Wolfgang Neuss haut auf die Pauke, und gemeinsam mit dem musikalischen Kabarett-Partner Wolfgang Müller aus Hannover erzählt der Satire-Star jener Jahre die Geschichte des tödlichen deutschen Tingeltangels: von wilhelminischer Völkerschlacht- und Weltkrieg Eins und später brauner Nazi-Begeisterung bis hin zu postfaschistischem Katzenjammer und dem "Wir sind wieder wer!" des deutschen Nachkriegswirtschaftswunders. Mit dieser dramaturgischen Zugabe wurde - und blieb - Kurt Hoffmanns Film "Wir Wunderkinder" das Meisterbeispiel einer Kino-Satire, auch wenn Neuss selber so unzufrieden mit dem Ergebnis war, dass er prompt auf eigene Kosten eine politisch sehr viel angriffslustigere Fortsetzung oder Parodie drehte: "Wir Kellerkinder".
Die Göttinger Filmproduzenten Rolf Thiele und Hans Abich allerdings hatten immerhin ein echtes Star-Ensemble jener Jahre mit Neuss auf den Weg der "Wunderkinder" geschickt: Elisabeth Flickenschildt und den grandiosen, früh verstorbenen Robert Graf, den ganz jungen Hans Jörg Felmy und die noch jüngere Johanna von Koczian. "Wir Wunderkinder" war ein Kino-Erfolg für die ganze Nachkriegsfamilie und dennoch eine brillante Satire.
Und es muss ein kleines Abenteuer für sich gewesen sein, sich dieses Unikat des deutschen Kinos auf der Bühne vorzustellen: in Göttingen.
Es gehört zu den echten Überraschungen der Produktion am Deutschen Theater, dass sich Nicola Nord und Alexander Karschnia, Musiker Sascha Sulimma und Bühnenbildner Jan Brokof, die Ideenstifter im Berliner Off-Kollektiv "andcompany&co", über weite Strecken extrem eng an die Geschichte gehalten haben, wie der Film sie erzählt nach dem prächtigen Roman des Nachkriegssatirikers Hugo Hartung.
Sonst neigt die Gruppe ja eher dazu, das Material eigener Arbeiten stark zu fragmentieren und dann mit enorm viel theoretischem Überbau zuzuschütten. "andcompany"-Aufführungen sind meistens ziemlich klug, aber ebenso oft auch ein wenig blutleer und überangestrengt konstruiert.
Hier und mit dem enorm animierten Ensemble am Deutschen Theater in Göttingen verlässt sich das Produktionsteam womöglich zum ersten Mal ganz und gar auf die Vorlage und rückt der mit der Company-Strategie des forciert naiven Bildertheaters zu Leibe. Nur wo es mehr oder minder dringend nötig erscheint, greift die "andcompany" gedanklich ein, ergänzt und erweitert sie die pfiffige Filmgeschichte.
Die erzählt ja vor allem vom ewigen Deutschen. Bruno Tiches heißt der - Robert Graf spielt ihn ziemlich diabolisch im Film - und ein Durchmauschler ist er, ein Fähnchen-nach-dem-Wind-Stratege: Nazi ist er, wenn das nützlich ist, und gleich danach ist er per du mit den Besatzern. Überall wittert diese unzerstörbare Type den eigenen Vorteil und weiß den zu nutzen, erst recht im Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre. Der Film lässt ihn sehr symbolträchtig sterben, als er - längst zum Wirtschaftsboss aufgestiegen - wieder mal aufsteigen will und einen Fahrstuhl betritt, der leider gerade in Reparatur ist und darum im Keller.
Dem ewigen deutschen Gangster steht als ewiger Freund ein deutscher Gutmensch gegenüber, Hans Boeckel, der nie mitbekommt, welche Desaster sich politisch gerade ankündigen. Dieses deutsche Doppelwesen nun verlängern die "andcompany"-Macher herüber in mancherlei Gegenwarten, basteln Bilder vom "deutschen Herbst" der terroristischen 70er-Jahre mit ins Spiel und den Mauerfall ein lächerliches kurzes Jahrzehnt später. Kinder, wie schnell doch die Zeit verging. Und die jüngste Version des ewigen deutschen ist für die "andcompany" natürlich der akademische Fälscher aus den fränkischen Wäldern von und zu Guttenberg. Wie Hoffmanns Film mit Neuss und Müller die Spitzen des Kabaretts jener Jahre mit Spitzen zur deutschen Nachkriegsaktualität ausstattete, so mausern sich die Göttinger "Wunderkinder" zur klug dosierten Kabarett-Revue.
