In der "Gebrauchsanweisung", die das Leben in einem Miethaus in vielen, einander überschneidenden Geschichten nach Art eines Schachspiels erzählt oder andeutet, kommt auch der Maler Gaspar Winckler vor, der sich mit der Herstellung von Puzzles befasst. Doch diese Randfigur des Romans hat eine Vorgeschichte, die der damals zweiundzwanzigjährige Soldat im Algerienkrieg verfasste – sein Vater war ebenfalls als Soldat der französischen Armee 1940 gefallen, die Mutter wurde nach Auschwitz-Birkenau verschleppt und dort ermordet: "Der Condottiere", ein Buch, das in Frankreich erst 2012 veröffentlicht und 2013 von Heinz Ritte ins Deutsche übertragen wurde. Darin finden sich nur wenige der absurden sprachlichen Witze, die er in der gemeinsam mit Raimond Queneau gegründeten Künstlergruppe "Oulipo", einer "Werkstatt für potentielle Literatur" zu seinem Markenzeichen machte.
"Der Condottiere" ist ein Künstlerroman über eben diesen Gaspar Winckler, einen genialen Fälscher, der in einem "acte gratuit" – wie sie von Gide bis Camus zum Repertoire französischer Literatur gehörten - also einem unbegründeten, plötzlichen Mord, sein Leben aufs Spiel setzt.
Da war immer noch diese strenge Kälte, diese strenge Ordnung eines entschlackten Stils, diese eisige Harmonie der Farben. Aber plötzlich schuf die verschlaffte Masse von Maderas Körper den Eindruck des Grotesken… Er war von seinem Stuhl gerutscht und lag auf dem Rücken, die Augen halb geschlossen, der leicht geöffnete Mund erstarrt zu einem Ausdruck idiotischen Erstaunens, der noch akzentuiert wurde vom stumpfen Glanz eines Goldzahns. Aus der durchgetrennten Kehle quoll das Blut in dickflüssigen Schüben, rann auf den Boden, durchtränkte nach und nach den Teppich und dieser warme, lebendige, animale Fleck ergriff langsam Besitz von dem ganzen Raum, als ob nichts anderes mehr existierte als diese immer weiter ausstrahlende Fleck, als diese abstoßende, lächerliche Masse, dieser aufblühende, ausufernde grenzenlose Kadaver.
Dieser Satz ist, wie das ganze Buch, glänzend übertragen, noch viel länger, eine ebenso präzise wie irrwitzige Beschreibung von handfest Sichtbarem, dem sich Gaspar plötzlich gegenübersieht; er, der sich bislang nur am Schein, an den Farben, Formen, Schichtungen seiner Gemälde, vielmehr seiner Fälschungen, abgearbeitet hatte. Und langsam taucht im Verlauf des Textes sein Leben auf, erzählt in allen drei Formen des Er, des Du und des Ich.
Mit siebzehn Jahren war er bei Jérôme, einem Schweizer Meisterfälscher, in die Lehre gegangen, hatte alle Tricks des Gewerbes gelernt und dann selbst angefangen zu fälschen: alles, was sein Auftraggeber Madera und der Kunsthändler Rufus bei ihm bestellt hatten, antike Skulpturen und Renaissancegemälde, Impressionisten und Rokokokünstler, die die beiden verkauften. Er beherrschte seine Kunst glänzend, und während er in seinen Kellerateliers immer perfekter und reicher wurde, das viele Geld allenfalls für Bücher und Reisen brauchte, wurde er auch immer waghalsiger – bis er sich daran machte, einen Antonello da Messina zu fälschen, also ein Bild herzustellen, das ein berühmtes Gemälde des Meisters, eben den im Louvre hängenden Condottiere, zugleich imitieren und übertreffen sollte. Je weiter der Roman fortschreitet, dessen minimale äußere Handlung daraus besteht, dass Gaspar dem Keller durch ein von ihm gegrabenes Loch zu entkommen sucht, ehe Rufus oder Otto, Maderas Kreaturen, ihn entdecken und ihrerseits umbringen, spult Perec ein verpfuschtes Leben ab: die Lehrjahre, die Meisterschaft, die Tricks des Fälschers.
