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"Ein genialer Schachzug"

Die Insolvenz könnte für Suhrkamp die entscheidende Wende im ewigen Krieg zwischen Verlagsleitung und Gesellschafter Barlach bedeuten, meint DLF-Literaturredakteur Denis Scheck. Doch bei aller Aufregung um den Traditionsverlag: Die Bedeutung von Suhrkamp für die Literatur entspreche inzwischen der von Märklin für den Schienenverkehr.

Denis Scheck im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Zunächst aber zum Aufregerthema der Saison: "Das Insolvenzverfahren für Suhrkamp ist eröffnet", lautet die Meldung des heutigen Tages im aufregenden Drama um den Traditionsverlag. Wir erinnern uns: das schwierige und in Deutschland auch neue Wort "Schutzschirmverfahren", das wir vor ein paar Wochen gelernt hatten, sah eine Art kontrollierter Insolvenz vor, die zwei Vorteile hat: die Verlagsleitung kann das Heft des Handelns in der Hand behalten und es geht dezidiert nicht um die Abwicklung des Unternehmens, sondern um Vorschläge zu dessen Rettung, die ein Insolvenzverwalter zu begutachten hat. Nun hat die zuständige Richterin vom Amtsgericht Berlin-Charlottenburg bestätigt, dass das Verfahren über das Vermögen der Suhrkamp KG gestern Abend eröffnet wurde. Denis Scheck, was heißt das denn jenseits von sprödem Juristendeutsch?

    Denis Scheck: Ja, Frau Fischer, Sie sehen vor Rotlicht-Mikrofonen (oder Sie hören es vielmehr) die allmähliche Verwandlung eines Literaturkritikers in einen Fachmann für Insolvenzrecht. Das neue Insolvenzrecht, das erstmals auf einen Verlag angewendet, nun bei Suhrkamp durchexerziert wird – ich bin nicht sicher, ob ich da nicht ein wenig meine Kompetenzen überschreite, aber ich will es mal versuchen. Wenn alle Zeichen nicht trügen, dann ist diese Entscheidung des Amtsgerichts Charlottenburg, dass nun eben dieses neue Insolvenzrecht, der Gang in die Insolvenz über den Suhrkamp-Verlag verhängt wird beziehungsweise dem stattgegeben wird, dann ist das die entscheidende Wendung in dem ewigen Krieg zwischen Ulla Unseld-Berkéwicz, Eigentümerin von 61 Prozent des Suhrkamp-Verlages, und Hans Barlach, dem 39 Prozent an diesem Unternehmen gehört. Und der Versuch, in diese neue Insolvenz zu gehen, das Schutzschirmverfahren für sich in Anspruch zu nehmen, das war ein Versuch, diesen Hans Barlach sozusagen aus dem Unternehmen zu boxen, zu drängen, wenn alle Indizien nicht trügen, und dem wird jetzt offenbar gerichtlicherseits stattgegeben, wenn tatsächlich die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft gelingt, sodass man eine neue Geschäftsform für diesen Verlag findet.

    Fischer: Darüber haben wir noch nicht gesprochen. Das ist eben genau der Vorschlag, der jetzt unterbreitet wurde, den Suhrkamp-Verlag von einer Kommandit- in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln.

    Scheck: Das ist weniger der Vorschlag, sondern das ist der Plan, der Plan von Ulla Unseld-Berkéwicz. Hans Barlachs Pläne sehen gewiss ganz, ganz anders aus. Er ist nur, wie es scheint, durch diese Entscheidung des Amtsgerichts Charlottenburg jetzt da schachmatt gesetzt worden.

    Fischer: Sie sagen, Denis Scheck, Hans Barlach würde sozusagen aus dem Verlag herausgedrängt. Was bedeutet denn genau die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft?

    Scheck: Na ja, ich fasse hier bestimmte Formulierungen zusammen, die man unter drei, also nicht zitierfähig, hören kann von den Beteiligten. Das ist offenbar eine Möglichkeit, die dieses neue Schutzschirmverfahren bietet, die Form der Firma zu verändern in eine Aktiengesellschaft, und das bedeutet für den Minderheitengesellschafter Hans Barlach offenbar sehr schlechte Nachrichten. Ich selber bin wie gesagt alles andere als ein Fachmann für dieses Insolvenzrecht, aber offenbar tut sich da eine Tür auf, wie man diesen missliebigen Gesellschafter entweder mundtot machen kann beziehungsweise handlungsunfähig, oder gar endgültig aus der Firma drängen. Und man ist natürlich vonseiten von Ulla Unseld-Berkéwicz absolut gewillt, diesen Weg zu gehen. Das war wohl der Plan von Anfang an. Deshalb erschien, wenn es denn tatsächlich so laufen wird, dieser Weg in die Insolvenz ein genialer Schachzug. Allerdings kann ich auch nur, gestützt auf eine Pressemitteilung des Suhrkamp-Verlages, behaupten, dass der als Aktiengesellschaft wieder auferstehende Suhrkamp-Verlag dann eine Garantie für schönes Wetter und glückliche Menschen sein wird. Wir müssen allerdings, wir Leser, wir Literaturinteressierte, eines nicht aus den Augen verlieren: Die Bedeutung des Suhrkamp-Verlages für die Literatur heute entspricht der von Märklin für den schienengebundenen Personenverkehr. Das heißt, wir reden hier über eine symbolische Firma. Wir haben großes Interesse am Fortbestehen des Suhrkamp-Verlags als Traditionsunternehmen. Aber für die Literatur, Karin Fischer, hat die heutige Entscheidung, na ja, etwa die Bedeutung einer Entscheidung in einem Sommerloch.

    Fischer: Herzlichen Dank an meinen Kollegen Denis Scheck für die Erklärung und Einschätzung. Das Insolvenzverfahren für Suhrkamp ist in Berlin eröffnet worden.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.