Natürlich bleibt die "andcompany" bei aller Nähe zum Material ein freies Ensemble und polemisiert - zuweilen ein wenig zu dekorativ - gegen die beamtenhafte Sicherheit des deutschen Stadttheaterbetriebs, besonders wenn es um die allgegenwärtige Hitler-Präsenz geht in der "Wunderkinder"-Story. Aber nie bricht der freche schnelle Abend unter Theorie zusammen und erobert stattdessen ein feines, kleines Stadttheater mit der Geschichte eines großen deutschen Films.
Informationen:
Deutsches Theater Göttingen
Die Göttinger Filmproduzenten Rolf Thiele und Hans Abich allerdings hatten immerhin ein echtes Star-Ensemble jener Jahre mit Neuss auf den Weg der "Wunderkinder" geschickt: Elisabeth Flickenschildt und den grandiosen, früh verstorbenen Robert Graf, den ganz jungen Hans Jörg Felmy und die noch jüngere Johanna von Koczian. "Wir Wunderkinder" war ein Kino-Erfolg für die ganze Nachkriegsfamilie und dennoch eine brillante Satire.
Und es muss ein kleines Abenteuer für sich gewesen sein, sich dieses Unikat des deutschen Kinos auf der Bühne vorzustellen: in Göttingen.
Es gehört zu den echten Überraschungen der Produktion am Deutschen Theater, dass sich Nicola Nord und Alexander Karschnia, Musiker Sascha Sulimma und Bühnenbildner Jan Brokof, die Ideenstifter im Berliner Off-Kollektiv "andcompany&co", über weite Strecken extrem eng an die Geschichte gehalten haben, wie der Film sie erzählt nach dem prächtigen Roman des Nachkriegssatirikers Hugo Hartung.
Sonst neigt die Gruppe ja eher dazu, das Material eigener Arbeiten stark zu fragmentieren und dann mit enorm viel theoretischem Überbau zuzuschütten. "andcompany"-Aufführungen sind meistens ziemlich klug, aber ebenso oft auch ein wenig blutleer und überangestrengt konstruiert.
Hier und mit dem enorm animierten Ensemble am Deutschen Theater in Göttingen verlässt sich das Produktionsteam womöglich zum ersten Mal ganz und gar auf die Vorlage und rückt der mit der Company-Strategie des forciert naiven Bildertheaters zu Leibe. Nur wo es mehr oder minder dringend nötig erscheint, greift die "andcompany" gedanklich ein, ergänzt und erweitert sie die pfiffige Filmgeschichte.
Die erzählt ja vor allem vom ewigen Deutschen. Bruno Tiches heißt der - Robert Graf spielt ihn ziemlich diabolisch im Film - und ein Durchmauschler ist er, ein Fähnchen-nach-dem-Wind-Stratege: Nazi ist er, wenn das nützlich ist, und gleich danach ist er per du mit den Besatzern. Überall wittert diese unzerstörbare Type den eigenen Vorteil und weiß den zu nutzen, erst recht im Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre. Der Film lässt ihn sehr symbolträchtig sterben, als er - längst zum Wirtschaftsboss aufgestiegen - wieder mal aufsteigen will und einen Fahrstuhl betritt, der leider gerade in Reparatur ist und darum im Keller.
Dem ewigen deutschen Gangster steht als ewiger Freund ein deutscher Gutmensch gegenüber, Hans Boeckel, der nie mitbekommt, welche Desaster sich politisch gerade ankündigen. Dieses deutsche Doppelwesen nun verlängern die "andcompany"-Macher herüber in mancherlei Gegenwarten, basteln Bilder vom "deutschen Herbst" der terroristischen 70er-Jahre mit ins Spiel und den Mauerfall ein lächerliches kurzes Jahrzehnt später. Kinder, wie schnell doch die Zeit verging. Und die jüngste Version des ewigen deutschen ist für die "andcompany" natürlich der akademische Fälscher aus den fränkischen Wäldern von und zu Guttenberg. Wie Hoffmanns Film mit Neuss und Müller die Spitzen des Kabaretts jener Jahre mit Spitzen zur deutschen Nachkriegsaktualität ausstattete, so mausern sich die Göttinger "Wunderkinder" zur klug dosierten Kabarett-Revue.
Natürlich bleibt die "andcompany" bei aller Nähe zum Material ein freies Ensemble und polemisiert - zuweilen ein wenig zu dekorativ - gegen die beamtenhafte Sicherheit des deutschen Stadttheaterbetriebs, besonders wenn es um die allgegenwärtige Hitler-Präsenz geht in der "Wunderkinder"-Story. Aber nie bricht der freche schnelle Abend unter Theorie zusammen und erobert stattdessen ein feines, kleines Stadttheater mit der Geschichte eines großen deutschen Films.
Informationen:
Deutsches Theater Göttingen