Du hast einen Mord begangen. Du glaubst, die Sache sei einfach. Ist sie nicht. Du glaubst, es hat Sinn einen Mord zu begehen. Hat es nicht. Du glaubst, es sei einfach, einen Condottiere zu malen. Ist es nicht. Nichts ist einfach. Nichts liegt auf der Hand. Alles ist falsch. Du konntest dich nur täuschen. Du konntest nur so enden.
Enden unter der Guillotine? Nein, Gaspar, der mit sich selbst spricht, will leben, weiterleben. Auch wenn er an Antonello gescheitert ist.
Weil sich eines Tages das schmerzlich genaue Bewusstsein des Scheiterns seiner Ambition einstellte, weil der Condottiere nichts als ein feiger Hund, ein entwaffneter Ritter, ein saft- und kraftloser Krautjunker war, hatte die Welt jeden Sinn verloren. War er jemals frei gewesen? Musste Jerôme erst sterben, musste der Condottiere ein Fehlschlag sein, musste Madera erst sterben, bevor es ihm endlich klar wurde? Wusste er es? Sah er es? Das Scheitern am Condottiere, Maderas Tod. Alles dasselbe? Derselbe Ausbruch von Hass und Wahn…
In die aufhaltsame, genaue Chronologie der Flucht sind alle Jahre davor als immer wieder auftauchende Erinnerungssplitter eingelassen, die bis in die Jugend Gaspars zurückreichen, die die Namen seiner Freundinnen evozieren, aber nur diese: Was mit ihnen war, außer Telefonaten ohne Anschluss, erfahren wir nicht, nur Namen, nur Schemen, denn er musste ja arbeiten. Diese Arbeit schildert Perec genau: die peniblen Vorbereitungen, den Kampf um den richtigen Untergrund, jenen berühmtem, so schwer herzustellenden gesso duro, oder einen Schatten am Kinn des Objekts, das monatelange Suchen nach dem richtigen Gesichtsausdruck – und dann das Ende nach der letzten Korrektur: Aus dem gefälschten Antonello blickt ihn das eigene Gesicht an! Denn diesen geheimnisvollen Maler konnte man nicht fälschen, nicht aus verschiedenen Farbaufträgen, Details, die Gaspar beherrschte, neu zusammensetzten; es gab keine Anhaltspunkte, um einen neuen, seinen Condottiere zu malen, bei jedem Pastiche-Versuch, brach gleich alles auseinander, gegen die schiere Vollkommenheit konnte er nicht an. Und wusste doch alles über diese Figur, nur, dass sie nicht neu zu machen war, das war ihm aller Arbeit zum Trotz entgangen. Er war kein Schöpfer, er war nur der beste Fälscher der Welt.
Der Condottiere bleibt auf ewig reglos. Uneinholbar, furchterregend in seiner unmittelbaren Perfektion.
Perec beschreibt mit zahlreichen Volten, Abschweifungen, enormen Kenntnissen der Kunstgeschichte und des Fälscherhandwerks, das Scheitern eines, der eben kein Künstler war, sondern eben nur ein Imitator und er macht sich am Ende selber Mut – er will ein Künstler, ein Dichter werden:
Vielleicht willst Du in den Gesichtern die evidente Notwendigkeit des Menschen suchen. Vielleicht in den Gegenständen und Landschaften die evidente Notwendigkeit der Welt. Vielleicht in den Dingen und Lebewesen, in den Blicken und Bewegungen, die evidente Notwendigkeit des Sieges. Vielleicht nicht vielleicht. Vielleicht gewiss. Gewiss gewiss. Ins Herz der Welt tauchen. Eintauchen. Auf dem Weg zu jenem Tag, der in die Welt zu bringen wäre.
