Jürgen Zurheide: Über die Ankerzentren ist viel gestritten worden, und bis heute sind sie umstritten. Seit einem Jahr gibt es sie. Die CSU vor allen Dingen hatte dafür gekämpft, und sie gibt es deshalb vor allen Dingen in Bayern – in jedem Regierungsbezirk gibt es eines.
Ist das nun eine Erfolgsgeschichte, ja oder nein? Die Bilanz fällt mindestens gemischt aus, so ist die Lage. Genau darüber wollen wir reden mit dem Vorstandsvorsitzenden des Caritasverbandes München und Freising, ich begrüße ganz herzlich am Telefon Georg Falterbaum. Guten Morgen!
Georg Falterbaum: Guten Morgen!
Zurheide: Wo sind Sie selbst in diesen Ankerzentren aktiv, fangen wir damit an.
Falterbaum: Zunächst, wir betreuen eine ganze Reihe von Einrichtungen, in denen Flüchtlinge leben – große, kleine. So sind wir auch in der Sozialberatung tätig in dem Ankerzentrum in Manching, das noch eine Dependance in Fürstenfeldbruck hat.
Zurheide: Was machen Sie da ganz genau?
Falterbaum: Wir betreuen die Menschen, die dort untergebracht sind, sie dort auf eine Entscheidung warten, wie es mit ihnen weitergeht, und die aufgrund der Dauer der Verfahren nun also eine sehr, sehr lange Zeit, ganz überwiegend jedenfalls, dort in diesen großen Einrichtungen zubringen müssen.
80 Prozent der Menschen bleiben länger als ein Jahr in einem Ankerzentrum
Zurheide: Jetzt ist ja genau das Ziel dieser Ankerzentren gewesen, oder zumindest wurde das so immer begründet, die Verfahren sollen schneller werden. Die Landesregierung, die bayerische, hat gesagt, von drei Monaten auf zwei Monate habe man da etwas reduzieren können. Ist das auch Ihre Beobachtung?
Falterbaum: Unsere Beobachtung geht in eine andere Richtung. Wir haben ja nur zu beobachten, wie lange die Menschen tatsächlich, aus welchen Gründen auch immer, sich in der Einrichtung aufhalten, und da kommen wir zu einem anderen Ergebnis: Die Menschen mit einer guten Bleibeperspektive, in der Tat, da haben sich die Aufenthaltsdauern reduziert, für die anderen Menschen, das ist der überwiegende Teil, eben nicht. Und so beobachten wir, dass sicherlich 80 Prozent der Menschen länger als ein Jahr in dieser Einrichtung zubringen.
"Es dauert eben sehr viel länger, als es gewollt ist und als es sinnvoll ist"
Zurheide: Jetzt war natürlich auch das andere Versprechen, diejenigen, die eine gute Bleibeperspektive haben, für die geht’s schneller, das scheint so zu sein, bei den anderen hieß es ja dann, die kann man dann auch schneller abschieben. Das scheint in der Praxis, wenn ich Ihnen zuhöre, nicht so zu sein. Warum ist das so?
Falterbaum: Ja, gut, erst mal dauern die Verfahren relativ lange, und wenn es dann um Rückführung beispielsweise nach Italien geht oder andere Staaten, aus denen die Flüchtlinge kommen, es dauert eben sehr viel länger, als es gewollt ist und als es sinnvoll ist. Das ist die Realität.
"Kleine Einrichtungen sind deutlich besser handelbar, sind deutlich besser"
Zurheide: Was passiert dann in diesen Einrichtungen? Das ist ja, was wir auch immer wieder hören, dass es Auseinandersetzungen gibt, die Stimmung kann schnell kippen, das hab ich jetzt auch gelesen über die Bilanzen in einem Jahr. Was ist da Ihre Beobachtung?
Falterbaum: Wir betreiben kleine Einrichtungen und große, und aufgrund dieser Erfahrung können wir ganz klar feststellen, dass wir in diesen großen Einrichtungen – dort leben 1.000 Leute, teilweise sogar noch mehr, 1.000 Menschen in alten, nicht gerade sehr lebensfreundlichen Räumlichkeiten –, dass dort das Aggressionspotenzial deutlich höher ist als in kleineren Einrichtungen. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Menschen, die dort leben, sondern selbstverständlich auch auf die Menschen, die in der Umgebung solcher Einrichtungen wohnen. Unsere klare Erfahrung ist, kleine Einrichtungen sind deutlich besser handelbar, sind deutlich besser, was die Akzeptanz in der Bevölkerung angeht.
