Montgomery, Alabama, im tiefsten Süden der Vereinigten Staaten: Das kleine Café, in dem ein junger Künstler abstrakte Bilder ausstellt und Studenten fair gehandelten Kaffee anbieten, hat einen Logenplatz am zentralen Court Square – mit einem tiefen Blick in die Dexter Avenue und damit in die amerikanische Geschichte.
Steven Lambert, ein junger Mann mit Nickelbrille, der hier regelmäßig seine Mittagspause mit dem Laptop auf den Knien verbringt, hält Court Square und Dexter Avenue für einen Dreh- und Angelpunkt in der US-Geschichte. Auf dem zentralen Platz in der ehemaligen Hauptstadt der Konföderierten wurde nicht nur mit Baumwolle gehandelt, sondern auch mit Sklaven.
In dem dreistöckigen Kolonialhaus am Eingang zur Dexter Avenue unterschrieb der Präsident der konföderierten Südstaaten, Jefferson Davis, im April 1861 das Telegramm, das den amerikanischen Bürgerkrieg auslöste: Fire for Fort Sumter. Bombardiert Fort Sumter. Und linker Hand steht am Rande des Kreisverkehrs immer noch die Bushaltestelle, an der Rosa Parks jeden Tag in den Bus stieg.
Am 1. Dezember 1955 hatte sich Rosa Parks geweigert, ihren Sitzplatz in den Reihen für Farbige für einen Weißen zu räumen – das war der Beginn der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Es sei eine Ironie der Geschichte, dass das schmucke Eckhaus am linken Eingang zur Dexter Avenue ausgerechnet Roy Moore gehöre, sagt Steven. Jenem Roy Moore, der unlängst von Donald Trumps ehemaligem Stabschef Steven Bannon als republikanischer Kandidat für einen Senatorenplatz im fernen Washington durchgedrückt worden war. Und als Vertreter des ultrarechten Randes nur deshalb die Wahl spektakulär verlor, weil er als junger Staatsanwalt angeblich mit minderjährigen Mädchen angebandelt hatte.
Tiefe Gräben in der politischen Landschaft
Wer einmal rund um den Court Square von Montgomery in Alabama läuft, kann also in wenigen Schritten die vielfältigen Brüche in der amerikanischen Geschichte durchmessen – und die tiefen Wunden erahnen, die sie bis heute in der amerikanischen Gesellschaft hinterlassen haben.
Norman J. Ornstein vom Enterprise Institute in Washington ist ein angesehener politischer Kolumnist, Autor mehrerer politischer Bestseller und wohl einer der bekanntesten konservativen Intellektuellen der Vereinigten Staaten. Ein traditioneller Republikaner der alten Schule. Er beschreibt die politischen und sozialen Verwerfungen, die sich tief in die gesellschaftliche Landschaft eingegraben haben.
"Es gibt Gräben zwischen den Parteien, die mittlerweile Züge eines Stammeskrieges angenommen haben. Man sieht in dem politisch Andersdenkenden nicht mehr nur einen politischen Gegner, sondern einen echten Feind, der es darauf anlegt, deinen Lebensstil zu zerstören."
Bereits in seinem ersten Amtsjahr, so analysiert Norman J. Ornstein, habe Donald Trump dafür gesorgt, dass alte Gräben neu ausgehoben und vernarbte Wunden wieder aufgerissen wurden. Der Riss, der durch die amerikanische Gesellschaft geht, sei seit dem Amtsantritt des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten deutlich tiefer geworden.
"Wir fühlen immer noch die Auswirkungen der Sklaverei und ihrer Folgen. Ein Präsident würde normalerweise nach Mitteln und Wegen suchen, um diese Gräben zu ebnen und die Wunden zu heilen. Donald Trump hat jedoch genau die andere Richtung eingeschlagen und die Teilung noch forciert, immer und immer wieder – genau entlang dieser Konfliktlinien in der amerikanischen Politik."
Immer im Modus des Wahlkämpfers
Tatsächlich bemühte sich Donald Trump nach seiner Wahl nicht um einen Ausgleich. Anders als alle seine Vorgänger ließ er in seiner Inaugurationsrede am 20. Januar vor einem Jahr nicht den Wahlkampf hinter sich. Er streckte nicht die Hand zur Zusammenarbeit aus. Er ließ nicht erkennen, dass er vom Spalter zum Versöhner werden wolle. Donald Trump blieb im Modus des Wahlkämpfers – eine Rolle, die er bis heute nicht abgelegt hat.
