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Ein Jahr danach

Wir haben die Bilder noch vor Augen: Wochelang drohte Neapel im Müll zu ersticken. Seitdem ist ein Jahr vergangen, die Straßen Neapels sind sauber. Alles in Ordnung also? Keineswegs, denn das Problem wurde einfach verlagert. Jetzt stapelt sich der Abfall im Umland - und dort sogar auf landwirtschaftlich genutzten Flächen.

Von Karl Hoffmann |
    Kurz nach seinem Amtsantritt im letzten Frühsommer gab Silvio Berlusconi stolz bekannt: Neapels Müllkrise ist vorbei:

    "Nach nur 58 Tagen haben wir es geschafft, dass Neapel und das Umland wieder sauber sind. Das Desaster ist beseitigt, mit dem wir in der ganzen Welt eine schlechte Figur gemacht haben."

    Und tatsächlich: Neapel ist sauber, auf den Straßen nur das übliche Verkehrschaos, aber keine Abfallhaufen. Alles in Ordnung zu Füßen des Vesuvs? Das Müllproblem gelöst? Von wegen. Das Problem wurde verlagert. Von der Stadt ins Umland. Giuseppe Romano betreibt ein kleines Hotel in Marigliano, 15 Kilometer vor den Toren der Stadt. Vor seinem Hotel ist alles sauber, aber am Stadtrand wachsen die Müllpyramiden.

    "Sie haben sogenannte ecoballe, Ökoballen, bei uns abgelagert. Die bestehen aber nur aus ungetrenntem Müll, von wegen Öko. Mehr als 80.000 Tonnen liegen inzwischen bei uns rum. Und wenn die Müllverbrennung nicht startet, dann bricht in spätestens zwei Monaten wieder der Notstand aus."

    Der eigentlich nie aufgehört hat. Viel Geld wurde bereitgestellt für die Beseitigung von Altlasten. Getan hat sich bisher nichts:

    "Die versprochene Entseuchung unserer Landschaft hat nie stattgefunden. Das Geld, das dafür ausgegeben wurde, ist einfach verschwunden. Firmen, die die Aufträge zur Sammlung von Sondermüll bekommen haben und sich nie bei uns haben sehen lassen. Niemand schafft das Gift hier weg. Dabei stinkt jeder Bach und jeder Stausee hier. Und die Bauern bewässern ihre Äcker aus chemieverseuchten Brunnen."

    Die müllfreien Straßen in Neapel und der Ruf von Regierungschef Silvio Berlusconi als Retter in höchster Müllnot haben einen hohen Preis: Hunderte von Millionen Euro - auch aus Brüssel - wurden nach Neapel gepumpt. Zu dem einzigen Zweck, den Müll unsichtbar zu machen, bis endlich die erste Müllverbrennungsanlage in Betrieb geht.

    Die Leidtragenden sind nach wie vor die Bürger: In Chiaiano, einem nördlichen Stadtteil von Neapel, versuchen sie, eine neue Müllkippe zu verhindern. Die Polizei schritt bereits massiv ein. Mit Sondervollmachten, wegen des Müllnotstandes.

    "Mich haben sie so geschlagen, dass ich sogar ins Krankenhaus musste.

    Wie alt sind Sie?

    72."

    Sergio war sein Leben lang Maurer. Jetzt steht er Tag für Tag an einer der belebten Straßenkreuzungen und wehrt sich gegen die geplante Endlagerung, nur ein paar hundert Meter vom Ortskern entfernt.

    "Wenn sie uns jetzt all das Zeug bringen, dann gefährden sie uns - das betrifft mich weniger, aber es geht jetzt um die Zukunft unserer Kinder, die mit diesem Abfall leben müssen."

    Und der Student Giovanni meint:

    "Unsere Region braucht eine Totalreinigung, keine neuen Müllkippen, eine Mülltrennung, nicht neue Müllverbrennungsanlagen."

    Der Notstandsplan von Regierungschef Berlusconi sieht dagegen 12 neue Müllkippen und insgesamt vier Müllverbrennungsanlagen vor. Aber noch nicht einmal die erste ist fertiggestellt. Nach wie vor liegen riesige Mengen Abfall im landwirtschaftlich genutzten Umland rund um Neapel. Zigtausend Tonnen, die oft ohne Rücksicht auf die Umwelt abgefackelt werden.

    "Sehen Sie hier Autoreifen und anderer Sondermüll - alles brennt einfach ab."