"Diese Persönlichkeit Günther Quandt zu verstehen, das ist mir letztlich nach vier Jahren auch noch gar nicht möglich. Er ist ein Enigma, ein Rätsel, dieser Mann, in vielerlei Hinsicht."
Auch wenn dem Historiker Joachim Scholtyseck der Mensch Günther Quandt ein Rätsel blieb, den rasanten Aufstieg der Familie zu einer weltweit operierenden Unternehmerdynastie konnte er dennoch eindrucksvoll nachzeichnen.
Günther Quandt modernisierte die Tuchfabrik seines Vaters in der märkischen Provinz, er weitete die Geschäftskontakte aus, löste sich von der Textilbranche und stieg während des Ersten Weltkriegs in die Kaliwirtschaft ein. Der Durchbruch gelang ihm, als er in der Weimarer Republik die Accumulatorenfabrik AFA sowie die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken DWM erwarb. Quandt bewies unternehmerisches Geschick, hatte aber auch Glück, in zukunftsträchtige und ertragreiche Industriezweige zu investieren. Er selbst bezeichnete sich als sparsam, pflichttreu und unbestechlich, ein enger Mitarbeiter beschrieb ihn als einen auf geschäftliche Vorgänge fixierten Unternehmer.
"Günther Quandt hatte selbst keine besonderen Interessen, die nicht mit Geld zu tun hatten. Er kannte keine religiösen Gefühle, keine musischen Neigungen und keine Ressourcen im Freundeskreis. Theater und Konzerte kannte er nicht, anstelle von Klassikern standen in seinem Bücherschrank rot gebundene Lederbände über das Liebesleben der Völker."
Nicht zuletzt Günther Quandts zweite Ehefrau Magda litt unter dieser eindimensionalen wirtschaftsbürgerlichen Lebenswelt. Sie ließ sich 1929 scheiden und heiratete Joseph Goebbels, den späteren Propagandaminister des NS-Regimes. Am 1. Mai 1945 brachte sie im Führerbunker ihre sechs Kinder um und beging anschließend mit ihrem Ehemann Selbstmord.
Dieses private Kapitel im Leben Günther Quandts schildert Joachim Scholtyseck in seiner vorzüglich geschriebenen Darstellung ebenso nüchtern und sachlich wie die Entwicklung des Firmenimperiums.
Im Unterschied zu anderen Wirtschaftsführern der Weimarer Republik trat Günther Quandt nicht als großzügiger Förderer und Steigbügelhalter der Nazis in Erscheinung. Gleichwohl wurde er im Mai 1933 Mitglied der NSDAP, was die Nationalsozialisten nicht daran hinderte, ihn zu verhaften und erst nach sechs Wochen gegen Zahlung einer hohen Kaution wieder laufen zu lassen. Daraus konstruierte Günther Quandt nach 1945 die Behauptung, er sei im Dritten Reich jahrelang aufs schwerste verfolgt worden – eine Legende, denn tatsächlich beruhte die Verhaftung auf einer anonymen Anzeige wegen angeblicher Verstöße gegen das Handelsrecht.
Er sei kein politischer Ideologe gewesen, sondern habe allein unternehmerische Ziele vor Augen gehabt, beurteilt der Historiker Joachim Scholtyseck das Wirken Günther Quandts:
"Er hat diesen ganzen Aufstieg des Nationalsozialismus unter arbeitsökonomischen Aspekten betrachtet. Und er brauchte kein ausgeprägter Nazi zu sein, um trotzdem im Dritten Reich zu profitieren. Man könnte sagen, er war ein Mann, "a man for all seasons", ein Mann für alle Jahreszeiten, der in jedem Regime mehr oder weniger erfolgreich ist, ob das jetzt das autoritäre Kaiserreich ist, ob es die Weimarer Republik ist, das Dritte Reich und dann eben erstaunlicherweise auch wieder in der Bundesrepublik."