Die Politik der Vereinigten Staaten werde sich grundsätzlich ändern, kündigte Donald Trump vor der versammelten politischen Elite des Landes an, die ihm zu Füßen des Kapitols mit versteinerter Miene folgte. Trump versprach seinen Landsleuten, dass künftig nur noch eine politische Handlungsmaxime gelte: America first. Amerika zuerst.
Und Trump versicherte seinen Wählern – den weißen Arbeitern, der unteren Mittelschicht, dem Milieu der blue-collar-workers -, dass er ihre Stimme sei – und nicht vorhabe, zum Präsidenten aller Amerikaner zu werden.
"Das sind die vergessenen Männer und Frauen unseres Landes. Dies sind Leute, die hart arbeiten, aber keine Stimme mehr haben. Ich bin eure Stimme."
Als gelte es, dieses Wahlversprechen niemals außer Acht zu lassen – auch nicht um den Preis des sozialen Unfriedens und der Brüskierung von Minderheiten - ließ Donald Trump fortan keine Gelegenheit aus, um sich rhetorisch auf die Seite seiner rechten, weißen Wählerschicht zu schlagen. Sei es nach den rechtsextremen Unruhen in Charlottesville, wo er nicht nur auf der Seite der Gegendemonstranten gute Charaktere ausmachte, sondern auch aufseiten der Ultrarechten. Oder sei es im Streit um die Denkmäler konföderierter Generäle aus dem Bürgerkrieg, die als Apologeten der Sklaverei in den Kampf gezogen waren und bis heute von den Vertretern der rechten Szene verehrt werden.
Nirgendwo kam es im Streit um den Abriss eines Konföderierten-Denkmals zu so blutigen Szenen wie in Charlottesville. Aber auch im ländlichen und konservativen Südstaat Alabama wird er erbittert ausgetragen. Dort stehen ausgerechnet zwei Bürgermeister für die Polarisierung des gesamten Landes.
Der eine heißt Randall Woodfin. Er ist erst seit dem 28. November letzten Jahres im Amt. Woodfin ist 36 Jahre alt, groß, schlank, er trägt grauen Anzug und rote Krawatte, im Revers ein Seidentuch.
Der Afroamerikaner hat die Millionenstadt Birmingham, die Hauptstadt Alabamas, im Handumdrehen für sich eingenommen. Woodfin kommt aus Birmingham. Ist hier geboren und aufgewachsen, als Arbeiterkind in einem Arbeiterviertel in der Vorstadt. Sein Vater brachte mit seinem kargen Gehalt acht Familienmitglieder durch, einschließlich der 100-jährigen Urgroßmutter. Woodfin weiß, was es heißt, in Armut aufzuwachsen. Deshalb ließ er keine Chance ungenutzt.
"Ich bin ein Produkt der öffentlichen Schulen. Ich durfte dann das Moorhouse College in Atlanta besuchen, die Alma Mater Martin Luther Kings. Darauf bin sehr stolz. Ich brachte es dort zum Präsidenten der Studentenschaft. Als ich vom College wieder zurück nach Hause kam, war ich fest entschlossen, ein öffentliches Amt anzustreben. Für mich geht es ganz klar darum, die Menschen in den Vordergrund zu stellen. Mir geht es um so einfache Werte wie Transparenz und Rechenschaftspflicht."
"Wir haben eine Führungskrise in diesem Land"
Woodfin sagt, er sei jetzt als Bürgermeister seiner Stadt in der Lage, wirklich etwas zu verändern. Er möchte, dass ein Signal von seiner Stadt ausgeht.
"Wir haben eine Führungskrise in diesem Land. Gerade bei den Themen Bürgerrechte, Armut, Teilhabe, Gesundheit."
Wenn Randall Woodfin von einer Führungskrise in den USA spricht, meint er natürlich den Präsidenten. Er verabscheut den Regierungsstil, die gesamte Haltung Donald Trumps.
Dass er seit seinem Amtsantritt versuche, konsequent das gesamte politische Erbe seines Vorgängers Barack Obama zu tilgen, markiere nicht nur einen eklatanten Bruch im Amtsverständnis – sondern in der gesamten politischen Kultur.
"Obama und Trump repräsentieren die beiden Seiten Amerikas. Auf der einen Seite steht die Hoffnung. Auf der anderen die Angst. Obama hat es mit dem Prinzip Hoffnung geschafft, Anhänger zu rekrutieren, wie das viele Jahre nicht der Fall war. Donald Trump hat dasselbe geschafft, indem er Angst verbreitete."
