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Ein Europa mit finanzschwachen Staaten muss sparen

Der liberale britische Europa-Abgeordnete Graham Watson ist der Ansicht, dass der EU-Haushalt angesichts hoher Verschuldungen in den Nationalstaaten gedeckelt werden muss. Solange in Europa eine Wirtschaftskrise herrsche, müsse auch auf europäischer Ebene gespart werden.

Graham Watson im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Alle sieben Jahre wieder: Wieder trifft es Europa, wieder trifft es die EU. Diesmal geht es aber nur indirekt um Griechenland, obwohl es auch immer irgendwie um Griechenland geht. Alle sieben Jahre ein heftiger Streit über den Haushalt der Europäischen Union, also über das, was die Kommission beispielsweise einnehmen und verteilen kann. Mit entscheidend ist dabei die Frage, wer wie viel in den Gemeinschaftstopf einzahlt. Vor allem die Geberländer, Deutschland beispielsweise, aber auch Frankreich, Österreich und die Niederlande, wollen die Zusatzkosten in Grenzen halten – nach dem Motto: Was wir zuhause schmerzlich sparen müssen, wollen wir nicht anschließend nach Brüssel überweisen. Die veranschlagte Summe: mehr als eine Billion Euro bis zum Jahr 2020, also mehr als Tausend Milliarden. Im Moment ist alles angehalten.

    Wieder einmal blockiert vor allem auch Großbritannien. David Cameron hat den Auftrag aus London, aus dem Unterhaus, weniger Geld auszugeben als bislang. Die antieuropäischen Töne dominieren erneut die Medien und die Politik auf der Insel. Dort sind wir nun verbunden mit dem britischen Europa-Abgeordneten Graham Watson, Mitglied der Liberalen-Fraktion im Europäischen Parlament. Guten Morgen!

    Graham Watson: Guten Morgen!

    Müller: Warum treten Sie nicht gleich aus?

    Watson: Ja es gab gestern Abend eine lange Diskussion, bilateral zuerst und dann multilateral, zwischen den Staats- und Regierungschefs. Die haben sich noch nicht geeinigt, das wird vielleicht noch einige Zeit dauern. Es kann sein, wie Angela Merkel sagt, dass man eine zweite Etappe nötig hat.

    In Großbritannien ist die Lage sehr schwierig. Cameron hat eigentlich sehr wenig Spielraum. Es gab im britischen Unterhaus eine Abstimmung, um den Haushalt der Union zu schneiden. Er sucht eher ein pragmatisches Auskommen. Ich glaube, es wäre für Cameron akzeptabel, wenn der Haushalt gefroren sein sollte. Aber er sagt – und er ist nicht der Einzige -, man sagt aus Schweden, auch aus Berlin sagt man, wenn wir nationale Sparzwänge haben, können wir keinen großen Vorsprung in dem EU-Haushalt haben.

    Müller: Herr Watson, versuchen wir, das noch einmal diplomatischer zu formulieren, zumindest von meiner Seite aus. Ich hatte eben gefragt, warum verlassen Sie nicht die Europäische Union, da haben Sie nicht drauf geantwortet. Jetzt die Frage: Sind die Briten sich sicher, dass sie immer noch teilnehmen wollen?

    Watson: Ich glaube, die Briten sind sicher, dass sie immer noch teilnehmen wollen. Ich bin fast sicher, dass wenn es zu einer Volksabstimmung dazu kommen sollte, meine Landsleute würden dafür stimmen, bei der EU zu bleiben. Nur sie sagen, wir können es nicht erlauben, wenn wir auf nationaler Ebene so viele Sparmaßnahmen vornehmen, dass es in Brüssel keine Kontrolle auf den Haushalt gibt.

    Müller: Das argumentieren die anderen Geberländer, Deutschland allen voran, ja auch.

    Watson: Ja, das argumentieren auch andere. Und es stimmt, dass es in Großbritannien eine größere Menge an Europafeindlichkeit gibt als woanders, und das ist für David Cameron das Problem. Seine Partei heißt konservative Partei, ist aber eher englische nationale Partei geworden, und er hat eine andere nationale Partei, die United Kingdom Independence Party, und auch eine Labour Party, die ihm nicht sehr viel hilft. Also sein Spielraum ist begrenzt. Er will ein pragmatisches Auskommen, er will eine Vereinbarung finden. Ich weiß nicht, ob das möglich wird in diesen Tagen.

