"Für Padilla, erinnerte sich Amalfitano, gab es heterosexuelle, homosexuelle und bisexuelle Literatur. Romane waren im allgemeinen heterosexuell. Die Lyrik dagegen war durch und durch homosexuell. In ihren ozeanischen Weiten unterschied er mehrere Strömungen: Schwule, Schwuchteln, Schwestern, Tunten, warme Brüder, Trinen, Tucken und Epheben. Die beiden Hauptströmungen waren jedoch die der Schwulen und Schwuchteln. Walt Whitman, zum Beispiel, war ein schwuler Dichter. Pablo Neruda war eine Dichterschwuchtel. William Blake war ohne jeden Zweifel schwul, Octavio Paz eine Schwuchtel. Borges war ein Ephebe, das heißt, dass er mal schwul und mal bloß asexuell sein konnte. Rubén Darío war eine Tunte, eigentlich die Königin und der Inbegriff …"
Mit diesen denkwürdigen Zeilen beginnt Roberto Bolanos nachgelassener Roman "Die Nöte des wahren Polizisten", und man begreift gleich: Die verblüffend komische Wirkung wird durch die serielle Anhäufung von Stereotypen erzielt, in denen sich Koketterie und Lust an der Provokation, vielleicht auch eine Spur Selbsthass mischen. Diesen Roman wird nur mögen, wer an solchen fiktiven lexikalischen Rubrizierungen Spaß hat; während der Freund ordentlich heruntererzählter Geschichten kaum auf seine Kosten kommt. Der Roman hat keinen Anfang im seriösen Verstand des Wortes, keinen rechten Höhepunkt und keinen wirklichen Schluss, und die Handlung ist schnell erzählt: Der chilenische Literaturwissenschaftler mit dem schönen Namen Amalfitano, der in Barcelona lehrt, lässt sich auf eine Affäre mit dem Studenten Padilla ein – das ist der nämliche, der jene amüsanten, aber mutmaßlich nicht exakt wissenschaftlichen Theorien über die sexuelle Orientierung von Texten hervorgebracht hat. Die Affäre fliegt auf, Amalfitano muss die Uni verlassen, geht mit seiner siebzehnjährigen Tochter Rosa nach Mexiko, wo er in Santa Teresa eine neue Stelle antritt und später eine Affäre mit einem Kunstfälscher beginnt.
Das ist schon alles, und man sieht: Um die zu erzählende Geschichte geht es Bolano kaum. Worum aber dann? Um Metafiktion – also um ein Spiel mit dem Fiktionscharakter von Literatur, um ein geistreiches Reden über Literatur in der Literatur. Bereits in seinem Roman "Die Naziliteratur in Amerika", mit dem der Chilene in Deutschland bekannt wurde, hat er das Verfahren brillant vorgeführt, indem er in lexikalischem Stil ausführlich über Romane sprach, die es gar nicht gibt – und damit eine eminent politische Aussage machte. Denn die Tendenzen, die in diesen gar nicht existierenden Werken gar nicht existierender Autoren hervortraten, die gab es ja sehr wohl. Bolano hat dabei eine enorme Fantasie entwickelt. Hier, im nachgelassenen Roman, geht es allerdings nicht um das Coming-out faschistischer Tendenzen, sondern einfach um dasjenige des Protagonisten Amalfitano – da, wie es heißt –
" – sexuelle Orientierungen in diesem Leben nicht stabil seien und es auch nicht sein müssen. Letztlich tröstete Amalfitano sich selbst mit seiner Argumentation, und hypothetisch tröstete er nebenbei seine Tochter, indem er ins Feld führte, wenn der Ostblock zusammengebrochen sei, könne auch seine bis dato unzweifelhafte Heterosexualität das tun …"
Zweifellos. Was sich nun über die literarische Methode und deren Ertrag feststellen lässt, steht bereits in dem knappen, aber konzisen Vorwort von Juan Antonio Masoliver Ródenas, und wer diese sechs Seiten gelesen hat, ist bestens im Bilde. Es lohnt sich, daraus kurz zu zitieren:
"Die Wirklichkeit, so wie man sie bis ins 19. Jahrhundert verstanden hatte, war nicht länger der Maßstab, und man näherte sich einer visionären, onirischen, delirierenden, fragmentarischen, man könnte auch sagen provisorischen Schreibweise. In letzterer besteht das Wesentliche von Bolanos Beitrag."
