Es sei zwar besorgniserregend, dass der Iran sich derzeit wieder um waffenfähiges Plutonium bemühe, so Nouripour. Gleichzeitig hätte man davon ohne das Abkommen aber gar nichts gewusst - und es hätte auch keine Inspektionen durch die Internationale Atomenergiebehörde gegeben. Deren Bericht müsse nun abgewartet werden, bevor man das Abkommen "bei den ersten Schwierigkeiten beiseite" schiebe.
"Auch die kritischen Fragen gehören auf den Tisch"
Die Sanktionen der USA sieht Nouripour kritisch. Regierung und Parlament handelten uneinheitlich. Außerdem seien die geschäftlichen Beziehungen zum Iran wichtig. "Die Gesellschaft ist gut ausgebildet und die Leute haben Sehnsucht nach internationalen Kontakten." Das Land sei ein gutes Beispiel für "Wandel durch Annäherung." Gleichzeitig dürften aber auch die Menschenrechte nicht aus dem Blick verloren werden: "Auch die kritischen Fragen gehören auf den Tisch."
Das Interview in voller Länge
Sandra Schulz: Es könnte ein Land voller Möglichkeiten sein, aber so richtig merkt das im Iran eigentlich kaum einer. Heute vor einem Jahr wurde das als historisch gefeierte Atomabkommen mit dem Iran unterzeichnet, mit dem Ende der Sanktionen jetzt zum Jahreswechsel. Aber inzwischen wächst auf allen Seiten wieder die Unzufriedenheit. Der Westen wirft dem Iran Verstöße gegen das Abkommen vor.
Es gab Berichte des deutschen Verfassungsschutzes, dass der Iran 2015 verstärkt versucht habe, illegal Material für Nuklearwaffen zu beschaffen, was Teheran bestreitet, vor allem bestreitet, gegen die Verabredungen verstoßen zu haben, und in Teheran fragen sich vor allem viele, wann kommen die Geschäfte in Gang.
Wir wollen darüber in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Guten Morgen.
Omid Nouripour: Schönen guten Morgen.
Schulz: Sie haben das Atomabkommen mit dem Iran befürwortet. Sie nannten es damals einen historischen Durchbruch. Die Einschätzung steht noch?
Nouripour: Es ist richtig, dass ohne dieses Abkommen der schnellste Weg der Iraner bereitet gewesen wäre zu einer Atombombe, und dass auf diplomatischem Wege ein Abkommen erzielt worden ist, ist gut.
Schulz: Wie bewerten Sie jetzt die Meldungen, wonach es Versuche gegeben hat aus dem Iran oder vonseiten des Iran, jetzt doch wieder illegal an Nuklearmaterial heranzukommen?
Nouripour: Das ist sehr besorgniserregend, aber am Ende ist entscheidend, dass tatsächlich die Internationale Agentur für Atomenergie das beurteilt, und darauf warten wir, dass dort ein Bericht kommt. Aber man muss noch mal wissen: Wenn es kein Abkommen gegeben hätte, hätte es keinerlei Inspektion gegeben und wir hätten diese Meldungen nicht, obwohl die Iraner dann sich weiterhin darum bemüht hätten, möglicherweise waffenfähiges Plutonium zu bekommen.
"Man muss abwarten, was die Inspektionen bringen"
Schulz: Ist es denn jetzt klar, oder lässt es sich klären, anders als vorher, anders als vor dem Abkommen, ob sich Teheran auch daran hält?
Nouripour: Es ist abschließend wahrscheinlich nicht zu klären, es sei denn, es gibt wirklich ein klares Regime von Inspektionen, und das ist Teil des Deals und das ist das Starke daran gewesen. Deshalb muss man einfach abwarten, was die Inspektionen bringen und welchen Bericht es gibt der unabhängigen Stelle der Agentur, die das alles überwachen soll.
"Es muss Kontrolle stattfinden"
Schulz: Es hat Kritik gegeben an der Fortsetzung des konventionellen Raketenprogramms. Das hat neulich die Kanzlerin im Bundestag auch ganz deutlich gesagt. Ist es klar, dass und ob Teheran seine nuklearen Ambitionen eingestellt hat?
Nouripour: Es ist nicht eindeutig, was mit den Ambitionen wird, und es ist ja auch nicht besonders einfach, in ein so fragmentiertes und nicht besonders transparentes Regime auch noch in die Köpfe der Leute zu gucken. Deshalb ist die Antwort, ich weiß es nicht.
