Dirk Müller: Der größte Wettskandal der Fußballgeschichte, davon ist Europol fest überzeugt: über 700 Spiele manipuliert, mehr als 400 Schiedsrichter, Spieler und Funktionäre sollen darin verwickelt sein. Es geht auch um Spiele in der Königsklasse, um die Champions League, um die Qualifikation für die Fußballweltmeisterschaft. Mein Kollege Jürgen Zurheide hat darüber mit dem Sportjournalisten Thomas Kistner von der "Süddeutschen Zeitung" gesprochen. Wie laufen diese Wetten ab?
Thomas Kistner: Ja also da gibt es die unterschiedlichsten, vielzähligsten Formen von Wettmöglichkeiten, insbesondere natürlich in Asien. Da ist das Angebot schier unermesslich. Da gibt es sogar Dinge, die gar nicht auf das Ergebnis eines Spiels Einfluss haben, also beispielsweise die Anzahl von Einwürfen in den letzten 15 Minuten einer ersten Halbzeit, oder – das wurde im Baseball schon beobachtet – die Anzahl der Spieler, die vor Spielbeginn mit Sonnenbrillen auf der Nase aufs Spielfeld laufen, um sie dem Publikum zu präsentieren. Also die abenteuerlichsten Dinge lassen sich da bewetten. Allein schon diese Vielfalt von Wettmöglichkeiten und damit auch diese Vielfalt von Betrugsmöglichkeiten, die dann eigentlich auch nie und nimmer auffallen können, machen es so verlockend für Wettbetrüger, sich über den asiatischen Markt zu platzieren.
Jürgen Zurheide: Jetzt hören wir immer nur, der asiatische Markt. Das ist vermeintlich weit weg. Ist es wirklich nur der asiatische, oder wo sind die Beziehungen dann hier zu denjenigen, die hier eben mitspielen müssen – wobei Spiel ist jetzt das falsche Wort?
Kistner: Ich meine, hierzulande und in Europa, wo die Wettmärkte reglementiert sind, wo es Registrierungen gibt, wo es insbesondere limitierte Höchsteinsätze gibt, da spielen die ganzen braven Tipper, die praktisch anständig da in der Wettszene zu Gange sind und sich über einen, was weiß ich, vierstelligen Siegbetrag dann auch mal freuen können. Für die professionellen organisierten, groß angelegten Wettbetrüger gibt es nur den asiatischen Wettmarkt. Das ist ein Wettmarkt, der global im Jahr um die 400 Milliarden Dollar umsetzt.
Zurheide: Milliarden haben Sie jetzt gerade gesagt, 400 Milliarden.
Kistner: Milliarden habe ich gesagt, ja. Und die Hälfte davon wird allein dem Fußball zugerechnet, also das ist eine immense, eine schier unvorstellbar große Summe, die uns zweierlei zeigt. Zum einen ist das eine gigantische Geldwäschestation, die von der Organisierten Kriminalität betrieben wird, die noch nicht mal im Ansatz durchleuchtet ist, und zum anderen ist das eine Schattenindustrie, die, wie man so schön sagt, mittlerweile auch "too big to fail" ist. Das räumt man nicht über Nacht mit irgendeiner scharfen Gesetzgebung weg, schon gar nicht, weil das Ganze natürlich über Ländergrenzen hinweg abläuft. Es ist also praktisch ein gigantischer rechtsfreier Raum, in dem sich diese Zockerbetriebe etabliert haben, und da auszumisten, das wäre selbst für den Ausschuss der Vereinten Nationen eine Herkulesarbeit.
Zurheide: Jetzt habe ich vorhin schon mal Sepp Blatter zitiert, den kennen Sie ja nun auch besonders gut, der irgendwann mal gesagt hat, keine Toleranz. Heute müsste man eigentlich feststellen, komplett gescheitert. Ist das zu hart?
Kistner: Nein, das ist nicht zu hart. Zum einen: die Null-Toleranz, die wird ja im Sport gerne überall, Stichwort Doping, bemüht, und genau das Gegenteil ist der Fall. Das sind systemische Probleme, die Teil des Sports sind, und zwar Teil jenes Sports, der tatsächlich eine Milliardenindustrie ist. Das dürfen wir nicht vergessen. Wir reden hier nicht wirklich über Sport, wir reden ...
Zurheide: ... über Geschäft!
Kistner: ... vom Geschäft, und da gelten natürlich diese Regeln alle, die im Geschäftsleben gelten. Und der Sport hat den besonderen Vorteil – und das gilt leider eben auch bisher im großen Teil für die Zockerei -, dass er eine Autonomie unterhält, dass er sich in einem quasi rechtsfreien Raum abspielt, wenn man die staatliche Gesetzgebung als Messlatte anlegt. Der Sport kann sich weitgehend selbst reglementieren, und das haben wir hier auch in der Wettspielproblematik zu sehen.
