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Ein Jahr Emmanuel Macron
Regieren auf der Überholspur

Vor einem Jahr wählten die Franzosen einen bis dahin international eher unbekannten Mann zum Präsidenten. Das hat sich geändert: Emmanuel Macron hat in Europa und weltweit von sich reden gemacht. Im eigenen Land stoßen seine umfassenden Reformvorhaben auf immer mehr Widerstand.

Von Marcel Wagner |
    Der französische Präsident Emmanuel Macron am Grab des unbekannten Soldaten am Triumpfbogen in Paris.
    Der französische Präsident Emmanuel Macron (AFP / Alain Jocard)
    Wenn einer mit neununddreißig Jahren zum Präsidenten Frankreichs wird, dann dürfte wohl klar, dass er seine Zeit meistens auf der Überholspur verbracht hat. Es verwunderte also wenig, dass Emmanuel Macron schon am Abend seiner Wahl vor seinen begeisterten Anhängern aufs Gas trat: "Die Aufgabe, die auf uns wartet, liebe Mitbürger, ist riesig - und sie fängt schon morgen an."
    Auf Augenhöhe mit Donald Trump und Wladimir Putin
    Emmanuel Macron hatte also keine Zeit zu verlieren und legte tatsächlich los wie die Feuerwehr und zwar zunächst einmal auf internationalem Parkett. Beim G7-Gipfel auf Sizilien legte der Shooting-Star kurz nach seiner Wahl einen fulminanten Auftritt hin, rang US-Präsident Donald Trump mit einem epochalen Händedruck nieder, brachte frischen Wind in die internationale Diplomatie und wurde von der Weltpresse als Star gefeiert.
    Im Schloss von Versailles empfing er kurz danach Wladimir Putin und scheute sich nicht, dem russischen Präsidenten etwa in Bezug auf Syrien klar die Stirn zu zeigen: "Es wird nicht die geringste Schwäche geben, wenn es irgendeinen Einsatz von chemischen Waffen geben sollte. Wir werden umgehend darauf antworten."
    Reformen für Frankreich und Europa
    Nicht zuletzt sein internationales Auftreten beeindruckte auch seine Landsleute. Sie belohnten ihn, indem sie ihm auch bei den anstehenden Parlamentswahlen überraschend mit einer deutlichen Mehrheit ausstatteten. Mit der im Rücken machte sich Macron an die Arbeit, auch seine im Wahlkampf angekündigten weitreichenden Reformen mit Hochdruck umzusetzen.
    Innerhalb weniger Wochen boxte er eine umfassende Arbeitsmarktreform durchs Parlament, spaltete und überrumpelte die Gewerkschaften dabei so geschickt, dass deren Protest auf den Straßen quasi verpuffte, analysiert der Politikwissenschaftler Bruno Cautrès vom renommierten Pariser Forschungszentrum CEVIPOF: "Er hat es verstanden, wichtige Reformen noch im Trubel um seine Wahl umzusetzen. Er ist jemand, der es wirklich beachtlich versteht, die Zeit und die Abläufe für sich zu nutzen."
    Seine weitreichenden Reformvorschläge für Europa unterbreitete Macron einen Tag nach der Bundestagswahl. So wollte er sichergehen, dass seine Ideen in den deutschen Koalitionsverhandlungen berücksichtigt würden. Das lange Machtvakuum in Deutschland nutze er geschickt aus, um Frankreich international in den Vordergrund zu spielen.
    Der Widerstand wächst
    Von seiner jugendlichen Dynamik hat der Präsident bei alldem nichts eingebüßt. Im Gegenteil. In Europa drängt Macron weiter auf Fortschritte. In Syrien machte er sein Versprechen wahr und beantwortete den Chemiewaffeneinsatz des Assad-Regimes militärisch.
    In Frankreich hat seine Regierung ganze vierzehn umfassende Reformpakete in verschiedensten Bereichen im ersten Jahr auf den Weg gebracht. Allerdings wächst auch der Widerstand. Seit Wochen streiken die Eisenbahner gegen den Umbau der Staatsbahn. Gewerkschaften und linke Parteien rufen ständig zu neuen Demos auf und wittern den großen Schulterschluss.
    Für Kritik sorgt auch Macrons Politikstil, in der Art eines Jupiter alle Entscheidungen allein zu fällen. Das erste Jahr war für Emmanuel Macron ganz sicher ein großer Erfolg, glaubt der Politologe Cautrès. Aber wird auch der Rest der Amtszeit ein solcher? "Die Theorie vom Jupiter-Präsidenten läuft am Beginn einer Amtszeit sehr gut. Aber irgendwann werden die Franzosen sich fragen: Was hat Jupiter eigentlich für mich gemacht?"
    Emmanuel Macron hat also auch weiterhin noch alle Hände voll zu tun. Aber er hat ja auch noch vier Jahre Zeit, damit seine Reformen Früchte tragen. Und dann vielleicht ja sogar eine zweite Amtszeit möglich wird.