EU-Krisengipfel in Brüssel
"Ein entscheidender Moment für Europa"

Die außenpolitische Kehrtwende der USA unter Donald Trump mischt Europa auf. Bei einem Krisengipfel in Brüssel hat die EU über die Konsequenzen beraten. Viele Staats- und Regierungschefs bekräftigten, dringend aufrüsten zu müssen.

    Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen (r), der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (M), und der Präsident des Europäischen Rates, Antonio Costa, treffen im Gebäude des Europäischen Rates zu einem EU-Gipfel ein.
    EU-Sondergipfel in Brüssel: Hunderte Milliarden Euro will EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen für Rüstung mobilisieren. (Omar Havana/AP/dpa)
    Auf einem Sondergipfel haben die EU-Staats- und Regierungschefs über eine gemeinsame europäische Verteidigung und weitere Hilfen für die Ukraine beraten. Im Mittelpunkt stand ein Vorschlag von Kommissionspräsidentin von der Leyen, der von den 27 Staaten schließlich auch unterstützt wurde. Sie regte an, Europa gemeinsam aufzurüsten und dafür bis zu 800 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Von der Leyen sprach von einem Wendepunkt. "Dies ist ein entscheidender Moment für Europa", sagte sie am Rande des Gipfels. "Europa sieht sich einer klaren und gegenwärtigen Gefahr gegenüber." Deshalb müsse Europa in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen.
    Sie habe den Staats- und Regierungschefs einen Wiederaufrüstungsplan vorgelegt, ergänzte von der Leyen. Die Kommissionschefin hatte "ein neues EU-Finanzierungsinstrument" vorgeschlagen, um die Mitgliedsländer bei der Aufrüstung zu unterstützen. Es soll Darlehen in Höhe von 150 Milliarden Euro umfassen, die durch den EU-Haushalt abgesichert sind. Sie sprach sich außerdem dafür aus, die europäischen Schuldenregeln zunächst für vier Jahre zu lockern.

    Auch Scholz für Lockerung der Schuldenregeln

    Bundeskanzler Scholz will noch weiter gehen. Er sprach sich für "eine langfristige Anpassung des Regelwerks" aus, damit die Länder "Spielräume haben für ihre langfristigen Investitionen in Verteidigung und Sicherheit".
    Der Vorstoß spiegelt auf europäischer Ebene wider, was die möglichen Koalitionspartner Union und SPD unter CDU-Chef Merz auch national anstreben. Sie hatten in den Sondierungsgesprächen vereinbart, Verteidigungsausgaben weitgehend von der Schuldenbremse auszunehmen.

    Tusk: "Gut koordinierte Militärmacht aufbauen"

    Polens Regierungschef Tusk sagte, Russland werde den Rüstungswettlauf "verlieren wie die Sowjetunion vor 40 Jahren". Europa müsse sich dem von Russland initiierten Wettrüsten stellen und es gewinnen, sagte Tusk, dessen Land in diesem Halbjahr den EU-Ratsvorsitz innehat. "Es muss eine unserer Prioritäten sein, alle unsere Kapazitäten in Europa zu koordinieren und tatsächlich eine einzige, gut koordinierte Militärmacht aufzubauen", sagte Tusk.
    Der Vorschlag des französischen Präsidenten Macron, das Atomwaffenarsenal des Landes zum Schutz Europas auszuweiten, stieß auf dem Gipfel auf unterschiedliche Reaktionen. Bundeskanzler Scholz sagte, Europa sollte eine Beteiligung der USA an der nuklearen Abschreckung nicht aufgeben. Litauen und Lettland begrüßten den Vorschlag.

    Auch Selenskyj in Brüssel

    Thema des Krisengipfels war auch die europäische Unterstützung für die Ukraine. Am Rande des Gipfels stellte sich von der Leyen klar hinter Kiew. Europa müsse auch die Ukraine in die Lage versetzen, sich selbst zu schützen, sagte sie. An dem Treffen nahm auch der ukrainische Präsident Selenskyj teil. Dieser dankte den europäischen Staaten für ihre Unterstützung. Sein Land sei nicht alleine, betonte Selenskyj. Er verwies auf die Anstrengungen der Ukraine, eine stärkere eigene Verteidigungsproduktion aufzubauen.
    Der voraussichtlich nächste Bundeskanzler Merz beriet vor dem Gipfel mit Ratspräsident Costa darüber, wie die EU-Staaten ihre Verteidigungsfähigkeit schnell stärken und die Ukraine weiter angemessen unterstützen können.

    Rutte vorsichtig optimistisch

    NATO-Generalsekretär Rutte hat die Hoffnung geäußert, dass die Gespräche zwischen der Ukraine und den Vereinigten Staaten zu einem positiven Ergebnis führen könnten. Rutte sagte in Brüssel, er begrüße es, dass beide Seiten derzeit über Wege "nach vorne" diskutierten. Er sei vorsichtig optimistisch. Zuvor hatte der ukrainische Präsident Selenskyj mitgeteilt, dass sich Kiew und Washington auf weitere Gespräche zur Beendigung des russischen Angriffskriegs geeinigt hätten.
    Selenskyj warb in Brüssel für eine partielle Waffenruhe, die Luftkämpfe und Kämpfe auf See umfassen soll. Er forderte die EU-Staats- und Regierungschefs auf, dies zu unterstützen, da es ein Weg zum Frieden sein könne. Jeder müsse sicherstellen, dass Russland als alleiniger Urheber dieses Krieges die Notwendigkeit akzeptiere, ihn zu beenden, sagte der Präsident. Eine Feuerpause am Himmel und auf See sei leicht zu überwachen.
    Hintergrund des Sondergipfels ist die Neuausrichtung der US-Außen- und Sicherheitspolitik unter Präsident Trump. Die USA hatten zuletzt ihre Militärhilfe für die Ukraine ausgesetzt. Außerdem wurde der Zugriff der Ukraine zumindest auf bestimmte Daten amerikanischer Geheimdienste gestoppt. Frankreich stellt der Ukraine daher nun eigene Geheimdienstinformationen zur Verfügung.

    Pistorius will Wegfall der US-Hilfe für Ukraine kompensieren

    Bundesverteidigungsminister Pistorius will die von Präsident Trump vorerst gestoppte US-Militärhilfe für die Ukraine zusammen mit internationalen Partnern möglichst ersetzen. Deutschland und Großbritannien würden eine Führungsrolle bei den Rüstungslieferungen und der Hilfe übernehmen, sagte der SPD-Politiker in Berlin. Er hatte sich zuvor mit seinem ukrainischen Amtskollegen Umjerow getroffen. Pistorius bestätigte zugleich, dass bei den Sondierungen mit der Union zur Bildung einer neuen Bundesregierung auch über ein schon länger diskutiertes Hilfspaket im Umfang von drei Milliarden Euro für die Ukraine gesprochen werde. Sollte die Finanzierung gelingen, sei unter anderem die Lieferung weiterer Luftverteidigungssysteme mit Lenkflugkörpern möglich.
    Diese Nachricht wurde am 06.03.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.