Er ruft jetzt zwar um Hilfe oder ruft schon seit einigen Jahren um Hilfe und kooperiert mit den staatlichen Behörden in der Bekämpfung des Wettbetrugs, allerdings fällt mir zumindest auf, dass es hier vor allem um eine Spielart der Spielmanipulation geht, nämlich das, was von den Wettpaten insbesondere in Asien, aber teilweise auch von großen Banden wie hier – der Name Ante Sapina war schon gefallen – betrieben wird, nicht aber die Art von Spielmanipulation, die eigentlich die viel größere Bedrohung für den Fußball darstellt. Das ist die Art von Spielmanipulation, die aus dem Sport selbst erwächst, also die von Clubs, Spielern, Verbänden betrieben wird und die direkt der Manipulation von Resultaten, von Titelgewinnen, von Auf- und Abstiegsentscheidungen gilt und die natürlich beim Publikum viel verheerendere Auswirkungen hätte als das, was von außen von irgendwelchen doch anonymen Wettpaten reingetragen wird, die ihr Treiben natürlich vor allem in den dritten Ligen, in den vierten Ligen, irgendwo in der zweiten ungarischen Liga treiben, wo sie nicht auffallen, denn die wollen nicht auffallen, die manipulieren nicht, um die Ergebnisse zu verstellen, sondern die manipulieren, um Geld zu gewinnen.
Zurheide: Also was könnte man und wer könnte was tun? Jetzt haben wir ja heute eine Zusammenarbeit gesehen ja möglicherweise von Verbänden mit europäischen Institutionen. Reicht Ihnen das, oder müsste da was anderes passieren?
Kistner: Das ist sicherlich ein guter erster Schritt, dass hier mal über diese Schranken der Gesetzgebung in den verschiedenen Ländern hinweg operiert worden ist und Ergebnisse zusammengetragen worden sind. Aber das ist natürlich nur ein ganz kleines Schrittchen und was einen schon wieder stutzig machen muss ist natürlich, dass Europol das nicht so sauber und klar vorgetragen hat, wie man das hätte tun müssen. Da ist immer von einer gigantischen Enthüllung gesprochen worden, aber es ist zum großen Teil das, was wir schon seit 2009 kennen aus Bochum und ein bisschen mehr ist dazu gekommen.
Zurheide: Also Ross und Reiter sind nicht genannt worden? Das würden Sie gerne haben?
Kistner: Ja! Ich befürchte mehr. Ich befürchte, es sind ein paar Rösser und ein paar Reiter mehr aus irgendwelchen zweiten, dritten, vierten Ligen hinzugekommen, sodass man das gar nicht so spektakulär verkaufen konnte. Ich bin mir ziemlich sicher: Hätte man große Namen, hätte man jetzt auch beispielsweise große Champions League Spiele im Angebot neu dazu, dann wären die wahrscheinlich auch genannt worden.
Also dass es intern hier auch noch einen Wettstreit gibt zwischen Interpol und Europol, sollte vielleicht auch nicht unberücksichtigt bleiben. Interpol ist meines Erachtens gefährlich nahe mit der FIFA mittlerweile vernetzt. Es hat auch eine 20-Millionen-Euro-Spende da gegeben. Da ist Interpol sehr beschäftigt mit dem Bau des neuen Zentrums in Singapur, interessanterweise direkt in Singapur wird da gebaut. Interpol hat Schwierigkeiten, eigentlich darzulegen, was es mit diesen Geldern in den letzten zwei Jahren bisher wirklich angestellt hat. Es sind ja immerhin Millionenbeträge, es ist wenig zu sehen. Zugleich kommt jetzt Europol mit einer handfesten Maßnahme, die haben jetzt wenigstens mal was auf den Tisch gelegt, dass es ein bisschen was vorwärts gegangen ist. Das scheint auch so ein bisschen diesem internen Wettstreit geschuldet zu sein, was da abläuft.
Tatsächlich ist es so, dass sich diese Problematik nur von innen heraus bekämpfen lässt, also mit Experten, die in der Fußballszene drin agieren, die sich auskennen, zum einen im Spielerbetrieb, zum anderen aber natürlich auch in der Zockerszene. Es hat so was in Ansätzen gegeben, der Europäische Fußballverband UEFA hatte so was mal durchaus erfolgreich installiert gehabt, bis 2010 hat das einigermaßen funktioniert, wurde auch wieder abgeschafft. Also dass da nur Polizeibehörden agieren, das geht allein schon deshalb nicht, weil spätestens an den fernöstlichen Grenzen Schluss ist.
