"We ask every citizen to immediately report any information regarding espionage, sabotage or un-American activities to the Federal Bureau of Investigation ... "
J. Edgar Hoover im Originalton aus den 50er-Jahren. Der berüchtigte Boss des FBI fordert die Bürger auf, ihre Nachbarn und Kollegen zu bespitzeln und wenn nötig, wegen unamerikanischer Umtriebe zu denunzieren. Fast 50 Jahre lang stand Hoover an der Spitze des Federal Bureau of Investigation, das Bundespolizei und Inlandsnachrichtendienst in einem ist. Zeitweise war er der mächtigste Mann im Staate. Tim Weiner, Pulitzerpreis-gekürter Journalist, hat die Geschichte des FBI in einem 700 Seiten starken Buch aufgeschrieben. Es liest sich wie ein Politkrimi. Der Autor schildert die Anfänge der Behörde, die Überwachung deutscher Spione während des Ersten Weltkrieges und die Ermittlungen nach dem Bombenanschlag an der Wall Street im Jahr 1920. Der wurde angeblich von Anarchisten verübt. Weiner erzählt, wie der junge Abteilungsleiter J. Edgar Hoover 1924 zum Direktor des FBI befördert wurde und seinen fanatischen Kampf gegen die roten – und andere Feinde des Staates - aufnahm. Im amerikanischen Rundfunk beschreibt der Autor die Bedeutung Hoovers wie folgt:
"Hoover ist der Begründer des modernen amerikanischen Überwachungsstaates. Jeder Fingerabdruck, jede DNA-Probe, jeder Satz biometrischer Daten, jedes Dossier über jeden Bürger in den USA verdanken ihre Existenz J. Edgar Hoover. Wir leben bis heute in seinem Schatten, auch wenn er seit 40 Jahren tot ist."
Die gut 100-jährige Geschichte des FBI: Weiner erzählt sie als eine düstere Serie von Rechtsbeugung und Gesetzesbrüchen, von verdeckten Operationen gegen Terroristen, Spione, Saboteure und Subversive aller Art. Die Waffen des FBI: Lauschangriffe, Einbrüche, Erpressung, Beugehaft – und eine Armee von Informanten. Der Autor schildert, wie Hoover während des Kalten Krieges gegen die Bürgerrechtsbewegung vorging, die er als Werkzeug des Kommunismus sah. Er ließ Hotelzimmer und Büros verwanzen – und dokumentierte sorgsam die privaten Abgründe der ihm verdächtigen Personen, von John F. Kennedy bis zu Martin Luther King.
"Hoover sah in der Bürgerrechtsbewegung die größte Bedrohung für die Stabilität der US-Regierung seit dem Sezessionskrieg. Diese Leute waren aus Hoovers Sicht Staatsfeinde; vor allem Martin Luther King war ein Staatsfeind."
Weiner spielt geschickt mit den Mythen und Verschwörungstheorien, die sich um das FBI ranken. Aber er bedient sie nur bedingt. Und genau das macht die Lektüre so interessant. In jenen Passagen zum Beispiel, in denen er die Persönlichkeit des FBI-Chefs skizziert – anschaulich, aber nicht überzeichnet.
Hoover war kein Monster. Er war ein amerikanischer Machiavelli. Er war clever, er war ausgefuchst. Auf die Manipulation der öffentlichen Meinung verstand er sich meisterhaft.
Hoover diente unter acht Präsidenten. Einige verabscheuten seine, wie sie es nannten, "Gestapo-Methoden", aber keiner traute sich, den FBI-Chef zu feuern. Vermutlich, weil er sie mit den Geheimakten, die er über ihr Privatleben angelegt hatte, gefügig machte. Bei aller Kritik betont der Autor aber auch: Hoovers Motiv war nicht Größenwahn. Vielmehr beugten die Behörde und ihr Boss das Gesetz aus – zweifellos übereifriger und teilweise paranoider – Sorge um die nationale Sicherheit. Wie alle Geheimdienste, so stehe auch das FBI vor der heiklen Abwägung: Sicherheit oder bürgerliche Freiheit. Tim Weiner:
"Das große Dilemma ist: Wie führe ich Geheimdienstoperationen im Rahmen des Rechtsstaates durch? Geheimdienstarbeit bedeutet ja ihrem Wesen nach: in die Privatsphäre von Menschen einzudringen, sie zu belauschen, ihre Telefone anzuzapfen und ihre Emails zu lesen."
