Es ging um Milliarden von Steuergeldern und dennoch nahm sich die Szenerie in den tristen Gebäuden der Europäischen Union in Brüssel abwechselnd wie ein Gangster-, Science-Fiction- oder schlechter Dokumentarfilm aus. In der Nacht vom 7. auf den 8. Mai 2010 wurde europäische Geschichte geschrieben. Nach Entscheidungen der nationalen Parlamente beschlossen in jener Nacht die europäischen Staats- und Regierungschefs die sogenannte Griechenlandhilfe, um den notleidenden griechischen Staat und vor allem die Banken vor der Pleite zu retten. Mit dem Ziel, den Bestand der Eurogruppe letztlich zu sichern.
Wichtige, bis dahin geltende Vereinbarungen und Zielvorgaben, die sogenannten Konvergenzkriterien, wie Bekämpfung der Inflation, Preisstabilität oder Begrenzung staatlicher Schulden, wurden zugunsten der Währungsunion aufgegeben. Die kuschelige Gemeinschaft der wirtschaftlichen Vernunft vorzuziehen, das ist aus der Sicht des Ökonomen Joachim Starbatty der Sündenfall, der jene Nacht im Mai 2010 zu so einem einschneidenden Datum macht.
"Dann passierte eben der erste Rechtsbruch, dass diese Konvergenzkriterien nicht ernst genommen wurden. Sie sollten, wie die Politik immer gesagt hatte, eng und strikt ausgelegt werden, dabei sind sie weit und lax ausgelegt worden."
Starbatty war und ist einer der schärfsten Kritiker des Euro. Schon vor dessen Einführung hat er zusammen mit drei Kollegen vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen geklagt – ebenso erfolglos wie dann 2010 gegen das Euro-Rettungsprogramm. Für ihn wurde der Euro nicht nur überhastet und mit den falschen Ländern eingeführt. Vielmehr sind seit seiner Einführung auch zentrale europäische Prinzipien aufgegeben worden. Der 7. Mai sei ein symbolisches Datum dafür, dass die Verantwortung der einzelnen Regierungen auf die anonyme Euro-Gemeinschaft verlagert worden sei.
"Das ist ein marktwirtschaftlicher Mechanismus: Du triffst Entscheidungen als Regierung und musst dafür auch gerade stehen. Und wenn du das nicht kannst, dann musst du eben deine Politik ändern. Und man hat diese No-bailout-Klausel dann im Rahmen des politischen Prozesses aufgehoben. Und das bedeutet, dass die Länder nicht mehr selbst verantwortlich sind für ihre Finanzen, sondern dass die Gemeinschaft jetzt für die Finanzen verantwortlich ist. Und das kann auf Dauer nie funktionieren. Denn wenn einzelne Regierungen entscheiden können, aber die Haftung von anderen übernommen werden, dann tritt das ein, was die Ökonomen 'moral hazard' nennen, die leichtfertige Vernachlässigung von Pflichten, die man in Verträgen eingegangen ist. Und das haben wir erlebt und das werden wir auch weiter erleben."
Das, was sich in den letzten drei bis fünf Jahren als große europäische Finanzkrise präsentiert, ist hauptsächlich eine Krise des Euro. Diese These entwickelt Starbatty in seinem "Tatort Euro", in dem er Idee und Geschichte des Euro analysiert. Gleichzeitig erzählt er in einem beinahe journalistischen Stil von nächtelangen Sitzungen in europäischen Hauptstädten und skurrilen Entscheidungen.
Dennoch ist es ein ökonomisches Buch, das auch nach der Entscheidung für die Zypernhilfen aktueller denn je ist. Denn aus der Sicht Starbattys ist die einheitliche europäische Währung schon von der Konstruktion her zu unflexibel, um auf die so unterschiedlichen Bedingungen in den Euroländern angemessen zu reagieren. Dienten die Wechselkurse noch als ein Ventil zwischen den Volkswirtschaften, so drohe nun jede Turbulenz in einem noch so kleinen Euroland die gesamte Union zu sprengen.