Dieser Passus könnte genauso auch von Bolano selbst formuliert sein; das permanente Spiegelungsverfahren des Buchs erstreckt sich also bis hin aufs Vorwort – also bis zu der Stelle, da Fiktion tatsächlich in Metafiktion umschlägt. Ródenas verweist dann auf die Wichtigkeit der aktiven Beteiligung des Lesers als Mitschöpfer des Werks – die bekannte rezeptionsästhetische Theorie. Der Leser wird hier sogar zum Titelhelden befördert, denn, so hat es wiederum Bolano selbst formuliert, Ródenas zitiert ihn:
"Der Polizist ist der Leser, der vergeblich versucht, Ordnung in diesen vermaledeiten Roman zu bringen."
Es gibt also keine "Ordnung" im Sinne einer logischen Abfolge von Erzählelementen; die Frage ist nur, ob der Leser diese wirklich vermisst. Man darf das bezweifeln, denn jede denkbare Anordnung ergibt immer wieder den gleichen recht dünnen Plot. Und der ist, wie gesagt, unwichtig. Was den Autor tatsächlich auf obsessive Weise interessiert, sind die Metafiktionen, die lexikalischen Kurzbeschreibungen von Fabeln, die einmal mehr die ausgeführten, die realisierten Fabeln ersetzen. Es gibt noch eine dritte männliche Hauptfigur im Buch, das ist der (natürlich fiktive) französische Schriftsteller Arcimboldi, dessen umfangreiches Werk wir in der Form von Zusammenfassungen kennenlernen. Eines davon heißt "Der Bibliothekar", erschienen 1966 bei Gallimard, 185 Seiten, und handelt von dem Autor Marchand, der einen Roman mit dem Titel "Der Bibliothekar" geschrieben hat, dann aber Lektor wird und in seiner Wohnung haufenweise unveröffentlichte Manuskripte hortet.
"Unter diesen fremden Manuskripten: sein Roman ‚Der Bibliothekar‘, unvollendet und sauber abgetippt, fein gebunden, eine Schönheit unter zerfledderten, verknitterten, vollgekritzelten, schmutzigen Originalen; ein Manuskript-Weibchen unter Manuskript-Männchen. Marchand träumt, dass die abgelehnten Manuskripte in einer magischen unendlichen Nacht auf jede erdenkliche Weise mit seinem aufgeschobenen Manuskript schlafen: Sie sodomieren es, vergewaltigen es oral und genital, kommen in seinem Haar, in seinem Hals, in seinen Ohren, unter seinen Achseln etc., aber als der Morgen anbricht, ist sein Manuskript nicht geschwängert, es ist unfruchtbar. Diese Unfruchtbarkeit, glaubt Marchand, macht seinen Wert als singuläres Werk aus, seine Anziehungskraft."
Auch diese Aussage lässt sich auf Bolanos "Manuskript-Weibchen" beziehen, auf den unabgeschlossenen Roman, an dem der Autor jahrzehntelang geschrieben hat. Dessen Anziehungskraft ist schon deshalb nicht gering, weil es sich nicht um ein Werk des unbekannten Marchand oder des ebenso unbekannten Arcimboldi handelt, sondern um eines des großen Roberto Bolano. Seinen literarischen Wert zu beurteilen, ist dennoch nicht einfach; auf den ersten und zweiten Blick scheint es, als laufe sich das Verfahren hier letztlich doch tot. Selbst über den Grad der Unterhaltsamkeit des Buchs lassen sich nur bedingt Aussagen machen: Es zündet wohl individuell unterschiedlich, je nachdem, wie viel Spaß der einzelne Leser an diesen Metafiktionen, an langen Aufzählungen und komplizierten Verschachtelungen, mit einem Wort: am unendlichen narzisstischen Spiel der Postmoderne zu entwickeln in der Lage ist.