So der junge Perec. Der danach so vieles noch geschrieben hat, ohne dass er doch diese Welt wirklich gefunden hätte, es wurde nur ein Puzzle. Was er geschrieben hat, das wurden Kunststücke, witzig, raffiniert, nicht Leben sondern Literatur, in der Tat wichtige Literatur. Ein Versehrter, der gelernt hat zu spielen. Mit Worten. Kein Condottiere, ein Dichter.
"Der Condottiere" ist ein Künstlerroman über eben diesen Gaspar Winckler, einen genialen Fälscher, der in einem "acte gratuit" – wie sie von Gide bis Camus zum Repertoire französischer Literatur gehörten - also einem unbegründeten, plötzlichen Mord, sein Leben aufs Spiel setzt.
Da war immer noch diese strenge Kälte, diese strenge Ordnung eines entschlackten Stils, diese eisige Harmonie der Farben. Aber plötzlich schuf die verschlaffte Masse von Maderas Körper den Eindruck des Grotesken… Er war von seinem Stuhl gerutscht und lag auf dem Rücken, die Augen halb geschlossen, der leicht geöffnete Mund erstarrt zu einem Ausdruck idiotischen Erstaunens, der noch akzentuiert wurde vom stumpfen Glanz eines Goldzahns. Aus der durchgetrennten Kehle quoll das Blut in dickflüssigen Schüben, rann auf den Boden, durchtränkte nach und nach den Teppich und dieser warme, lebendige, animale Fleck ergriff langsam Besitz von dem ganzen Raum, als ob nichts anderes mehr existierte als diese immer weiter ausstrahlende Fleck, als diese abstoßende, lächerliche Masse, dieser aufblühende, ausufernde grenzenlose Kadaver.
Dieser Satz ist, wie das ganze Buch, glänzend übertragen, noch viel länger, eine ebenso präzise wie irrwitzige Beschreibung von handfest Sichtbarem, dem sich Gaspar plötzlich gegenübersieht; er, der sich bislang nur am Schein, an den Farben, Formen, Schichtungen seiner Gemälde, vielmehr seiner Fälschungen, abgearbeitet hatte. Und langsam taucht im Verlauf des Textes sein Leben auf, erzählt in allen drei Formen des Er, des Du und des Ich.
Mit siebzehn Jahren war er bei Jérôme, einem Schweizer Meisterfälscher, in die Lehre gegangen, hatte alle Tricks des Gewerbes gelernt und dann selbst angefangen zu fälschen: alles, was sein Auftraggeber Madera und der Kunsthändler Rufus bei ihm bestellt hatten, antike Skulpturen und Renaissancegemälde, Impressionisten und Rokokokünstler, die die beiden verkauften. Er beherrschte seine Kunst glänzend, und während er in seinen Kellerateliers immer perfekter und reicher wurde, das viele Geld allenfalls für Bücher und Reisen brauchte, wurde er auch immer waghalsiger – bis er sich daran machte, einen Antonello da Messina zu fälschen, also ein Bild herzustellen, das ein berühmtes Gemälde des Meisters, eben den im Louvre hängenden Condottiere, zugleich imitieren und übertreffen sollte. Je weiter der Roman fortschreitet, dessen minimale äußere Handlung daraus besteht, dass Gaspar dem Keller durch ein von ihm gegrabenes Loch zu entkommen sucht, ehe Rufus oder Otto, Maderas Kreaturen, ihn entdecken und ihrerseits umbringen, spult Perec ein verpfuschtes Leben ab: die Lehrjahre, die Meisterschaft, die Tricks des Fälschers.
Du hast einen Mord begangen. Du glaubst, die Sache sei einfach. Ist sie nicht. Du glaubst, es hat Sinn einen Mord zu begehen. Hat es nicht. Du glaubst, es sei einfach, einen Condottiere zu malen. Ist es nicht. Nichts ist einfach. Nichts liegt auf der Hand. Alles ist falsch. Du konntest dich nur täuschen. Du konntest nur so enden.