Die größte Gefahr hat Starbatty schnell ausgemacht: Sie liege in der Illusion, man könne unbegrenzt Geld ausgeben, ohne die entsprechende Deckung im realen Wirtschaftsaufkommen zu haben. Sein Credo ist deshalb die Bekämpfung der Inflation, weshalb er nicht müde wird, die alte Bundesbank zu DM-Zeiten zu loben, die mit ihrer restriktiven Politik Haushalt und Wirtschaft gedeckelt hat – mit dem Ergebnis von Sicherheit und Stabilität, zumindest aus der Sicht der Ökonomen. Ein Mechanismus, der innerhalb des Euro nicht mehr möglich sei.
"Weil wir diese passgenauen Geldpolitiken nicht haben, die mit höheren Zinsen und verschiedenen Geldmengenaggregaten arbeiten, sondern nur eine einheitliche Geldpolitik in einem heterogenen Wirtschaftsraum, da gibt es natürlich Schwierigkeiten."
Mitte des vorigen Jahrzehnts hatte beispielsweise das niedrige Zinsniveau im nördlichen Euroraum durchaus einen Sinn, führte aber im Süden zu einer plötzlichen und unrealistischen Expansion. Sie mündete unter anderem in jene Immobilienblase, deren Platzen in ganz entscheidendem Maße die Krise auslösen sollte. So sind die Notlagen in Ländern wie Spanien, Griechenland oder Portugal aus der Sicht von Starbatty nicht allein auf Fehler einzelner Regierungen zurückzuführen, sondern hauptsächlich struktureller Art. Der Euro sei ohne eine gemeinsame politische Basis starr und unflexibel.
"Wenn man sagt, wir fangen mit der gemeinsamen Währung an und hoffen dann darauf und setzen dann darauf, dass die anderen Politiken, die bisher nicht gleichnamig waren, dann gleichnamig werden, das funktioniert nicht. Weil dann die Länder bei ihrer alten Politik bleiben. Wenn man also eine gemeinsame Währung schaffen will, dann nur dann, wenn die Länder auf Dauer gezeigt haben, dass sie zusammenpassen und dass auch die Politiker zusammenpassen."
Nun argumentiert Starbatty häufig so, als könne man alle Uhren wieder zurückdrehen. Tatsächlich gehört der Ökonom, der bis zu seiner Emeritierung an der Tübinger Universität gelehrt hat, zu den prominenten Vertretern seiner Zunft, die den Austritt einzelner Länder aus dem Euro befürworten – und sei es auch nur vorübergehend. Nur wenn kranke Länder ihre Währung abwerten, könnten sie sich erholen, was ihnen jetzt innerhalb des Euro verwehrt sei.
"Dann verlieren diese Länder ihre wichtigsten Ressourcen, gute Arbeitskräfte. Wer soll denn noch als Kapitalgeber in dieses Land kommen, wenn die besten Leute abwandern. Die Versteppung dieser Länder, das ist das große Problem und da muss man ansetzen."
Starbatty ist kein eingefleischter Anti-Europäer, voller Ressentiments. Seine offensichtliche Sympathie für die neu gegründete Anti-Europapartei "Alternative für Deutschland" ist vielleicht zunächst nicht sehr viel mehr als die hilflose Suche nach irgendeiner Alternative. Im Kern hat sein Buch durchaus eine europäische Seite.
Anders als dem Star-Ökonomen Hans-Werner Sinn geht es Starbatty nicht nur um Staatskredite und dubiose Finanzierungen, sondern um strukturelle Fehlkonstruktionen beim Euro selbst. Allerdings bleibt auch er dabei weitgehend auf der ökonomischen Ebene stehen und greift damit an vielen Stellen zu kurz. Denn die Begriffe "Recht und Demokratie" aus dem Untertitel seines Buches bedeuten doch sehr viel mehr als nur "Vermögen" zu "schützen". Der Bedeutungsverlust nationaler Parlamente, aber auch Krisensymptome wie eine immens hohe Jugendarbeitslosigkeit oder gravierende Einschnitte im sozialen Bereich in den südlichen Euroländern sind weitreichender.