Ich habe niemals dafür plädiert und das hat auch von denen, die verhandelt haben, niemand gemacht. Niemand hat dafür plädiert, dass wir jetzt sagen, der Iran wird ab morgen unser großer strategischer Partner und es basiert alles auf Vertrauen. Es basiert auf Kontrolle und deshalb muss die Kontrolle auch stattfinden, und dann werden wir weitersehen, wieweit der Iran bereit ist, sich tatsächlich an das zu halten, was vereinbart worden ist bei diesem Abkommen.
Schulz: Jetzt sind wir in der Situation, dass die USA teilweise schon wieder neue Sanktionen verhängt haben. Ergibt oder ergäbe es nicht Sinn, dass Europa dann nachzieht, alleine um dieses Fragmentarische, was Sie ja auch gerade schildern, zu vermeiden?
Nouripour: Das Problem an den USA ist derzeit, dass die Regierung und das Parlament relativ weit auseinanderliegen in ihrem Handeln. Die Sanktionen, die Sie angesprochen haben, die sind ja vom Kongress vor allem angestrebt worden, während gleichzeitig John Kerry, der Außenminister, sich in London getroffen hat mit Banken, um mit denen darüber zu reden, dass die doch jetzt endlich ins Iran-Geschäft einsteigen sollen, damit die Finanzierungsschwierigkeiten, die wir gerade im Beitrag ja auch gehört haben, endlich beseitigt sind und die Leute im Iran auch was davon haben, dass die Sanktionen weg sind. Das ist nicht ganz einheitlich, was in den USA passiert.
Ich kann nur davor warnen, dass man jetzt ein Abkommen, was sehr viel Arbeit mit sich gebracht hat und aus meiner Sicht auch Riesenpotenzial hat, um ein großes Problem zu befrieden im Nahen Osten, jetzt bei den ersten Schwierigkeiten bei Seite schiebt, sondern einfach abwarten, wie es weitergeht und die Kontrolle natürlich nicht nachlassen.
"Die kritischen Fragen gehören auch auf den Tisch"
Schulz: Jetzt war es ja so, um auf die iranische Seite mal zu kommen, dass es auch allergrößte Hoffnungen gegeben hat, wirtschaftlich zum einen, das ist der eine Punkt, aber auch gesellschaftlich vielleicht hin zu einer gesellschaftlichen Öffnung, zu einer offeneren Gesellschaft. Diese Hoffnungen, sind die denn ansatzweise eingelöst?
Nouripour: Jein. Es gibt zwei Dimensionen, die man sich anschauen muss. Erstens muss man sehen, dass wir es mit einer Gesellschaft zu tun haben, die sehr gut ausgebildet ist, und dass es ein Land ist, wo die Leute eine riesige Sehnsucht haben nach internationalen Kontakten und Ende der jahrzehntelangen Isolation. Das ist das eine Land mit der besten Affinität für so was wie Wandel durch Annäherung. Aber das funktioniert natürlich, wenn die Geschäfte laufen, und die Geschäfte laufen zurzeit schleppend, weil es keinen Goldrausch gibt, keine Goldrausch-Stimmung gibt, auch in den deutschen Firmen nicht mehr, allein deswegen schon, weil alle abwarten, wie die nächsten US-Präsidentschaftswahlen ausgehen. Wenn Trump gewinnt, ist das eine ganz andere Angelegenheit auch für das Iran-Geschäft, als wenn Clinton gewinnen würde.
Das Zweite ist aber, dass die Isolation natürlich erst recht beendet werden sollte in der Frage des Ansprechens der Menschenrechte. Ich habe viel zu tun mit Menschenrechtsaktivisten und vor allem Aktivistinnen im Iran, die ziemlich enttäuscht sind, dass gerade der Westen jetzt plötzlich nur noch über Geschäfte redet und nicht mehr über die Menschenrechtssituation im Land, die weiterhin dramatisch ist. Das heißt, man darf das eine nicht vergessen und das andere auch nicht lassen. Wir brauchen die geschäftlichen Beziehungen mit dem Iran. Die sind hilfreich, die helfen auch den Leuten im Land, das ist keine Frage. Aber die kritischen Fragen gehören auch auf den Tisch.
Schulz: Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk im Interview. Ihnen ganz herzlichen Dank dafür.
Nouripour: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.