Im zweiten Teil des Buches schildert Weiner, wie Inkompetenz, Ignoranz und der gärende Machtkampf zwischen dem FBI und dem Auslandsgeheimdienst CIA dazu führten, dass wichtige Informationen über die Attentäter des 11. September einfach im System stecken blieben. So verhörte ein FBI-Agent im August 2001 einen Algerier mit abgelaufenem US-Visum. Sein Name: Zacarias Moussaoui:
Moussaoaui wollte lernen, wie man eine Boeing 747 flog, aber er übte weder Start noch Landungen. Der Algerier hatte 3000 Dollar in seinem Geldgurt und ein acht Zentimeter langes Springmesser in seiner Tasche.
Der Agent bat um Erlaubnis, Moussaouis Laptop zu überprüfen. Doch seine Vorgesetzten befanden: das FBI sei nicht zuständig. Diese Einschätzung änderte sich einen Monat später - und zwar radikal. Der Krieg gegen den Terror, den Amerika nach den Anschlägen von 9/11 ausrief, hauchte dem FBI neues Leben ein. In den Folgejahren kam es wieder zu Machtkämpfen zwischen Präsident und FBI-Chef - diesmal allerdings mit anderen Vorzeichen. So beschreibt Weiner, wie FBI-Chef Robert Mueller dem damaligen Präsidenten George W. Bush mit Rücktritt drohte, als dieser ein nach Muellers Ansicht illegales Abhörprogramm starten wollte.
"Mueller setzte sich durch, und Bush gab nach. Das war ein Triumph des Rechtsstaats. Und genau dafür sollte das FBI stehen."
Das wäre eigentlich ein schönes Schlusswort für ein – im besten Sinne – sehr amerikanisches Buch gewesen. Denn: "FBI – Die Geschichte einer legendären Organisation", ist ein griffig geschriebenes Doku-Drama, das Geschichtsinteressierte ebenso gerne lesen dürften wie Freunde von politischen Thrillern. Doch Tim Weiner endet mit einem eher ernüchternden Ausblick. Zwar gebe es unter Präsident Barack Obama erstmals ein klares Regelwerk – aber auch größere Befugnisse für den Einsatz des FBI als je zuvor:
Das FBI überwacht jetzt mehr Verdächtige mit zahlreichen und immer ausgeklügelteren verdeckten Ermittlungen. Bei der Überwachung von Amerikanern, die sich mit Worten und Gedanken, nicht mit Taten und Verschwörungen der Regierung entgegenstellen, operiert es manchmal am Rand und wohl auch jenseits der Legalität.
Tim Weiner: "FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation"
S. Fischer Verlag
704 Seiten, 22,99 Euro
J. Edgar Hoover im Originalton aus den 50er-Jahren. Der berüchtigte Boss des FBI fordert die Bürger auf, ihre Nachbarn und Kollegen zu bespitzeln und wenn nötig, wegen unamerikanischer Umtriebe zu denunzieren. Fast 50 Jahre lang stand Hoover an der Spitze des Federal Bureau of Investigation, das Bundespolizei und Inlandsnachrichtendienst in einem ist. Zeitweise war er der mächtigste Mann im Staate. Tim Weiner, Pulitzerpreis-gekürter Journalist, hat die Geschichte des FBI in einem 700 Seiten starken Buch aufgeschrieben. Es liest sich wie ein Politkrimi. Der Autor schildert die Anfänge der Behörde, die Überwachung deutscher Spione während des Ersten Weltkrieges und die Ermittlungen nach dem Bombenanschlag an der Wall Street im Jahr 1920. Der wurde angeblich von Anarchisten verübt. Weiner erzählt, wie der junge Abteilungsleiter J. Edgar Hoover 1924 zum Direktor des FBI befördert wurde und seinen fanatischen Kampf gegen die roten – und andere Feinde des Staates - aufnahm. Im amerikanischen Rundfunk beschreibt der Autor die Bedeutung Hoovers wie folgt:
"Hoover ist der Begründer des modernen amerikanischen Überwachungsstaates. Jeder Fingerabdruck, jede DNA-Probe, jeder Satz biometrischer Daten, jedes Dossier über jeden Bürger in den USA verdanken ihre Existenz J. Edgar Hoover. Wir leben bis heute in seinem Schatten, auch wenn er seit 40 Jahren tot ist."
Die gut 100-jährige Geschichte des FBI: Weiner erzählt sie als eine düstere Serie von Rechtsbeugung und Gesetzesbrüchen, von verdeckten Operationen gegen Terroristen, Spione, Saboteure und Subversive aller Art. Die Waffen des FBI: Lauschangriffe, Einbrüche, Erpressung, Beugehaft – und eine Armee von Informanten. Der Autor schildert, wie Hoover während des Kalten Krieges gegen die Bürgerrechtsbewegung vorging, die er als Werkzeug des Kommunismus sah. Er ließ Hotelzimmer und Büros verwanzen – und dokumentierte sorgsam die privaten Abgründe der ihm verdächtigen Personen, von John F. Kennedy bis zu Martin Luther King.