Joachim Starbatty: "Tatort Euro. Bürger, schützt das Recht, die Demokratie und euer Vermögen"
Europa Verlag, 320 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-944-30503-5
Wichtige, bis dahin geltende Vereinbarungen und Zielvorgaben, die sogenannten Konvergenzkriterien, wie Bekämpfung der Inflation, Preisstabilität oder Begrenzung staatlicher Schulden, wurden zugunsten der Währungsunion aufgegeben. Die kuschelige Gemeinschaft der wirtschaftlichen Vernunft vorzuziehen, das ist aus der Sicht des Ökonomen Joachim Starbatty der Sündenfall, der jene Nacht im Mai 2010 zu so einem einschneidenden Datum macht.
"Dann passierte eben der erste Rechtsbruch, dass diese Konvergenzkriterien nicht ernst genommen wurden. Sie sollten, wie die Politik immer gesagt hatte, eng und strikt ausgelegt werden, dabei sind sie weit und lax ausgelegt worden."
Starbatty war und ist einer der schärfsten Kritiker des Euro. Schon vor dessen Einführung hat er zusammen mit drei Kollegen vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen geklagt – ebenso erfolglos wie dann 2010 gegen das Euro-Rettungsprogramm. Für ihn wurde der Euro nicht nur überhastet und mit den falschen Ländern eingeführt. Vielmehr sind seit seiner Einführung auch zentrale europäische Prinzipien aufgegeben worden. Der 7. Mai sei ein symbolisches Datum dafür, dass die Verantwortung der einzelnen Regierungen auf die anonyme Euro-Gemeinschaft verlagert worden sei.
"Das ist ein marktwirtschaftlicher Mechanismus: Du triffst Entscheidungen als Regierung und musst dafür auch gerade stehen. Und wenn du das nicht kannst, dann musst du eben deine Politik ändern. Und man hat diese No-bailout-Klausel dann im Rahmen des politischen Prozesses aufgehoben. Und das bedeutet, dass die Länder nicht mehr selbst verantwortlich sind für ihre Finanzen, sondern dass die Gemeinschaft jetzt für die Finanzen verantwortlich ist. Und das kann auf Dauer nie funktionieren. Denn wenn einzelne Regierungen entscheiden können, aber die Haftung von anderen übernommen werden, dann tritt das ein, was die Ökonomen 'moral hazard' nennen, die leichtfertige Vernachlässigung von Pflichten, die man in Verträgen eingegangen ist. Und das haben wir erlebt und das werden wir auch weiter erleben."
Das, was sich in den letzten drei bis fünf Jahren als große europäische Finanzkrise präsentiert, ist hauptsächlich eine Krise des Euro. Diese These entwickelt Starbatty in seinem "Tatort Euro", in dem er Idee und Geschichte des Euro analysiert. Gleichzeitig erzählt er in einem beinahe journalistischen Stil von nächtelangen Sitzungen in europäischen Hauptstädten und skurrilen Entscheidungen.
Dennoch ist es ein ökonomisches Buch, das auch nach der Entscheidung für die Zypernhilfen aktueller denn je ist. Denn aus der Sicht Starbattys ist die einheitliche europäische Währung schon von der Konstruktion her zu unflexibel, um auf die so unterschiedlichen Bedingungen in den Euroländern angemessen zu reagieren. Dienten die Wechselkurse noch als ein Ventil zwischen den Volkswirtschaften, so drohe nun jede Turbulenz in einem noch so kleinen Euroland die gesamte Union zu sprengen.
