Wenn man auch nichts über Marcel Proust weiß, nie über den ersten Band seiner "Suche nach der verlorenen Zeit" hinausgekommen ist, so ist man sich manch vermeintlicher Wahrheit über den 1922 gestorbenen Schriftsteller doch gewiss: dass er die Männer liebte, nicht die Frauen, und dass manch ein Mann auch als Vorbild diente für die eine oder andere weibliche Figur in seinem Werk. Viele vermögen sogar den Namen Alfred Agostinellis zu nennen, der nach allgemeiner Überzeugung unter dem Namen Albertine als Geliebte des Roman-Marcels auftritt.
Michael Maar aber macht in seinem Buch über Proust plausibel, dass es auch noch ein anderes Vorbild für Albertine gegeben haben könnte, ja dass mehr noch als Alfred möglicherweise ein gewisser Edgar Aubert auf den Autor Eindruck gemacht hat. Wenn er auch nicht unmittelbar das Vorbild für Albertine gewesen ist, so aber bot doch sein früher, Proust erschütternder Tod ein erstes Modell für den Tod Abertines in "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit".
"Man hat uns lange genug ein l für ein u vorgemacht", schreibt Michael Maar in Bezug auf "Albert und Aubert", und man sieht an dieser Formulierung, was für ein genauer Leser Maar ist, wie er jeden Buchstaben hin und her zu wenden scheint, um ihn genauestens abzuklopfen und auf eventuelle Spuren zu untersuchen, die ihn mit anderen Buchstaben, die das Wort mit anderen Wörtern, die am Ende auch einen Roman mit einem anderen verbinden könnten.
So widmet sich ein Aufsatz in "Pharao Proust" auch der Beziehung zwischen der "Suche nach der verlorenen Zeit" und Thomas Manns "Josephs"-Tetralogie. Beide seien sie insgeheim Märchenromane, für beide bilde der große Krieg den Schluss, den düsteren Grund des Lochs, wie Maar schreibt, "in das die Endzeit immer schneller strömt".
Proust eigener Tod wird von Maar ebenfalls geschildert, seine kontraproduktiven, ja fatalen Selbstheilungsversuche, die am Ende eher Selbsttötungsversuchen gleichkamen.
Er schließt sich in seinem eisigen feuchten Zimmer der Rue Hamelin ein, lüftet nicht, bleibt Tag und Nacht im Bett, dem Hauptlager der damals noch unbekannten Staubmilben. Seine Krankheit hat sich in ihm eingenistet wie eine Made im Speck. Das Einzige, das ihm noch hilft und Atem verschafft, sind die rituellen Räucherungen, die täglichen fûmages. Aber auch mit denen stand es anders, als man lange Zeit wusste.
Michael Maar, man kann es nicht anders sagen, weiß Bescheid: Er weiß um den Drogencharakter des von Proust verwendeten Asthmapulvers – es enthielt Stechapfel -, er weiß Bescheid über die feinsten Verbindungslinien zwischen Leben und Werk, jenen fasergleichen Informationssträngen, über die ein reger Austausch stattfindet zwischen Prousts Welt und der des Roman-Marcels. Ja, Maar scheint jeden Brief und jedes Zettelchen zu kennen. Auch manch äußerst kurioser Fund ist ihm bei seinen Recherchen untergekommen. Zitiert sei hier noch aus einem Brief Marcels an seinen "lieben kleinen Großpapa":
Ich bitte dich in deiner Großzügigkeit um die Summe von 13 Francs, die ich von Monsieur Nathan erbitten wollte, aber Mama möchte lieber, dass ich dich frage. Und zwar deshalb: Ich musste so dringend eine Frau sehen, um mit meiner schlechten Gewohnheit zu masturbieren aufzuhören, dass Papa mir 10 Francs fürs Bordell gegeben hat. Aber erstens habe ich in meiner Aufregung den Nachtopf zerbrochen, 3 Francs, und zweitens konnte ich in derselben Aufregung nicht vögeln. Jetzt stehe ich da wie zuvor und brauche immer noch die 10 Francs, um mich zu erleichtern, plus 3 Francs für den Topf. Aber ich traue mich nicht, so schnell wieder Papa um Geld zu bitten, und ich habe gehofft, dass du mir in dieser Lage zu Hilfe kommen würdest, die, wie du weißt, nicht nur außergewöhnlich ist, sondern einmalig: es passiert nicht zweimal im Leben, dass man zu verwirrt ist, um vögeln zu können.