Enden unter der Guillotine? Nein, Gaspar, der mit sich selbst spricht, will leben, weiterleben. Auch wenn er an Antonello gescheitert ist.
Weil sich eines Tages das schmerzlich genaue Bewusstsein des Scheiterns seiner Ambition einstellte, weil der Condottiere nichts als ein feiger Hund, ein entwaffneter Ritter, ein saft- und kraftloser Krautjunker war, hatte die Welt jeden Sinn verloren. War er jemals frei gewesen? Musste Jerôme erst sterben, musste der Condottiere ein Fehlschlag sein, musste Madera erst sterben, bevor es ihm endlich klar wurde? Wusste er es? Sah er es? Das Scheitern am Condottiere, Maderas Tod. Alles dasselbe? Derselbe Ausbruch von Hass und Wahn…
In die aufhaltsame, genaue Chronologie der Flucht sind alle Jahre davor als immer wieder auftauchende Erinnerungssplitter eingelassen, die bis in die Jugend Gaspars zurückreichen, die die Namen seiner Freundinnen evozieren, aber nur diese: Was mit ihnen war, außer Telefonaten ohne Anschluss, erfahren wir nicht, nur Namen, nur Schemen, denn er musste ja arbeiten. Diese Arbeit schildert Perec genau: die peniblen Vorbereitungen, den Kampf um den richtigen Untergrund, jenen berühmtem, so schwer herzustellenden gesso duro, oder einen Schatten am Kinn des Objekts, das monatelange Suchen nach dem richtigen Gesichtsausdruck – und dann das Ende nach der letzten Korrektur: Aus dem gefälschten Antonello blickt ihn das eigene Gesicht an! Denn diesen geheimnisvollen Maler konnte man nicht fälschen, nicht aus verschiedenen Farbaufträgen, Details, die Gaspar beherrschte, neu zusammensetzten; es gab keine Anhaltspunkte, um einen neuen, seinen Condottiere zu malen, bei jedem Pastiche-Versuch, brach gleich alles auseinander, gegen die schiere Vollkommenheit konnte er nicht an. Und wusste doch alles über diese Figur, nur, dass sie nicht neu zu machen war, das war ihm aller Arbeit zum Trotz entgangen. Er war kein Schöpfer, er war nur der beste Fälscher der Welt.
Der Condottiere bleibt auf ewig reglos. Uneinholbar, furchterregend in seiner unmittelbaren Perfektion.
Perec beschreibt mit zahlreichen Volten, Abschweifungen, enormen Kenntnissen der Kunstgeschichte und des Fälscherhandwerks, das Scheitern eines, der eben kein Künstler war, sondern eben nur ein Imitator und er macht sich am Ende selber Mut – er will ein Künstler, ein Dichter werden:
Vielleicht willst Du in den Gesichtern die evidente Notwendigkeit des Menschen suchen. Vielleicht in den Gegenständen und Landschaften die evidente Notwendigkeit der Welt. Vielleicht in den Dingen und Lebewesen, in den Blicken und Bewegungen, die evidente Notwendigkeit des Sieges. Vielleicht nicht vielleicht. Vielleicht gewiss. Gewiss gewiss. Ins Herz der Welt tauchen. Eintauchen. Auf dem Weg zu jenem Tag, der in die Welt zu bringen wäre.
So der junge Perec. Der danach so vieles noch geschrieben hat, ohne dass er doch diese Welt wirklich gefunden hätte, es wurde nur ein Puzzle. Was er geschrieben hat, das wurden Kunststücke, witzig, raffiniert, nicht Leben sondern Literatur, in der Tat wichtige Literatur. Ein Versehrter, der gelernt hat zu spielen. Mit Worten. Kein Condottiere, ein Dichter.