Um wirtschaftlich und finanziell Erfolg zu haben, war Günther Quandt nahezu jedes Mittel recht. Von jüdischen Mitarbeitern trennte er sich "beschämend früh", wie Scholtyseck schreibt. Wenn sich im Zuge der "Arisierungen" die Gelegenheit bot, eine jüdische Firma günstig zu übernehmen, griff er skrupellos zu. Tugenden wie menschlicher Anstand und kaufmännische Seriosität, auf die er sich sonst gerne berief, spielten dabei keine Rolle.
"Ein Beispiel ist diese Maschinenbaufirma Henri Pelz in Erfurt, die ist relativ früh von den Nationalsozialisten arisiert worden, und Günther Quandt bekommt das Angebot, diese Firma zu übernehmen, und er zögert nicht, also schon nach wenigen Monaten mit seinen Managern dort hinzugehen und diese Firma zu übernehmen. Und das bezieht sich auch auf die Arisierungen im besetzten Frankreich. Günther Quandt selbst und seine Manager haben dann tatsächlich sich ganz bewusst jüdische kleine Batteriefirmen ausgesucht, um diese zu übernehmen, weil man glaubte, da ist der Zugriff am einfachsten."
Ein weiteres düsteres Kapitel in Joachim Scholtysecks kenntnisreicher und gut lesbarer Studie ist der Umgang mit Zwangsarbeitern. Mindestens 50.000 ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge mussten in verschiedenen Unternehmen des Firmenimperiums schuften. Und Günther Quandt und sein Sohn Herbert waren, daran lässt Joachim Scholtyseck keinen Zweifel, über die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Bilde, etwa beim Batterie-Produzenten Pertrix in Berlin-Schöneweide:
"Bei der Verpflegung herrschten 'Hungerverhältnisse'. Eine Gefangene berichtete sogar, dass einige Häftlinge 'vor Hunger das Material, vermischt mit Wasser, aßen, aus welchem die Batterien hergestellt wurden'. Eine andere Gefangene erinnerte sich, dass 'in dem Magazin dieser Fabrik sich aus Kastanien hergestelltes Zuckermehl mit Kristall- und anderen Zusätzen befand. Dieses Zuckermehl stahlen wir aus dem Magazin und gaben es in die Suppe.'"
Beschreibungen wie diese müssen auf die Erben Günther Quandts ernüchternd wirken. Als sie Joachim Scholtyseck beauftragten, den Aufstieg der Unternehmer-Dynastie zu erforschen, konnten sie noch die Hoffnung hegen, das Urteil des Historikers werde milde ausfallen, zumal sie ihm das bis dahin anderen Forschern verschlossene Privatarchiv öffneten.
"Für mich war es auch wichtig, dass ich zugesichert bekam, dann alles das zu schreiben, was ich schreiben möchte, also ohne Eingriffsrechte der Familie, und das hat die Familie zugesichert und sie hat sich auch daran gehalten. Ich hatte aber auch das so abgesichert, dass das ein Drittmittel-Projekt ist, also ich der Familie gar nicht verantwortlich war, sondern meiner Universität Bonn, so dass diese Gefahr von Beginn an gar nicht bestand."
Wer dennoch argwöhnt, dem Autor könnte es an der nötigen Unabhängigkeit gegenüber den Geldgebern gemangelt haben, muss seine Skepsis nach der Lektüre des außerordentlich umfangreichen und detaillierten Werkes aufgeben. Denn Scholtysecks Resümee ist eindeutig: Der Firmenpatriarch Günther Quandt war Teil des NS-Regimes, auch wenn ihn eine Entnazifizierungskammer lediglich als "Mitläufer" einstufte. Fragen nach Recht und Moral stellten sich ihm nicht, nach 1945 fand er außer einigen allgemeinen Floskeln kein Wort des Bedauerns. Nahezu bruchlos konnte er in der frühen Bundesrepublik seine wirtschaftlichen Aktivitäten fortsetzen.
Immerhin, seine Enkel geben nach der Veröffentlichung der Studie zu bedenken, dass unternehmerisches Handeln nicht ohne ein stabiles Wertegerüst bleiben darf. Und sie haben angekündigt, das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide zu unterstützen. Teil der dortigen Ausstellung ist eine Baracke, die der Quandt-Firma Pertrix als Unterkunft für KZ-Häftlinge diente.
