie groß ist der Anteil von Papst Benedikt an dem Text? Sie haben es angedeutet: es gibt verschiedene Methoden, manchmal wird er vorbereitet von anderen. Ist das so eine Art Schlussredaktion, die der Papst da macht, oder war er von Anfang an sehr intensiv beteiligt?
von Gemmingen: Es gibt im Vatikan einen Rat für Sozialfragen, zu dem unter anderem zum Beispiel auch Herr Tietmeyer gehört, der ehemalige Bundesbankpräsident, und diese Akademie für Sozialfragen hat sich vor Jahren schon mit der ganzen Problematik beschäftigt und all diese Überlegungen sind eingeflossen. Ich denke auch, dass am Schluss der Papst redigiert. Aber für die ganzen Fachfragen, die da auch drinstecken, braucht er natürlich permanent andere Fachleute an der Seite, damit die Formulierung und die Aussageabsicht dann wirklich stimmt.
Herter: Im Anschluss an den G8-Gipfel wird der amerikanische Präsident Barack Obama den Papst treffen. Was ist davon zu erwarten?
von Gemmingen: Eine atmosphärisch gute Stimmung ist davon zu erwarten. Ich meine, große Entscheidungen werden dort ja nicht getroffen, aber mir scheint, die Atmosphäre ist wichtig, dass man die Fragen offen ausspricht gerade auch in Sachen Abtreibung, wo Obama sehr offen gesagt hat, ich bin anderer Meinung als die Katholische Kirche, aber wir müssen trotzdem zusammenarbeiten zum Wohl des Menschen. Ich glaube, für eine gute Zusammenarbeit auf atmosphärischer Ebene ist das schon sehr wichtig.
Herter: Pater Eberhard von Gemmingen, Chefredakteur der deutschen Sektion von Radio Vatikan, über die Sozialenzyklika Caritas in veritate, die heute veröffentlicht wird. Vielen Dank nach Rom.
von Gemmingen: Bitte schön!
Eberhard von Gemmingen: Schönen guten Morgen!
Herter: Der Rat der Evangelischen Kirchen in Deutschland ist der Katholischen Kirche in diesem Fall zuvor gekommen und hat schon Anfang des Monats eine Analyse der Wirtschaftskrise veröffentlicht. Auch das war spät, aber Papst Benedikt hat sich noch mehr Zeit gelassen. Wie erklären Sie sich das?
von Gemmingen: Weil die Erklärung, weil die Enzyklika wirklich sehr substanziell sein sollte und auch ist. Deswegen wurde wirklich sehr viel nachgedacht, und zwar von Personen, die was verstehen von dem Geschäft, rund um den Globus, also von Lateinamerika bis Asien, und deswegen hat das eben so lange gebraucht, damit es wirklich ein profunder Text ist, der allen möglichen Gesichtspunkten gerecht wird.
Herter: Italienische Zeitungen berichten, es habe Probleme mit der lateinischen Urfassung des Textes gegeben, weil bestimmte moderne Begriffe wie Steuerparadies zum Beispiel im Lateinischen bisher nicht existieren. Ist das aus Ihrer Sicht vorstellbar?
von Gemmingen: Nein. Italienische Zeitungen haben eine gute Fantasie, um Geld zu verdienen, weil der lateinische Text spielt überhaupt keine Rolle. Der Urtext ist wahrscheinlich deutsch und liegt jetzt vor in sechs Sprachen. Italienische Zeitungen fantasieren.
Herter: Ich muss trotzdem noch mal nachfragen. Papst Pius XI. hatte zu seiner Zeit innerhalb von zwei Wochen drei Enzykliken veröffentlicht. Das war in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Mahlen die Mühlen des Vatikan inzwischen doch etwas langsamer?
von Gemmingen: Ganz im Gegenteil. Eine Enzyklika ist manchmal ein Schreiben von drei Seiten und manchmal von 100 Seiten. Manchmal hat es nur einen theologischen Inhalt, den der Papst bei seiner eigenen Feder schreiben kann; ein anderes Mal braucht man das Fachwissen von tausend Leuten. Bekanntermaßen braucht eine Einrichtung wie die UNO oder Ähnliches, die UNESCO auch, Zeit, weil dann eben die verschiedenen Gesichtspunkte einbezogen werden müssen. Also man kann Enzykliken so nicht vergleichen.