Lüge als Stilmittel der Politik
Mehr noch: Donald Trump habe die Lüge zum Stilmittel der Politik gemacht. 2.000 Lügen hat ihm die "Washington Post" im ersten Jahr seiner Amtszeit nachgewiesen. Und eine Vielzahl von Beleidigungen, Demütigungen, persönlichen Angriffen und Hasstiraden. Woodfin sieht in den permanenten Tabuverstößen und Regelbrüchen des Präsidenten die Gefahr einer schleichenden Erosion gesellschaftlicher Werte.
"Donald Trump repräsentiert etwas, das nicht gesund ist für Amerika. Wir können unseren Kindern doch nicht sagen: Seid anständig, hört auf zu mobben. Wertet andere nicht ab. Und dann tut der Präsident genau das. Immer wenn sie Menschen runtermachen und versuchen, sie abzuwerten, kann das nicht gesund sein."
Woodfin möchte Birmingham zu einer Frontstadt gegen Donald Trump machen – von hier, aus dem Süden, soll ein Signal des Widerstands ausgehen, sagt er.
"Ich übe Widerstand gegen Trump, indem ich alle Ressourcen, die ich zur Verfügung habe, in den Dienst der Menschen stelle. Wenn wir das auf der lokalen Ebene schaffen, können wir auf nationaler Ebene sagen: Nein, Herr Präsident, ihre Politik ist nicht so, wie sie sein sollte."
Der junge Bürgermeister von Birmingham steht für jenen Teil der amerikanischen Zivilgesellschaft, der dem Regierungsstil und dem politischen Programm des Präsidenten ein anderes, ein besseres, ein versöhnliches Amerika entgegensetzen will. Das zeigt sich auch in Birmingham am Streit um die Denkmäler für die Generäle der Südstaaten-Armee. Woodfin weiß, dass die meisten dieser Konföderierten-Monumente erst Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg errichtet wurden – in der Zeit der Restauration, als der Süden nach dem Ende der Sklaverei die Rassentrennung einführte. Randall Woodfin hat das Denkmal für den Konföderierten-Präsidenten Jefferson Davis, das im Linn-Park direkt vor seinem Amtssitz steht, nicht wieder aus seiner Verschalung geholt. Sein Amtsvorgänger hatte sie anbringen lassen. Woodfin wartet auf ein Urteil der Gerichte in Alabama – sie haben es den Kommunen verboten, Denkmäler zu entfernen. Aber Woodfin macht klar: Am liebsten hätte er es los.
"Wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir dürfen keine Angst haben, das Richtige zu tun. Wenn uns dieses Denkmal in irgendeiner Weise bedroht oder den sozialen Fortschritt aufhält, werde ich es aus der Stadt entfernen. Man muss sich im Jahr 2018 die Frage stellen, ob es wirklich sein muss, dass wir so etwas noch direkt vor unserer Nase haben."
Ob er denn davon gehört habe, dass sein Amtskollege in der Kleinstadt Hanceville angeboten habe, sämtliche Konföderierten-Denkmäler bei sich aufzunehmen, die in amerikanischen Städten abmontiert werden? Woodfin zuckt mit den Achseln. "Ich habe kein Problem damit, das können wir gerne machen", sagt er.
Das ländliche Amerika und seine Liebe zu Trump
Der andere Bürgermeister heißt Kendall Nail, ist 54 Jahre alt und kommt in seinem Silverado-Truck auf den Hof vor dem Bürgermeisteramt gefahren. "Es ist immer ein guter Morgen, wenn man Birmingham verlassen darf", lacht der Mann im karierten Flanellhemd.
Die Kleinstadt Hanceville liegt 35 Meilen von Birmingham entfernt, hat 3.000 Einwohner und steht mitsamt ihrem Bürgermeister geschlossen hinter dem amerikanischen Präsidenten. Im landesweiten Stimmenranking für Donald Trump lag Hanceville prozentual ganz weit vorne. Kendall Nail, der sich einen "arbeitenden Bürgermeister" nennt, weil er jeden kennt und mit allen per Du ist, hat mit seinem Vorstoß landesweit Schlagzeilen gemacht, den gestürzten Konföderierten-Denkmälern Asyl zu bieten.
"Als ich den Bürgermeister von New Orleans fragte, ob er uns seine Denkmäler schickt, ging es mir natürlich darum zu verhindern, dass sie auf dem Schrottplatz landen. Wir haben ihn darum gebeten, sie für unseren Veteranenpark zu spenden. Wir hätten sie sogar selbst abgeholt. Ein schwarzer Freund von mir, dem eine Spedition gehört, hat mich angerufen und gesagt: Ich weiß, dass du kein Rassist bist und nur die Geschichte liebst. Er hat mir angeboten, sie abzuholen. Ganz umsonst."
Und so würde Nail natürlich auch das Denkmal von Jefferson Davis aus Birmingham bei sich aufnehmen.