Müller: Mein Kollege Jürgen Zurheide im Gespräch mit dem Sportjournalisten Thomas Kistner von der "Süddeutschen Zeitung".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Thomas Kistner: Ja also da gibt es die unterschiedlichsten, vielzähligsten Formen von Wettmöglichkeiten, insbesondere natürlich in Asien. Da ist das Angebot schier unermesslich. Da gibt es sogar Dinge, die gar nicht auf das Ergebnis eines Spiels Einfluss haben, also beispielsweise die Anzahl von Einwürfen in den letzten 15 Minuten einer ersten Halbzeit, oder – das wurde im Baseball schon beobachtet – die Anzahl der Spieler, die vor Spielbeginn mit Sonnenbrillen auf der Nase aufs Spielfeld laufen, um sie dem Publikum zu präsentieren. Also die abenteuerlichsten Dinge lassen sich da bewetten. Allein schon diese Vielfalt von Wettmöglichkeiten und damit auch diese Vielfalt von Betrugsmöglichkeiten, die dann eigentlich auch nie und nimmer auffallen können, machen es so verlockend für Wettbetrüger, sich über den asiatischen Markt zu platzieren.
Jürgen Zurheide: Jetzt hören wir immer nur, der asiatische Markt. Das ist vermeintlich weit weg. Ist es wirklich nur der asiatische, oder wo sind die Beziehungen dann hier zu denjenigen, die hier eben mitspielen müssen – wobei Spiel ist jetzt das falsche Wort?
Kistner: Ich meine, hierzulande und in Europa, wo die Wettmärkte reglementiert sind, wo es Registrierungen gibt, wo es insbesondere limitierte Höchsteinsätze gibt, da spielen die ganzen braven Tipper, die praktisch anständig da in der Wettszene zu Gange sind und sich über einen, was weiß ich, vierstelligen Siegbetrag dann auch mal freuen können. Für die professionellen organisierten, groß angelegten Wettbetrüger gibt es nur den asiatischen Wettmarkt. Das ist ein Wettmarkt, der global im Jahr um die 400 Milliarden Dollar umsetzt.
Zurheide: Milliarden haben Sie jetzt gerade gesagt, 400 Milliarden.
Kistner: Milliarden habe ich gesagt, ja. Und die Hälfte davon wird allein dem Fußball zugerechnet, also das ist eine immense, eine schier unvorstellbar große Summe, die uns zweierlei zeigt. Zum einen ist das eine gigantische Geldwäschestation, die von der Organisierten Kriminalität betrieben wird, die noch nicht mal im Ansatz durchleuchtet ist, und zum anderen ist das eine Schattenindustrie, die, wie man so schön sagt, mittlerweile auch "too big to fail" ist. Das räumt man nicht über Nacht mit irgendeiner scharfen Gesetzgebung weg, schon gar nicht, weil das Ganze natürlich über Ländergrenzen hinweg abläuft. Es ist also praktisch ein gigantischer rechtsfreier Raum, in dem sich diese Zockerbetriebe etabliert haben, und da auszumisten, das wäre selbst für den Ausschuss der Vereinten Nationen eine Herkulesarbeit.
Zurheide: Jetzt habe ich vorhin schon mal Sepp Blatter zitiert, den kennen Sie ja nun auch besonders gut, der irgendwann mal gesagt hat, keine Toleranz. Heute müsste man eigentlich feststellen, komplett gescheitert. Ist das zu hart?
Kistner: Nein, das ist nicht zu hart. Zum einen: die Null-Toleranz, die wird ja im Sport gerne überall, Stichwort Doping, bemüht, und genau das Gegenteil ist der Fall. Das sind systemische Probleme, die Teil des Sports sind, und zwar Teil jenes Sports, der tatsächlich eine Milliardenindustrie ist. Das dürfen wir nicht vergessen. Wir reden hier nicht wirklich über Sport, wir reden ...
Zurheide: ... über Geschäft!
Kistner: ... vom Geschäft, und da gelten natürlich diese Regeln alle, die im Geschäftsleben gelten. Und der Sport hat den besonderen Vorteil – und das gilt leider eben auch bisher im großen Teil für die Zockerei -, dass er eine Autonomie unterhält, dass er sich in einem quasi rechtsfreien Raum abspielt, wenn man die staatliche Gesetzgebung als Messlatte anlegt. Der Sport kann sich weitgehend selbst reglementieren, und das haben wir hier auch in der Wettspielproblematik zu sehen.