    Müller: Herr Watson, Sie sitzen ja zwischen zwei Stühlen, wenn man das so formulieren darf und formulieren will. Sie sind Brite, das ist eine Belastung mit Richtung auf das Europäische Parlament, Sie sitzen für die Liberalen ja dort in der Fraktion, und auf der anderen Seite sind Sie auch - das haben Sie bei uns im Deutschlandfunk immer wieder gesagt – aus vollem Herzen ja Europäer. Hat David Cameron, haben die Konservativen mit ihrer Forderung, eben nicht beizugeben, klein beizugeben, Recht?

    Watson: Ich würde nicht sagen, dass sie Recht haben, aber dass es eine gewisse Rechtfertigung gibt, muss man sagen. Ich persönlich würde es bevorzugen, dass Großbritannien etwas positiver bei der EU wirken würde. Als liberaler Demokrat bin ich ein überzeugter Europäer. Ich glaube, dass wir Europa brauchen, und ich glaube auch, dass wenn man zusammen auf europäischer Ebene etwas macht, oft kostet das weniger, als das jedes Mal auf 27 Länder zu machen.

    Müller: Aber Sie sagen, auch wenn alle … - bitte! – Entschuldigung.

    Watson: Ich sage, die Logik von Herrn Cameron kann man in Frage stellen, aber es stimmt, in Großbritannien haben wir ein großes Problem. Unsere Finanzen sind sehr schwach.

    Müller: Alle Länder stehen ja vor der Situation, auf jeden Fall sparen zu müssen. Viele Länder müssten drastisch, radikal sparen. Großbritannien gehört dazu, viele andere Nehmerländer, Portugal, Griechenland, Spanien, haben wir immer wieder berichtet, auch. Das heißt, wenn alle sparen müssen aus Ihrer Sicht, dann ist auch ganz klar, muss Europa sparen?

    Watson: Genau, und meiner Meinung nach wäre eine Lösung vielleicht, dass man den Haushalt auf europäischer Ebene begrenzt auf ein Prozent des Bruttonationalprodukts. Das heißt, wenn es unserer Wirtschaft in den kommenden Jahren besser geht, dann könnte man auch mehr ausgeben für Europa. Aber wenn es keine bessere Lage gibt, dann muss man auch auf europäischer Ebene sparen. Ich finde das auch logisch.

    Müller: Jetzt haben wir gestern mit dem Parlamentspräsidenten gesprochen, Martin Schulz, der gesagt hat, Europa muss endlich nach vorne kommen, Europa hat viele Aufgaben, Europa braucht auch mehr Geld, weil beispielsweise das Gesamtbudget für die Europäische Union weniger stark gestiegen ist als die nationalen Budgets in den vergangenen Jahren. Können Sie das nachvollziehen?

    Watson: Ja und das stimmt auch. Die nationalen Budgets in den letzten zehn Jahren haben fast das Doppelte an Zuwachs gehabt als das europäische Budget. Es stimmt aber auch, dass man auf europäischer Ebene besser spenden könnte als jetzt. Wir geben viel zum Beispiel für die Agrarpolitik aus. Man könnte sagen, es wäre am besten, wenn Europa sich auf seinen Mehrwert konzentriert und nur diese Sachen macht, wo man klar einen Mehrwert hat, wie zum Beispiel Spenden für Wissenschaft und Innovation, für das Schaffen von Arbeitsplätzen.

    Müller: Reden wir einmal über das Verhältnis der Regierungschefs. David Cameron contra Angela Merkel oder David Cameron mit Angela Merkel. Hat die deutsche Kanzlerin in London inzwischen mehr Einfluss als noch vor ein paar Jahren?

    Watson: Ja ich glaube, Angela Merkel hat einen sehr großen Einfluss auch auf Großbritannien, und obwohl man es nicht sieht, weil alle sagen wollen, ja das sind die Briten, die Schuld haben, eigentlich ist es für Angela Merkel auch hilfreich, dass Cameron den Haushalt begrenzen will. Es gibt eine größere Menge an Vereinbarungen zwischen Deutschland und Großbritannien in dieser Sache als vielleicht zwischen Deutschland und Frankreich.

    Müller: Ist Frankreich ein Ärgernis?

    Watson: Frankreich ist immer … - oder profiliert sich immer sehr europäisch. Frankreich folgt nicht immer den Regeln, als man diese Regeln gemacht hat. Aber in Frankreich scheint es keine sehr große Sorge zu geben über die finanzielle Lage des Landes. Ich persönlich glaube, dass Frankreich eigene Probleme hat, und das sieht man auch bei den Rating Agencies.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der britische Europa-Abgeordnete Graham Watson, Mitglied der Liberalen-Fraktion im Europäischen Parlament. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach London.

    Watson: Danke sehr – auf Wiedersehen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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