Roberto Bolano: Die Nöte des wahren Polizisten.
Roman. Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Hanser, 270 Seiten, 21,90 Euro
Mit diesen denkwürdigen Zeilen beginnt Roberto Bolanos nachgelassener Roman "Die Nöte des wahren Polizisten", und man begreift gleich: Die verblüffend komische Wirkung wird durch die serielle Anhäufung von Stereotypen erzielt, in denen sich Koketterie und Lust an der Provokation, vielleicht auch eine Spur Selbsthass mischen. Diesen Roman wird nur mögen, wer an solchen fiktiven lexikalischen Rubrizierungen Spaß hat; während der Freund ordentlich heruntererzählter Geschichten kaum auf seine Kosten kommt. Der Roman hat keinen Anfang im seriösen Verstand des Wortes, keinen rechten Höhepunkt und keinen wirklichen Schluss, und die Handlung ist schnell erzählt: Der chilenische Literaturwissenschaftler mit dem schönen Namen Amalfitano, der in Barcelona lehrt, lässt sich auf eine Affäre mit dem Studenten Padilla ein – das ist der nämliche, der jene amüsanten, aber mutmaßlich nicht exakt wissenschaftlichen Theorien über die sexuelle Orientierung von Texten hervorgebracht hat. Die Affäre fliegt auf, Amalfitano muss die Uni verlassen, geht mit seiner siebzehnjährigen Tochter Rosa nach Mexiko, wo er in Santa Teresa eine neue Stelle antritt und später eine Affäre mit einem Kunstfälscher beginnt.
Das ist schon alles, und man sieht: Um die zu erzählende Geschichte geht es Bolano kaum. Worum aber dann? Um Metafiktion – also um ein Spiel mit dem Fiktionscharakter von Literatur, um ein geistreiches Reden über Literatur in der Literatur. Bereits in seinem Roman "Die Naziliteratur in Amerika", mit dem der Chilene in Deutschland bekannt wurde, hat er das Verfahren brillant vorgeführt, indem er in lexikalischem Stil ausführlich über Romane sprach, die es gar nicht gibt – und damit eine eminent politische Aussage machte. Denn die Tendenzen, die in diesen gar nicht existierenden Werken gar nicht existierender Autoren hervortraten, die gab es ja sehr wohl. Bolano hat dabei eine enorme Fantasie entwickelt. Hier, im nachgelassenen Roman, geht es allerdings nicht um das Coming-out faschistischer Tendenzen, sondern einfach um dasjenige des Protagonisten Amalfitano – da, wie es heißt –
" – sexuelle Orientierungen in diesem Leben nicht stabil seien und es auch nicht sein müssen. Letztlich tröstete Amalfitano sich selbst mit seiner Argumentation, und hypothetisch tröstete er nebenbei seine Tochter, indem er ins Feld führte, wenn der Ostblock zusammengebrochen sei, könne auch seine bis dato unzweifelhafte Heterosexualität das tun …"
Zweifellos. Was sich nun über die literarische Methode und deren Ertrag feststellen lässt, steht bereits in dem knappen, aber konzisen Vorwort von Juan Antonio Masoliver Ródenas, und wer diese sechs Seiten gelesen hat, ist bestens im Bilde. Es lohnt sich, daraus kurz zu zitieren:
"Die Wirklichkeit, so wie man sie bis ins 19. Jahrhundert verstanden hatte, war nicht länger der Maßstab, und man näherte sich einer visionären, onirischen, delirierenden, fragmentarischen, man könnte auch sagen provisorischen Schreibweise. In letzterer besteht das Wesentliche von Bolanos Beitrag."