"Hoover sah in der Bürgerrechtsbewegung die größte Bedrohung für die Stabilität der US-Regierung seit dem Sezessionskrieg. Diese Leute waren aus Hoovers Sicht Staatsfeinde; vor allem Martin Luther King war ein Staatsfeind."
Weiner spielt geschickt mit den Mythen und Verschwörungstheorien, die sich um das FBI ranken. Aber er bedient sie nur bedingt. Und genau das macht die Lektüre so interessant. In jenen Passagen zum Beispiel, in denen er die Persönlichkeit des FBI-Chefs skizziert – anschaulich, aber nicht überzeichnet.
Hoover war kein Monster. Er war ein amerikanischer Machiavelli. Er war clever, er war ausgefuchst. Auf die Manipulation der öffentlichen Meinung verstand er sich meisterhaft.
Hoover diente unter acht Präsidenten. Einige verabscheuten seine, wie sie es nannten, "Gestapo-Methoden", aber keiner traute sich, den FBI-Chef zu feuern. Vermutlich, weil er sie mit den Geheimakten, die er über ihr Privatleben angelegt hatte, gefügig machte. Bei aller Kritik betont der Autor aber auch: Hoovers Motiv war nicht Größenwahn. Vielmehr beugten die Behörde und ihr Boss das Gesetz aus – zweifellos übereifriger und teilweise paranoider – Sorge um die nationale Sicherheit. Wie alle Geheimdienste, so stehe auch das FBI vor der heiklen Abwägung: Sicherheit oder bürgerliche Freiheit. Tim Weiner:
"Das große Dilemma ist: Wie führe ich Geheimdienstoperationen im Rahmen des Rechtsstaates durch? Geheimdienstarbeit bedeutet ja ihrem Wesen nach: in die Privatsphäre von Menschen einzudringen, sie zu belauschen, ihre Telefone anzuzapfen und ihre Emails zu lesen."
Im zweiten Teil des Buches schildert Weiner, wie Inkompetenz, Ignoranz und der gärende Machtkampf zwischen dem FBI und dem Auslandsgeheimdienst CIA dazu führten, dass wichtige Informationen über die Attentäter des 11. September einfach im System stecken blieben. So verhörte ein FBI-Agent im August 2001 einen Algerier mit abgelaufenem US-Visum. Sein Name: Zacarias Moussaoui:
Moussaoaui wollte lernen, wie man eine Boeing 747 flog, aber er übte weder Start noch Landungen. Der Algerier hatte 3000 Dollar in seinem Geldgurt und ein acht Zentimeter langes Springmesser in seiner Tasche.
Der Agent bat um Erlaubnis, Moussaouis Laptop zu überprüfen. Doch seine Vorgesetzten befanden: das FBI sei nicht zuständig. Diese Einschätzung änderte sich einen Monat später - und zwar radikal. Der Krieg gegen den Terror, den Amerika nach den Anschlägen von 9/11 ausrief, hauchte dem FBI neues Leben ein. In den Folgejahren kam es wieder zu Machtkämpfen zwischen Präsident und FBI-Chef - diesmal allerdings mit anderen Vorzeichen. So beschreibt Weiner, wie FBI-Chef Robert Mueller dem damaligen Präsidenten George W. Bush mit Rücktritt drohte, als dieser ein nach Muellers Ansicht illegales Abhörprogramm starten wollte.
"Mueller setzte sich durch, und Bush gab nach. Das war ein Triumph des Rechtsstaats. Und genau dafür sollte das FBI stehen."
Das wäre eigentlich ein schönes Schlusswort für ein – im besten Sinne – sehr amerikanisches Buch gewesen. Denn: "FBI – Die Geschichte einer legendären Organisation", ist ein griffig geschriebenes Doku-Drama, das Geschichtsinteressierte ebenso gerne lesen dürften wie Freunde von politischen Thrillern. Doch Tim Weiner endet mit einem eher ernüchternden Ausblick. Zwar gebe es unter Präsident Barack Obama erstmals ein klares Regelwerk – aber auch größere Befugnisse für den Einsatz des FBI als je zuvor:
Das FBI überwacht jetzt mehr Verdächtige mit zahlreichen und immer ausgeklügelteren verdeckten Ermittlungen. Bei der Überwachung von Amerikanern, die sich mit Worten und Gedanken, nicht mit Taten und Verschwörungen der Regierung entgegenstellen, operiert es manchmal am Rand und wohl auch jenseits der Legalität.
Tim Weiner: "FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation"
S. Fischer Verlag
704 Seiten, 22,99 Euro