Joachim Scholtyseck: "Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche
Unternehmerdynastie." C.H. Beck,
1183 Seiten, 39,95 Euro
ISBN 978-3-406-62251-9
Auch wenn dem Historiker Joachim Scholtyseck der Mensch Günther Quandt ein Rätsel blieb, den rasanten Aufstieg der Familie zu einer weltweit operierenden Unternehmerdynastie konnte er dennoch eindrucksvoll nachzeichnen.
Günther Quandt modernisierte die Tuchfabrik seines Vaters in der märkischen Provinz, er weitete die Geschäftskontakte aus, löste sich von der Textilbranche und stieg während des Ersten Weltkriegs in die Kaliwirtschaft ein. Der Durchbruch gelang ihm, als er in der Weimarer Republik die Accumulatorenfabrik AFA sowie die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken DWM erwarb. Quandt bewies unternehmerisches Geschick, hatte aber auch Glück, in zukunftsträchtige und ertragreiche Industriezweige zu investieren. Er selbst bezeichnete sich als sparsam, pflichttreu und unbestechlich, ein enger Mitarbeiter beschrieb ihn als einen auf geschäftliche Vorgänge fixierten Unternehmer.
"Günther Quandt hatte selbst keine besonderen Interessen, die nicht mit Geld zu tun hatten. Er kannte keine religiösen Gefühle, keine musischen Neigungen und keine Ressourcen im Freundeskreis. Theater und Konzerte kannte er nicht, anstelle von Klassikern standen in seinem Bücherschrank rot gebundene Lederbände über das Liebesleben der Völker."
Nicht zuletzt Günther Quandts zweite Ehefrau Magda litt unter dieser eindimensionalen wirtschaftsbürgerlichen Lebenswelt. Sie ließ sich 1929 scheiden und heiratete Joseph Goebbels, den späteren Propagandaminister des NS-Regimes. Am 1. Mai 1945 brachte sie im Führerbunker ihre sechs Kinder um und beging anschließend mit ihrem Ehemann Selbstmord.
Dieses private Kapitel im Leben Günther Quandts schildert Joachim Scholtyseck in seiner vorzüglich geschriebenen Darstellung ebenso nüchtern und sachlich wie die Entwicklung des Firmenimperiums.
Im Unterschied zu anderen Wirtschaftsführern der Weimarer Republik trat Günther Quandt nicht als großzügiger Förderer und Steigbügelhalter der Nazis in Erscheinung. Gleichwohl wurde er im Mai 1933 Mitglied der NSDAP, was die Nationalsozialisten nicht daran hinderte, ihn zu verhaften und erst nach sechs Wochen gegen Zahlung einer hohen Kaution wieder laufen zu lassen. Daraus konstruierte Günther Quandt nach 1945 die Behauptung, er sei im Dritten Reich jahrelang aufs schwerste verfolgt worden – eine Legende, denn tatsächlich beruhte die Verhaftung auf einer anonymen Anzeige wegen angeblicher Verstöße gegen das Handelsrecht.
Er sei kein politischer Ideologe gewesen, sondern habe allein unternehmerische Ziele vor Augen gehabt, beurteilt der Historiker Joachim Scholtyseck das Wirken Günther Quandts:
"Er hat diesen ganzen Aufstieg des Nationalsozialismus unter arbeitsökonomischen Aspekten betrachtet. Und er brauchte kein ausgeprägter Nazi zu sein, um trotzdem im Dritten Reich zu profitieren. Man könnte sagen, er war ein Mann, "a man for all seasons", ein Mann für alle Jahreszeiten, der in jedem Regime mehr oder weniger erfolgreich ist, ob das jetzt das autoritäre Kaiserreich ist, ob es die Weimarer Republik ist, das Dritte Reich und dann eben erstaunlicherweise auch wieder in der Bundesrepublik."
Um wirtschaftlich und finanziell Erfolg zu haben, war Günther Quandt nahezu jedes Mittel recht. Von jüdischen Mitarbeitern trennte er sich "beschämend früh", wie Scholtyseck schreibt. Wenn sich im Zuge der "Arisierungen" die Gelegenheit bot, eine jüdische Firma günstig zu übernehmen, griff er skrupellos zu. Tugenden wie menschlicher Anstand und kaufmännische Seriosität, auf die er sich sonst gerne berief, spielten dabei keine Rolle.