"Ich würde es auf jeden Fall nehmen! Ich würde gleich morgen einen Lastwagen schicken und es abholen."
Kendall Nail versteht die ganze Debatte um die Konföderierten-Denkmäler nicht. Es gehe doch nur darum, das Erbe der Geschichte zu bewahren, sagt er immer wieder. Nail kopiert ein bisschen den Sprachduktus von Präsident Trump.
"In Birmingham gibt es eine der höchsten Mordraten in ganz Amerika. Und es sind meistens Schwarze, die Schwarze umbringen. Traurig. Fürchterlich. Traurig. Und wir diskutieren über so ein Stück Stein im Park, das wirklich niemandem etwas tut – diese 150 Jahre alten Statuen von Robert E. Lee, General Beauregard oder Jefferson Davis oder wie sie alle heißen. Sie haben niemanden umgebracht und die Gefühle von niemandem verletzt."
Den Einspruch, dass die Monumente, die den Verfechtern der Sklaverei gewidmet sind, sehr wohl die Gefühle der Afroamerikaner verletzen und sie provozieren, lässt Nail nicht gelten.
"Sie können doch gar nicht so vernagelt sein. Ich sehe das so: Wir werden diese Denkmäler in unseren Veteranenpark stellen und wenn wir da herumspazieren, können wir über diese Denkmäler nachdenken. Wir dürfen unsere Geschichte nicht vergessen. Wir dürfen auch die Leiden der Schwarzen nicht vergessen. Da sind schlimme Sachen passiert. Aber heißt das, dass jeder Sklavenbesitzer seine Sklaven geschlagen hat? Ich glaube das nicht!"
Kendall Nail bezeichnet sich als einen typischen Konservativen, wie er sagt. Ein Konservativer sei einer, der wie er Christ sei. Gegen die Homoehe. Gegen Abtreibung. Aber für das Recht, eine Waffe zu tragen. Er sei ein ausgesprochener Waffennarr, bekennt er. Natürlich hat Kendall Nail einen Colt im Schubfach seines Schreibtischs liegen. Neben zwei Flaschen Whiskey.
"Das ist eine Drei-Siebenundfünfziger Magnum. Hier draußen gibt es eine Menge verrückter Leute. Wenn jemand hier reinkommt und schießt, kriegt er es sofort zurück. Ganz einfach. Die einzige Möglichkeit, einen schlechten Mann mit einer Waffe zu stoppen, ist ein guter Mann mit einer Waffe."
Trump habe versprochen, den zweiten Verfassungszusatz niemals anzutasten. Das Recht auf Waffenbesitz. Auch deshalb stehe er hinter diesem Präsidenten. Wie das gesamte ländliche Amerika.
"Das ländliche Amerika hat Donald Trump ins Oval Office geschickt, absolut. Nicht, weil das ländliche Amerika einen Milliardär ins Weiße Haus schicken wollte, sondern weil es dieser Politiker überdrüssig war."
USA sind gespaltener denn je
Ein Jahr nach dem Amtsantritt von Donald Trump sind die USA gespaltener denn je. Donald Trump hat im ersten Jahr seiner Amtszeit nur ein einziges größeres Gesetz durch den Kongress gebracht: die Steuerreform. Und doch hat er das Gesicht der Vereinigten Staaten bereits nachhaltig verändert. Er hat das Land außenpolitisch neu ausgerichtet – auf einen eigennützigeren, protektionistischen Weg gebracht.
Innenpolitisch hat er eine reaktionäre Wende eingeleitet, die auf vielen Ebenen bereits Wirkung zeigt. Bei der Einwanderung. Der Gesundheitspolitik. Bei den Bürgerrechten. Trump zeigt immer wieder autokratische Züge, indem er versucht, sich über Prinzipien der Gewaltenteilung hinwegzusetzen. Und er provoziert immer wieder aufs Neue Fragen nach seiner charakterlichen und mentalen Befähigung für das Präsidentenamt.
Das System der Checks and Balances zeigt sich resistent – noch erwehren sich Justiz und Geheimdienste, Medien und Zivilgesellschaft der Angriffe auf ihre Rechte und ihre Unabhängigkeit. Und doch sieht Norman J. Ornstein vom Enterprise Institute in Washington Anlass für eine ernste Warnung – die immer tieferen Brüche in Staat und Gesellschaft könnten Folgen haben.
"Machen wir uns nichts vor. Keine Gesellschaft, sei sie noch so gut entwickelt, sei sie noch so gebildet und stabil, ist dagegen immun, von der Demokratie in die Autokratie abzugleiten."