Die größte Gefahr hat Starbatty schnell ausgemacht: Sie liege in der Illusion, man könne unbegrenzt Geld ausgeben, ohne die entsprechende Deckung im realen Wirtschaftsaufkommen zu haben. Sein Credo ist deshalb die Bekämpfung der Inflation, weshalb er nicht müde wird, die alte Bundesbank zu DM-Zeiten zu loben, die mit ihrer restriktiven Politik Haushalt und Wirtschaft gedeckelt hat – mit dem Ergebnis von Sicherheit und Stabilität, zumindest aus der Sicht der Ökonomen. Ein Mechanismus, der innerhalb des Euro nicht mehr möglich sei.
"Weil wir diese passgenauen Geldpolitiken nicht haben, die mit höheren Zinsen und verschiedenen Geldmengenaggregaten arbeiten, sondern nur eine einheitliche Geldpolitik in einem heterogenen Wirtschaftsraum, da gibt es natürlich Schwierigkeiten."
Mitte des vorigen Jahrzehnts hatte beispielsweise das niedrige Zinsniveau im nördlichen Euroraum durchaus einen Sinn, führte aber im Süden zu einer plötzlichen und unrealistischen Expansion. Sie mündete unter anderem in jene Immobilienblase, deren Platzen in ganz entscheidendem Maße die Krise auslösen sollte. So sind die Notlagen in Ländern wie Spanien, Griechenland oder Portugal aus der Sicht von Starbatty nicht allein auf Fehler einzelner Regierungen zurückzuführen, sondern hauptsächlich struktureller Art. Der Euro sei ohne eine gemeinsame politische Basis starr und unflexibel.
"Wenn man sagt, wir fangen mit der gemeinsamen Währung an und hoffen dann darauf und setzen dann darauf, dass die anderen Politiken, die bisher nicht gleichnamig waren, dann gleichnamig werden, das funktioniert nicht. Weil dann die Länder bei ihrer alten Politik bleiben. Wenn man also eine gemeinsame Währung schaffen will, dann nur dann, wenn die Länder auf Dauer gezeigt haben, dass sie zusammenpassen und dass auch die Politiker zusammenpassen."
Nun argumentiert Starbatty häufig so, als könne man alle Uhren wieder zurückdrehen. Tatsächlich gehört der Ökonom, der bis zu seiner Emeritierung an der Tübinger Universität gelehrt hat, zu den prominenten Vertretern seiner Zunft, die den Austritt einzelner Länder aus dem Euro befürworten – und sei es auch nur vorübergehend. Nur wenn kranke Länder ihre Währung abwerten, könnten sie sich erholen, was ihnen jetzt innerhalb des Euro verwehrt sei.
"Dann verlieren diese Länder ihre wichtigsten Ressourcen, gute Arbeitskräfte. Wer soll denn noch als Kapitalgeber in dieses Land kommen, wenn die besten Leute abwandern. Die Versteppung dieser Länder, das ist das große Problem und da muss man ansetzen."
Starbatty ist kein eingefleischter Anti-Europäer, voller Ressentiments. Seine offensichtliche Sympathie für die neu gegründete Anti-Europapartei "Alternative für Deutschland" ist vielleicht zunächst nicht sehr viel mehr als die hilflose Suche nach irgendeiner Alternative. Im Kern hat sein Buch durchaus eine europäische Seite.
Anders als dem Star-Ökonomen Hans-Werner Sinn geht es Starbatty nicht nur um Staatskredite und dubiose Finanzierungen, sondern um strukturelle Fehlkonstruktionen beim Euro selbst. Allerdings bleibt auch er dabei weitgehend auf der ökonomischen Ebene stehen und greift damit an vielen Stellen zu kurz. Denn die Begriffe "Recht und Demokratie" aus dem Untertitel seines Buches bedeuten doch sehr viel mehr als nur "Vermögen" zu "schützen". Der Bedeutungsverlust nationaler Parlamente, aber auch Krisensymptome wie eine immens hohe Jugendarbeitslosigkeit oder gravierende Einschnitte im sozialen Bereich in den südlichen Euroländern sind weitreichender.
Joachim Starbatty: "Tatort Euro. Bürger, schützt das Recht, die Demokratie und euer Vermögen"
Europa Verlag, 320 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-944-30503-5