Zurheide: Jetzt ist ja die andere Frage Integration, die dann sozusagen in der zweiten Stufe kommt, oder eben auch, was macht man mit den Menschen, die für die Verfahrensdauer da sind? Also kleine Einrichtungen ist das eine, was können Sie sonst an Hinweisen geben, was müsste möglicherweise verbessert werden, damit demnächst mehr positive Dinge darüber berichtet werden können?
Falterbaum: Ja, wenn Sie schauen, dass die Menschen in diesen Ankerzentren teilweise über Monate, teilweise über Jahre dort verbringen und zur Untätigkeit gezwungen sind – sie dürfen nicht arbeiten, sie dürfen keine, zumindest grundsätzlich keine Ausbildung machen –, das ist natürlich ein großes Problem, was wir sehen. Und wenn wir beobachten, dass wir zum Beispiel in Bayern 24.000 offene Ausbildungsstellen haben, wünschen wir uns, dass dem Versprechen von Minister Herrmann stärker Rechnung getragen wird, dass wir auch integrationswilligen, ausbildungsfähigen Menschen, die ausreichend gut Deutsch sprechen, eine Möglichkeit geben, unabhängig von ihrem Status eine Ausbildung machen zu dürfen oder arbeiten zu können. Da gibt es formal in Bayern eine Lockerung, jedoch ist jetzt der Entscheidungsspielraum bei der Regierung von Oberbayern oder bei den Ausländerbehörden, die diesen Ermessensspielraum äußerst unterschiedlich, teilweise sehr restriktiv auslegen, was dann im Ergebnis dazu führt, dass die Menschen dennoch nicht die Möglichkeit bekommen, eine Ausbildung zu starten respektive eine Arbeit aufzunehmen.
Zurheide: Sie sprechen, ich hab das nachgelesen, sogar davon, dass Win-win-Situationen entstehen können, wenn man das genau nicht so macht. Was für Beispiele haben Sie da vor Augen?
Falterbaum: Wir als Caritasverband sind zum Beispiel auch in der Pflege sehr stark engagiert. Wir hatten Menschen, die bei uns eine Ausbildung machen wollten als Pflegefachkraft. Sie waren der Sprache mächtig, sie wollten das machen, sie waren ausbildungsfähig, allein was fehlte, war die Erlaubnis der Ausländerbehörde, diese Ausbildung angehen zu dürfen.
Und da ist es doch schon fraglich, ob das sinnvoll ist, wenn Gesundheitsminister Spahn in den Kosovo reist, dort mit großem Aufwand versucht, Pflegefachkräfte zu rekrutieren – was wir gut finden. Andererseits investieren wir Geld, um Menschen, die diese Ausbildung ablegen wollen, dass sie das nicht machen können.
Beschulung ausschließlich innerhalb von Ankerzentren ist ein großer Nachteil
Zurheide: Was ist mit Kinderbetreuung und Schulbesuch, was passiert da, denn da sind ja auch Kinder in solchen Einrichtungen, oder?
Falterbaum: Da sprechen Sie einen ganz, ganz wichtigen Punkt an. Es ist für alle Menschen, die dort leben, sehr, sehr belastend, aber für die Kinder, die dort teilweise geboren sind und aufgewachsen sind, ist es natürlich noch mal dramatischer. Da müssen wir in der Tat sagen, bei vielem, was besser geworden ist in dem letzten Jahr, ist das sicherlich schlechter geworden, dass die Beschulung nicht mehr außerhalb des Ankerzentrums stattfindet, was eine große Bereicherung war für die Kinder, zumindest zeitweise mal aus der Einrichtung zu kommen, dass das nicht mehr möglich ist. Mittlerweile findet die Beschulung ausschließlich innerhalb des Ankerzentrums statt, das halten wir für einen großen Nachteil.
Zurheide: Wenn Sie jetzt der bayerischen Landesregierung Hinweise geben würden, wo sollten sie anfangen, denn Ihre Bilanz fällt ja deutlich anders aus als die der zuständigen Ministerien.
Falterbaum: Die positiven Entwicklungen, die stattgefunden haben, weiter vorantreiben erstens, zweitens ganz klar weniger Menschen auf einem Fleck, das heißt kleinere Einrichtungen und die Handlungsanweisung, die der Innenminister gegeben hat, was Ausbildungen ermöglichen soll, viel beherzter umzusetzen in der Regierung, in den Regierungen der Bezirke, aber auch, was die Ausländerbehörden angeht, da muss etwas mehr Schwung rein, dass man auch wirklich diesen Ermessensspielraum, Menschen diese Ausbildung zu ermöglichen, auch ausübt.
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