So altklug wie der 16-jährige Proust in diesem Brief, das bleibt zu sagen, wirkt Maar niemals; des jungen Prousts unter Vorwitz versteckte Gewitztheit aber ist auch dem so genauen wie liebevollen Leser Maar nicht fremd.
Michael Maar: "Proust Pharao".
Berenberg Verlag, Berlin 2009. 80 Seiten, 19 Euro.
Michael Maar aber macht in seinem Buch über Proust plausibel, dass es auch noch ein anderes Vorbild für Albertine gegeben haben könnte, ja dass mehr noch als Alfred möglicherweise ein gewisser Edgar Aubert auf den Autor Eindruck gemacht hat. Wenn er auch nicht unmittelbar das Vorbild für Albertine gewesen ist, so aber bot doch sein früher, Proust erschütternder Tod ein erstes Modell für den Tod Abertines in "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit".
"Man hat uns lange genug ein l für ein u vorgemacht", schreibt Michael Maar in Bezug auf "Albert und Aubert", und man sieht an dieser Formulierung, was für ein genauer Leser Maar ist, wie er jeden Buchstaben hin und her zu wenden scheint, um ihn genauestens abzuklopfen und auf eventuelle Spuren zu untersuchen, die ihn mit anderen Buchstaben, die das Wort mit anderen Wörtern, die am Ende auch einen Roman mit einem anderen verbinden könnten.
So widmet sich ein Aufsatz in "Pharao Proust" auch der Beziehung zwischen der "Suche nach der verlorenen Zeit" und Thomas Manns "Josephs"-Tetralogie. Beide seien sie insgeheim Märchenromane, für beide bilde der große Krieg den Schluss, den düsteren Grund des Lochs, wie Maar schreibt, "in das die Endzeit immer schneller strömt".
Proust eigener Tod wird von Maar ebenfalls geschildert, seine kontraproduktiven, ja fatalen Selbstheilungsversuche, die am Ende eher Selbsttötungsversuchen gleichkamen.
Er schließt sich in seinem eisigen feuchten Zimmer der Rue Hamelin ein, lüftet nicht, bleibt Tag und Nacht im Bett, dem Hauptlager der damals noch unbekannten Staubmilben. Seine Krankheit hat sich in ihm eingenistet wie eine Made im Speck. Das Einzige, das ihm noch hilft und Atem verschafft, sind die rituellen Räucherungen, die täglichen fûmages. Aber auch mit denen stand es anders, als man lange Zeit wusste.
Michael Maar, man kann es nicht anders sagen, weiß Bescheid: Er weiß um den Drogencharakter des von Proust verwendeten Asthmapulvers – es enthielt Stechapfel -, er weiß Bescheid über die feinsten Verbindungslinien zwischen Leben und Werk, jenen fasergleichen Informationssträngen, über die ein reger Austausch stattfindet zwischen Prousts Welt und der des Roman-Marcels. Ja, Maar scheint jeden Brief und jedes Zettelchen zu kennen. Auch manch äußerst kurioser Fund ist ihm bei seinen Recherchen untergekommen. Zitiert sei hier noch aus einem Brief Marcels an seinen "lieben kleinen Großpapa":
Ich bitte dich in deiner Großzügigkeit um die Summe von 13 Francs, die ich von Monsieur Nathan erbitten wollte, aber Mama möchte lieber, dass ich dich frage. Und zwar deshalb: Ich musste so dringend eine Frau sehen, um mit meiner schlechten Gewohnheit zu masturbieren aufzuhören, dass Papa mir 10 Francs fürs Bordell gegeben hat. Aber erstens habe ich in meiner Aufregung den Nachtopf zerbrochen, 3 Francs, und zweitens konnte ich in derselben Aufregung nicht vögeln. Jetzt stehe ich da wie zuvor und brauche immer noch die 10 Francs, um mich zu erleichtern, plus 3 Francs für den Topf. Aber ich traue mich nicht, so schnell wieder Papa um Geld zu bitten, und ich habe gehofft, dass du mir in dieser Lage zu Hilfe kommen würdest, die, wie du weißt, nicht nur außergewöhnlich ist, sondern einmalig: es passiert nicht zweimal im Leben, dass man zu verwirrt ist, um vögeln zu können.
So altklug wie der 16-jährige Proust in diesem Brief, das bleibt zu sagen, wirkt Maar niemals; des jungen Prousts unter Vorwitz versteckte Gewitztheit aber ist auch dem so genauen wie liebevollen Leser Maar nicht fremd.
Michael Maar: "Proust Pharao".
Berenberg Verlag, Berlin 2009. 80 Seiten, 19 Euro.