Ella Groß hat einen Master-Abschluss in BWL und arbeitet in der Finanzabteilung eines Start-Up-Unternehmens. Dort hat die 31-Jährige - die ihren echten Namen nicht nennen und nicht mit ihrer echten Stimme zu hören sein will - Zugriff auf die Gehaltslisten aller Mitarbeiter.
"Natürlich ohne Namen und so - aber halt mit Position. Und dann hat einer angefangen, sogar ein Ex-Kollege von mir, und der hat einfach mal 5.000 Euro mehr verdient als ich. Mit einem Jahr weniger Berufserfahrung."
Konkret habe das bedeutet: 60 statt 55.000 Euro brutto im Jahr, mutmaßlich für die gleiche Arbeit. Als Ella Groß von dem Unterschied erfahren hat, habe sie erstmal "Rabatz gemacht", wie sie es formuliert - allerdings hinter den Kulissen.
"Also halt zu Hause. Und hab gesagt: ‚Das kann ja wohl nicht wahr sein!` Und: ‚Beim nächsten Mal, wenn ich mein Probezeitgespräch hab, dann sag ich auf jeden Fall was. Dass ich auch mehr Geld haben will. ‘ Und dann hatte ich das Beurteilungsgespräch und hatte natürlich nicht den Arsch in der Hose, irgendwas zu sagen."
Wieviel Gehalt genau jemandem zusteht, das hängt von vielen Faktoren ab. Das Entgelttransparenzgesetz soll die im Einzelfall offenlegen. Diese Auskunftspflicht gilt allerdings nur für Unternehmen mit über 200 Mitarbeitern, kritisiert Arbeitsrechtlerin Johanna Wenckebach von der IG Metall.
"Die meisten Lohndiskriminierungen finden aber in kleinen Betrieben statt."
"Die meisten Lohndiskriminierungen finden aber in kleinen Betrieben statt, wo genau dieses Gesetz eben nicht gilt, dieser Anspruch nicht gilt. Und wo es oft auch keine Betriebsräte gibt."
Im Unternehmen von Ella Groß sind zwar über 200 Mitarbeiter beschäftigt - der Auskunftsanspruch greift also. Allerdings fehlt auch bei ihr ein Betriebsrat. Deshalb müsste sich die 31-Jährige allein an ihr Unternehmen wenden. Für sie eine Hemmschwelle.
"Das wär, glaub ich, in der Verhandlung nicht gut gekommen, wenn ich gesagt hätte: ‚Ich weiß, dass er mehr verdient als ich!‘ Ich hab mich einfach nicht getraut. Das ist ja so ein unbequemes Thema. Und man fordert ja auch was. Das ist halt das Problem. Ich bin sehr schlecht im Was-Einfordern."
Einen direkten Vergleich mit Kollegen ermöglicht das Gesetz ohnehin nicht. Es soll das Durchschnittsgehalt einer anonymisierten Vergleichsgruppe zeigen. Danach hätten Arbeitnehmer, so das Wirtschaftsforschungsinstitut ifo, bisher aber nur in jedem zehnten Unternehmen gefragt, heißt es in einer Pressemitteilung.
"… und auch dort nur vereinzelt. Selbst wenn die Mitarbeiter Auskunft verlangten, hatte dies eher selten eine Auswirkung: Nur rund jede siebte Auskunft bewirkte eine Anpassung des Gehalts."
Ein Gesetz führt nicht automatisch zu Gehaltsanpassungen
Denn eine solche Gehaltsanpassung passiert mit dem Gesetz nicht automatisch. Stellt sich eine Ungleichbezahlung heraus, dann muss nachverhandelt - und im Zweifel gegen den Arbeitgeber geklagt werden. Das sei eine emotionale Hürde, erklärt Juristin Wenckebach.
"Es ist aber dort, wo Menschen nicht in der Gewerkschaft sind und Rechtsschutz haben, auch ein finanzielles Risiko. Und solange das die Hürde ist, wird es wahrscheinlich zu wenig Verfahren - auch nach dem Entgelttransparenzgesetz - kommen."
Das Gesetz allein könne die Gender Pay Gap nicht schließen, räumt eine Sprecherin des Bundesfamilien-ministeriums ein. Aber es breche das Schweigen. Juristin Wenckebach empfiehlt, Betriebsräte zu gründen, Gehalts-listen zu vergleichen - und auch allein zu verhandeln.
"Ob jetzt ein forsches Verhalten das richtige Stichwort ist, das weiß ich nicht. Ich würde es klug und entschlossen und selbstbewusst nennen."
Von der Politik fordert sie, das Gesetz auf kleine Betriebe auszuweiten, ein Klagerecht für Verbände zu verankern und Betriebe verbindlich prüfen zu lassen, ob Männer und Frauen auf vergleichbaren Positionen gleich bezahlt werden.