Herter: Papst Benedikt hat sich ja bereits in den letzten Wochen wiederholt zu wirtschafts- und sozialpolitischen Themen geäußert, zum Beispiel auch im Rahmen seiner Afrika-Reise. Wie weit kann er denn gehen in seiner Kritik des Kapitalismus?
von Gemmingen: Es geht ja nicht nur um die Kritik des Kapitalismus; es geht um die Frage, woher Armut kommt, woher Ungerechtigkeit kommt, ob ein falsches Menschenbild hinter unserem Wirtschaften steht, nämlich dass der Mensch eigentlich nur eine Konsummaschine ist und sonst keine Bedürfnisse hat. Es geht jetzt also nicht nur darum, was Sie sagten.
Herter: Aber in der Katholischen Kirche hat Kapitalismuskritik eine gewisse Tradition. Ich denke an Oswald von Nell-Breuning oder an die Befreiungstheologie. Wird sich der Papst nicht doch in die Nähe dieser Linie bewegen?
von Gemmingen: Ja, sicher. Das, glaube ich, kann man schon sagen. Er kritisiert halt vor allem einen Zugriff, der so tut, als sei eben der Mensch nur ein Teil einer Konsummaschine, und in dem Sinn kritisiert er das, was man so allgemein Kapitalismus nennt. Nun ist Kapitalismuskritik manchmal auch sehr oberflächlich und das hat ja auch keinen Zweck, weil der Sozialismus oder der Kommunismus ist ja untergegangen.
Herter: Morgen beginnt im italienischen L'Aquila, bei Ihnen in der Nähe sozusagen, der Weltwirtschaftsgipfel. Kann eine Enzyklika Ratschläge an die Mächtigen der Welt enthalten?
von Gemmingen: Das glaube ich schon. Freilich: Diese Enzyklika muss sehr gründlich gelesen werden und so ein Treffen in L'Aquila kann ja auch nicht von heute auf morgen die Weichen umstellen, weil Gott sei Dank sind die Regierungen keine Diktaturen, und daher ist es ein Denkanstoß, der hoffentlich Früchte bringt auch in L'Aquila, aber wenn der Denkanstoß wirklich verstanden wird, braucht er schon eine gewisse Zeit.
Herter: Wie groß ist der Anteil von Papst Benedikt an dem Text? Sie haben es angedeutet: es gibt verschiedene Methoden, manchmal wird er vorbereitet von anderen. Ist das so eine Art Schlussredaktion, die der Papst da macht, oder war er von Anfang an sehr intensiv beteiligt?
von Gemmingen: Es gibt im Vatikan einen Rat für Sozialfragen, zu dem unter anderem zum Beispiel auch Herr Tietmeyer gehört, der ehemalige Bundesbankpräsident, und diese Akademie für Sozialfragen hat sich vor Jahren schon mit der ganzen Problematik beschäftigt und all diese Überlegungen sind eingeflossen. Ich denke auch, dass am Schluss der Papst redigiert. Aber für die ganzen Fachfragen, die da auch drinstecken, braucht er natürlich permanent andere Fachleute an der Seite, damit die Formulierung und die Aussageabsicht dann wirklich stimmt.
Herter: Im Anschluss an den G8-Gipfel wird der amerikanische Präsident Barack Obama den Papst treffen. Was ist davon zu erwarten?
von Gemmingen: Eine atmosphärisch gute Stimmung ist davon zu erwarten. Ich meine, große Entscheidungen werden dort ja nicht getroffen, aber mir scheint, die Atmosphäre ist wichtig, dass man die Fragen offen ausspricht gerade auch in Sachen Abtreibung, wo Obama sehr offen gesagt hat, ich bin anderer Meinung als die Katholische Kirche, aber wir müssen trotzdem zusammenarbeiten zum Wohl des Menschen. Ich glaube, für eine gute Zusammenarbeit auf atmosphärischer Ebene ist das schon sehr wichtig.
Herter: Pater Eberhard von Gemmingen, Chefredakteur der deutschen Sektion von Radio Vatikan, über die Sozialenzyklika Caritas in veritate, die heute veröffentlicht wird. Vielen Dank nach Rom.
von Gemmingen: Bitte schön!