Dieser Passus könnte genauso auch von Bolano selbst formuliert sein; das permanente Spiegelungsverfahren des Buchs erstreckt sich also bis hin aufs Vorwort – also bis zu der Stelle, da Fiktion tatsächlich in Metafiktion umschlägt. Ródenas verweist dann auf die Wichtigkeit der aktiven Beteiligung des Lesers als Mitschöpfer des Werks – die bekannte rezeptionsästhetische Theorie. Der Leser wird hier sogar zum Titelhelden befördert, denn, so hat es wiederum Bolano selbst formuliert, Ródenas zitiert ihn:
"Der Polizist ist der Leser, der vergeblich versucht, Ordnung in diesen vermaledeiten Roman zu bringen."
Es gibt also keine "Ordnung" im Sinne einer logischen Abfolge von Erzählelementen; die Frage ist nur, ob der Leser diese wirklich vermisst. Man darf das bezweifeln, denn jede denkbare Anordnung ergibt immer wieder den gleichen recht dünnen Plot. Und der ist, wie gesagt, unwichtig. Was den Autor tatsächlich auf obsessive Weise interessiert, sind die Metafiktionen, die lexikalischen Kurzbeschreibungen von Fabeln, die einmal mehr die ausgeführten, die realisierten Fabeln ersetzen. Es gibt noch eine dritte männliche Hauptfigur im Buch, das ist der (natürlich fiktive) französische Schriftsteller Arcimboldi, dessen umfangreiches Werk wir in der Form von Zusammenfassungen kennenlernen. Eines davon heißt "Der Bibliothekar", erschienen 1966 bei Gallimard, 185 Seiten, und handelt von dem Autor Marchand, der einen Roman mit dem Titel "Der Bibliothekar" geschrieben hat, dann aber Lektor wird und in seiner Wohnung haufenweise unveröffentlichte Manuskripte hortet.
"Unter diesen fremden Manuskripten: sein Roman ‚Der Bibliothekar‘, unvollendet und sauber abgetippt, fein gebunden, eine Schönheit unter zerfledderten, verknitterten, vollgekritzelten, schmutzigen Originalen; ein Manuskript-Weibchen unter Manuskript-Männchen. Marchand träumt, dass die abgelehnten Manuskripte in einer magischen unendlichen Nacht auf jede erdenkliche Weise mit seinem aufgeschobenen Manuskript schlafen: Sie sodomieren es, vergewaltigen es oral und genital, kommen in seinem Haar, in seinem Hals, in seinen Ohren, unter seinen Achseln etc., aber als der Morgen anbricht, ist sein Manuskript nicht geschwängert, es ist unfruchtbar. Diese Unfruchtbarkeit, glaubt Marchand, macht seinen Wert als singuläres Werk aus, seine Anziehungskraft."
Auch diese Aussage lässt sich auf Bolanos "Manuskript-Weibchen" beziehen, auf den unabgeschlossenen Roman, an dem der Autor jahrzehntelang geschrieben hat. Dessen Anziehungskraft ist schon deshalb nicht gering, weil es sich nicht um ein Werk des unbekannten Marchand oder des ebenso unbekannten Arcimboldi handelt, sondern um eines des großen Roberto Bolano. Seinen literarischen Wert zu beurteilen, ist dennoch nicht einfach; auf den ersten und zweiten Blick scheint es, als laufe sich das Verfahren hier letztlich doch tot. Selbst über den Grad der Unterhaltsamkeit des Buchs lassen sich nur bedingt Aussagen machen: Es zündet wohl individuell unterschiedlich, je nachdem, wie viel Spaß der einzelne Leser an diesen Metafiktionen, an langen Aufzählungen und komplizierten Verschachtelungen, mit einem Wort: am unendlichen narzisstischen Spiel der Postmoderne zu entwickeln in der Lage ist.
Roberto Bolano: Die Nöte des wahren Polizisten.
Roman. Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Hanser, 270 Seiten, 21,90 Euro