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''Ein Fest für Boris''
Die beinlose "Gute" sitzt auf der Schräge ihres Hochstuhles wie auf einem Präsentierteller. Sie kann sich nicht fortbewegen, also lässt sie einen Redestrom fließen. Der in sich selbst kreist, aber auch immer wieder auf die Dienerin zustürzt. Wie so oft bei Thomas Bernhard geht es in "Ein Fest um Boris" um eine Herrscher- und eine Opferfigur sowie um Masken- oder Rollenspiel als eine mögliche Auseinandersetzung mit einer Wirklichkeit, die auf den Verfall und Tod zutreibt. Gegen Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit redet hier eine "Gute" an, die ihre Dienerin mit deutlicher Bosheit drangsaliert und ihren ungeliebten, ja gehassten Mann herum kommandiert. Vor allem aber monologisiert sie: über die eigene Bewegungslosigkeit und über nicht abzuschickende Briefe. Dabei probiert sie Handschuhe und Hüte an, eine Tätigkeit, die als Mittel gegen die Langeweile wie als Terror gegen die Dienerin dient. Dann wieder redet sie über den Kauf von Strümpfen und Schuhen, die sie einem herbei kommandierten und anschließend wieder in die Ecke gestellten, schlackernden Doppelbein-Ersatz anzieht. Und über ihren zweiten Mann Boris, den sie nach dem Tod ihres ersten, den sie wie ihre Beine bei einem Unfall verlor, aus dem Krüppelasyl der Beinlosen zu sich holte. Regisseur und Bühnenbildner Achim Freyer lässt am Berliner Ensemble diese so hoffnungslos finstere wie heute im Licht von anderen, späteren Stücken des Autors so - auch sprachlich - harmlos wirkende Geschichte in einem ganz in Hoffnungsrosa gehaltenen Kunstraum einer von einem Theaterbaldachin überwölbten Hinterhofschräge spielen. Und Kostümbildnerin Maria-Elena Amos steckt die 13 beinlosen Krüppel, die beim zum Totenfest werdendem Geburtstagsfest nicht wie bei Claus Peymanns Hamburger Uraufführung im Jahr 1970 in Rollstühlen kommen, sondern dekorativ mit ihren Oberkörpern aus dem Boden oder den Wänden wachsen, in wunderschön ästhetisch variierte rosafarbene Kleider. Das ihnen ins Gesicht geschminkte Elend ist deutlich Theaterelend, und statt an Bunuels groteskes Abendmahl denkt man in dieser Inszenierung eher an eine Clownsrunde. Das Totenfest eine nette Plauderrunde, bei der die Phantomschmerzen der Krüppel zu hereinwehenden Musikfetzen liebevoll aufgesagt werden. Hier tut niemandem mehr etwas richtig weh und hier wird auch niemandem, dem Publikum am wenigsten, wehgetan. Statt Wehheit atmet hier alles Gediegenheit und wird vom Firnis der routinierten Bedien-Ästhetik von Achim Freyer versiegelt. Die Sehnsüchte der Krüppel nach Selbstmord oder längeren Betten, die sie metaphorisch so schrecklich eindeutig als Kisten bezeichnen, ihre Träume von Beinen und weiten Reisen werden nicht mit grotesker Schärfe oder existentiellem Ernst vorgetragen, sondern als ein buntes Stimmenpotpourri unterhaltsam orchestriert. Swetlana Schönfeld gibt die wächsern geschminkte "Gute" mit ausgestellten Posen und synchron flatternden Händen im immer gleichen Tonfall als eine Diva. So spielt die Schauspielerin keine Figur, sondern zeigt eine Stimmung. Die sich nie ändert, - Aggressivität, Bosheit, Verzweiflung dieser sogenannten "Guten" sind kaum zu erahnen. Ursula Höpfner, die mit rotbestrumpften langen, miniberockten Beinen vom Regisseur immer wieder als optisches Zeichen in den Raum gestellt wird, gelingt es dagegen, mit Mimik und Körpersprache ihre Figur zu einem eigenen Leben zu erwecken, das über die vom Regisseur augenscheinlich erstrebte reine Bühnenkünstlichkeit hinausgeht. Während Moritz Höhne vom Behindertentheater Rambazamba mit seiner vom Down-Syndrom bestimmten Ausstrahlung als Boris wiederum nur als Wirkungszeichen genutzt wird. Der allzu viel beschäftigte Regisseur Achim Freyer, der am Vorabend dieser Berliner Premiere eine Opernpremiere in Frankfurt am Main herausbrachte, beantwortet in keinem Augenblick, warum er diesen ersten Bühnenerfolg Thomas Bernhards heute inszeniert hat. Dass sein Intendant Claus Peymann mit dessen Uraufführung einen seiner ersten großen Regieerfolge gefeiert hat, kann für Freyer kein Argument sein. Und da vor allem die Passagen des Stückes gestrichen wurden, in denen die Figuren mehr von sich selbst offenbaren, so die Erzählungen der Guten von ihrem Verhältnis zu Boris, so Streit und Einkaufsgeschichten zwischen Dienerin und Herrin, so der Protest der Krüppel in ihrem Asyl, hat Dramaturg Hermann Beil augenscheinlich konsequent das im Rhythmus der Sprache ausgestellte genauere Konfliktpotential der Figuren eliminiert. Was bleibt, ist die blasse Ästhetik ausgestellten Kunsthandwerks. Die ohne Spannung, ohne Witz oder groteske Wirkung, ohne den Wiederholungszwang der Bernhardschen Sprachmusik und ohne wirkliche Konflikte auskommen muss. Natürlich: es geht um Verkrüppelung, Bewegungsunmöglichkeit und Stagnation. Doch mit der Benennung der thematischen Metapher ist auch schon alles konkret gesagt, was uns diese wenig inspirierte Aufführung dieses deutlich zu den schwächsten Werken Bernhards zählende Stück im Berliner Ensemble zu vermitteln vermag. Es ist eine Inszenierung, die nicht nur ganz in ihrer eigenen Künstlichkeit ruht, sondern auch ganz in sich selber zusammensinkt. Wie eine aufgestochene Kunstblase, ganz ohne Leben.
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