"Ein Beispiel ist diese Maschinenbaufirma Henri Pelz in Erfurt, die ist relativ früh von den Nationalsozialisten arisiert worden, und Günther Quandt bekommt das Angebot, diese Firma zu übernehmen, und er zögert nicht, also schon nach wenigen Monaten mit seinen Managern dort hinzugehen und diese Firma zu übernehmen. Und das bezieht sich auch auf die Arisierungen im besetzten Frankreich. Günther Quandt selbst und seine Manager haben dann tatsächlich sich ganz bewusst jüdische kleine Batteriefirmen ausgesucht, um diese zu übernehmen, weil man glaubte, da ist der Zugriff am einfachsten."
Ein weiteres düsteres Kapitel in Joachim Scholtysecks kenntnisreicher und gut lesbarer Studie ist der Umgang mit Zwangsarbeitern. Mindestens 50.000 ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge mussten in verschiedenen Unternehmen des Firmenimperiums schuften. Und Günther Quandt und sein Sohn Herbert waren, daran lässt Joachim Scholtyseck keinen Zweifel, über die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Bilde, etwa beim Batterie-Produzenten Pertrix in Berlin-Schöneweide:
"Bei der Verpflegung herrschten 'Hungerverhältnisse'. Eine Gefangene berichtete sogar, dass einige Häftlinge 'vor Hunger das Material, vermischt mit Wasser, aßen, aus welchem die Batterien hergestellt wurden'. Eine andere Gefangene erinnerte sich, dass 'in dem Magazin dieser Fabrik sich aus Kastanien hergestelltes Zuckermehl mit Kristall- und anderen Zusätzen befand. Dieses Zuckermehl stahlen wir aus dem Magazin und gaben es in die Suppe.'"
Beschreibungen wie diese müssen auf die Erben Günther Quandts ernüchternd wirken. Als sie Joachim Scholtyseck beauftragten, den Aufstieg der Unternehmer-Dynastie zu erforschen, konnten sie noch die Hoffnung hegen, das Urteil des Historikers werde milde ausfallen, zumal sie ihm das bis dahin anderen Forschern verschlossene Privatarchiv öffneten.
"Für mich war es auch wichtig, dass ich zugesichert bekam, dann alles das zu schreiben, was ich schreiben möchte, also ohne Eingriffsrechte der Familie, und das hat die Familie zugesichert und sie hat sich auch daran gehalten. Ich hatte aber auch das so abgesichert, dass das ein Drittmittel-Projekt ist, also ich der Familie gar nicht verantwortlich war, sondern meiner Universität Bonn, so dass diese Gefahr von Beginn an gar nicht bestand."
Wer dennoch argwöhnt, dem Autor könnte es an der nötigen Unabhängigkeit gegenüber den Geldgebern gemangelt haben, muss seine Skepsis nach der Lektüre des außerordentlich umfangreichen und detaillierten Werkes aufgeben. Denn Scholtysecks Resümee ist eindeutig: Der Firmenpatriarch Günther Quandt war Teil des NS-Regimes, auch wenn ihn eine Entnazifizierungskammer lediglich als "Mitläufer" einstufte. Fragen nach Recht und Moral stellten sich ihm nicht, nach 1945 fand er außer einigen allgemeinen Floskeln kein Wort des Bedauerns. Nahezu bruchlos konnte er in der frühen Bundesrepublik seine wirtschaftlichen Aktivitäten fortsetzen.
Immerhin, seine Enkel geben nach der Veröffentlichung der Studie zu bedenken, dass unternehmerisches Handeln nicht ohne ein stabiles Wertegerüst bleiben darf. Und sie haben angekündigt, das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide zu unterstützen. Teil der dortigen Ausstellung ist eine Baracke, die der Quandt-Firma Pertrix als Unterkunft für KZ-Häftlinge diente.
Joachim Scholtyseck: "Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche
Unternehmerdynastie." C.H. Beck,
1183 Seiten, 39,95 Euro
ISBN 978-3-406-62251-9