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Ein gefährdeter Traum

Die Fußball-Europameisterschaft 2012 ist eine große Chance für die Ukraine: Das Land erhofft sich dadurch einen wirtschaftlichen Aufschwung und will die Tür nach Europa öffnen. Doch die Krise und die aktuelle politische Situation gefährden die Ausrichtung des Turniers.

Von Moritz Küpper | 20.09.2009
    Schwere Bagger räumen den Schutt vor dem Olympiastadion in Kiew zur Seite, Bauarbeiter reißen den Boden auf, bohren Löcher. Hier, mitten im Zentrum der Hauptstadt sind die Bemühungen der Ukraine um Spielstätten für die Fußball-Europameistschaft deutlich sichtbar: Bereits in einem Jahr soll das neue Stadion mit ausfahrbaren Dach und modernen Glaskonstruktion stehen.

    Noch drei Jahre hat die Ukraine Zeit, sich auf die Ausrichtung der Fußball-Europameisterschaft 2012 vorzubereiten. Doch der Stand der Bauvorhaben, hat westliche Länder und den Europäischen Fußballverband UEFA nervös werden lassen. Zu Unrecht, wie Vitalii Ivanko aus Sevastopol meint:

    "Auch wir machen uns Sorgen, genauso wie die Menschen in Europa. Aber ich denke, dass es letztlich klappen wird. Unsere Regierung wird alles unternehmen. Die Ukraine wartet auf die ausländischen Fußballmannschaften.”"

    Dieser Optimismus wird nicht überall geteilt - und ist bei einem Blick auf die Fakten auch nicht angebracht. In vier Städten soll 2012 der Ball rollen: Kiew, Lemberg, Donezk und Dnipropetrowsk. Die Stadien in Donzek und Dnipropetrowsk stehen bereits, doch an fehlenden Spielstätten wird die EM in der Ukraine nicht scheitern, wie Christoph Wesemann, ein deutscher Journalist aus Odessa, berichtet:

    ""Das große Problem, das ich sehe, ist die Infrastruktur. Es gibt viel zu wenig Hotels, viel zu schlechte Straßen, viel zu kleine Bahnhöfe. Das Reisen ist unglaublich beschwerlich in der Ukraine. Also, die Straßen sind schlecht, die Zugverbindungen sind schlecht, die Züge sind langsam, die Flughäfen sind viel zu klein, die Verbindungen sind unheimlich schlecht. Das wird die große Herausforderung sein, das noch zu modernisieren, weil das Land rechnet, so weit ich weiß, mit 400.000 Touristen, EM-Touristen. Aber wo sollen die hin? Wo sollen die wohnen, wie sollen die sich fortbewegen, wie sollen die reisen?"

    Bestes Beispiel: Wesemanns Wohnort Odessa. Die Stadt am schwarzen Meer ist Reservekandidat für den Problemfall Lemberg: Seit Jahren versuchen deutsche Unternehmen im geschichtsträchtigen Odessa Fuß zu fassen, da die Nachfrage von Touristen - gerade auch aus Deutschland - immer größer wird. Doch einzelne Projekte scheitern immer wieder daran, dass sich auf ukrainischer Seite kein verlässlicher Partner findet. Zudem sprechen nur wenige Ukrainer englisch.

    Eine EM-Vorfreude kann Wesemann nicht feststellen, in der Bevölkerung sei das Turnier bisher kein großes Thema:

    "Von Euphorie spüre ich im Moment noch nichts. Ich weiß nicht, ob das so ein großes Thema ist. Man muss immer bedenken, die Ukrainer denken anders als wir Deutschen. Also wir Deutschen planen immer sehr weit im Voraus. Die Ukrainer, die denken von heute zu morgen. Sie wissen nicht was morgen ist. So wie sie nicht an die Rente denken, so denken sie wahrscheinlich jetzt auch noch nicht an die EM in drei Jahren oder 2012."

    Es ist genau diese Mentalität, die das Projekt EM 2012 für die Ukraine gefährdet, meint James Marson, Korrespondent des "Wall Street Journals" mit Sitz in Kiew:

    "Ukrainer haben eine sehr kurzfristig orientierte Mentalität, wahrscheinlich aufgrund ihrer Geschichte: Wenn Du nicht weißt, was am nächsten Tag passiert, kannst Du diesen auch schwer planen. Im Hinblick auf die EM 2012 heißt das: Ihnen wurde die EM 2007 zugesprochen, aber das ist fünf Jahre vor dem Turnier. Das ist also weit weg. Wie soll man also für etwas planen, was solange weg ist? Es können so viele Sachen passieren: Politische und wirtschaftliche Veränderungen beispielsweise ... "

    Die vorhandenen Infrastruktur-Probleme lassen sich nicht innerhalb weniger Monate korrigieren. Zumal das Geld fehlt: Die Finanzkrise hat die Ukraine voll getroffen, im Gegensatz zu Co-Gastgeber Polen, das 70 Millionen Euro von der EU bekommt, geht die Ukraine als Nicht-EU-Mitglied leer aus. Zusätzlich lähmt die im Januar anstehende Präsidentschaftswahl das Land.

    Seit Monaten werden daher Alternativ-Szenarien von der UEFA ins Spiel gebracht: Präsident Michel Platini nannte Deutschland als potentiellen Mitausrichter. Weitere Option: Es sei auch möglich, dass Mitgastgeber Polen sechs Stadien stelle, der Ukraine nur zwei Spielstätten und entsprechend weniger Spiele blieben. Und schließlich droht auch noch der komplette Entzug. Wie würden die Ukrainer das aufnehmen? Wall-Street-Korrespondent James Marson:

    " Es ist schwierig zu sagen, Ukrainer sind nicht leicht zu schockieren. Das Leben hier ist nicht vorhersagbar, vor allem nicht politisch. Wenn die EM weggenommen wird, werden die Leute mit den Schultern zucken und das als normal empfinden: Das ist Ukraine, würden sie sagen. Und das ist sehr enttäuschend. Es ist eine Chance für die Ukraine, zu zeigen, dass sie etwas machen kann."

    Anlass zur Hoffnung, dass die Ukraine das Turnier in geplanter Form ausrichten kann, gibt es jedenfalls wenig, meint Journalist Wesemann:

    "Also, zuversichtlich stimmt mich eigentlich nur Europa und die UEFA. Ich glaube, für Europa und die UEFA ist es viel zu wichtig, dass die EM in der Ukraine und Polen stattfindet. Vor allem in der Ukraine, weil damit auch ein Signal ausgeht von Europa in Richtung Osten, wir lassen Euch nicht alleine, wir wollen Euch haben, wir unterstützen Euch."

    Das UEFA-Exekutivkomitee will am 11. Dezember diesen Jahres endgültig über die Gastgeberstädte für 2012 entscheiden. Bereits jetzt steht fest, dass die Ukraine sich bis dahin noch kräftig anstrengen muss, damit das Endspiel am 1. Juli 2012 - wie geplant - in Kiew stattfinden kann. In jenem Stadion, an dem heute noch zahlreiche Bagger und Bohrer arbeiten.