Er ruft jetzt zwar um Hilfe oder ruft schon seit einigen Jahren um Hilfe und kooperiert mit den staatlichen Behörden in der Bekämpfung des Wettbetrugs, allerdings fällt mir zumindest auf, dass es hier vor allem um eine Spielart der Spielmanipulation geht, nämlich das, was von den Wettpaten insbesondere in Asien, aber teilweise auch von großen Banden wie hier – der Name Ante Sapina war schon gefallen – betrieben wird, nicht aber die Art von Spielmanipulation, die eigentlich die viel größere Bedrohung für den Fußball darstellt. Das ist die Art von Spielmanipulation, die aus dem Sport selbst erwächst, also die von Clubs, Spielern, Verbänden betrieben wird und die direkt der Manipulation von Resultaten, von Titelgewinnen, von Auf- und Abstiegsentscheidungen gilt und die natürlich beim Publikum viel verheerendere Auswirkungen hätte als das, was von außen von irgendwelchen doch anonymen Wettpaten reingetragen wird, die ihr Treiben natürlich vor allem in den dritten Ligen, in den vierten Ligen, irgendwo in der zweiten ungarischen Liga treiben, wo sie nicht auffallen, denn die wollen nicht auffallen, die manipulieren nicht, um die Ergebnisse zu verstellen, sondern die manipulieren, um Geld zu gewinnen.
Zurheide: Also was könnte man und wer könnte was tun? Jetzt haben wir ja heute eine Zusammenarbeit gesehen ja möglicherweise von Verbänden mit europäischen Institutionen. Reicht Ihnen das, oder müsste da was anderes passieren?
Kistner: Das ist sicherlich ein guter erster Schritt, dass hier mal über diese Schranken der Gesetzgebung in den verschiedenen Ländern hinweg operiert worden ist und Ergebnisse zusammengetragen worden sind. Aber das ist natürlich nur ein ganz kleines Schrittchen und was einen schon wieder stutzig machen muss ist natürlich, dass Europol das nicht so sauber und klar vorgetragen hat, wie man das hätte tun müssen. Da ist immer von einer gigantischen Enthüllung gesprochen worden, aber es ist zum großen Teil das, was wir schon seit 2009 kennen aus Bochum und ein bisschen mehr ist dazu gekommen.
Zurheide: Also Ross und Reiter sind nicht genannt worden? Das würden Sie gerne haben?
Kistner: Ja! Ich befürchte mehr. Ich befürchte, es sind ein paar Rösser und ein paar Reiter mehr aus irgendwelchen zweiten, dritten, vierten Ligen hinzugekommen, sodass man das gar nicht so spektakulär verkaufen konnte. Ich bin mir ziemlich sicher: Hätte man große Namen, hätte man jetzt auch beispielsweise große Champions League Spiele im Angebot neu dazu, dann wären die wahrscheinlich auch genannt worden.
Also dass es intern hier auch noch einen Wettstreit gibt zwischen Interpol und Europol, sollte vielleicht auch nicht unberücksichtigt bleiben. Interpol ist meines Erachtens gefährlich nahe mit der FIFA mittlerweile vernetzt. Es hat auch eine 20-Millionen-Euro-Spende da gegeben. Da ist Interpol sehr beschäftigt mit dem Bau des neuen Zentrums in Singapur, interessanterweise direkt in Singapur wird da gebaut. Interpol hat Schwierigkeiten, eigentlich darzulegen, was es mit diesen Geldern in den letzten zwei Jahren bisher wirklich angestellt hat. Es sind ja immerhin Millionenbeträge, es ist wenig zu sehen. Zugleich kommt jetzt Europol mit einer handfesten Maßnahme, die haben jetzt wenigstens mal was auf den Tisch gelegt, dass es ein bisschen was vorwärts gegangen ist. Das scheint auch so ein bisschen diesem internen Wettstreit geschuldet zu sein, was da abläuft.
Tatsächlich ist es so, dass sich diese Problematik nur von innen heraus bekämpfen lässt, also mit Experten, die in der Fußballszene drin agieren, die sich auskennen, zum einen im Spielerbetrieb, zum anderen aber natürlich auch in der Zockerszene. Es hat so was in Ansätzen gegeben, der Europäische Fußballverband UEFA hatte so was mal durchaus erfolgreich installiert gehabt, bis 2010 hat das einigermaßen funktioniert, wurde auch wieder abgeschafft. Also dass da nur Polizeibehörden agieren, das geht allein schon deshalb nicht, weil spätestens an den fernöstlichen Grenzen Schluss ist.
Müller: Mein Kollege Jürgen Zurheide im Gespräch mit dem Sportjournalisten Thomas Kistner von der "Süddeutschen Zeitung".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.