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Ein Jahr mehr - aber keine Rückkehr zu G9

Der Freistaat plant überraschend ein freiwilliges Verlängerungsjahr in der Mittelstufe. Dem Vorstoß des bayerischen Kultusministers Ludwig Spaenle war der Vorschlag der SPD vorausgegangen, jedes Gymnasium in Bayern solle wählen dürfen, wie lange seine Schüler für das Abitur Zeit haben können. Der Landtagswahlkampf hat offenbar begonnen.

Von Susanne Lettenbauer |
    Dieses Mal musste es ganz schnell gehen. Mit seiner gesamten Beraterriege stellte sich Kultusminister Ludwig Spaenle am Samstag der bayerischen Elternschaft in Bad Reichenhall. Und er gelobte reumütig Nachbesserung. Noch nie in der Geschichte der bayerischen CSU reagierte ein Bildungsminister derart schnell auf einen Vorstoß der Opposition. Wie nebenbei hatte SPD-Spitzenkandidat Christian Ude vergangene Woche verkündet, jedes bayerische Gymnasium soll sich aussuchen dürfen, ob es G8 oder G9 anbiete. Ude selbst betont, es sei ein Denkanstoß gewesen, "den Schülerinnen und Schülern, die es wünschen, ein Wahlrecht einzuräumen, ob es nicht eine neunjährige Variante auf Wunsch und Antrag geben soll"."

    Man könne den Gymnasien doch freistellen, ob sie weiterhin dem G8-Fahrplan folgen oder doch eine neunjährige Variante bevorzugen, so Ude. Und das, wie bereits an der flexiblen Grundschule modellhaft gestaltet, in zwei oder drei Jahren ab Klasse 11.

    Also keine Rückkehr zum G9, wie die Regierungskoalition scharf kritisierte. Wie genau die Umsetzung des SPD-Vorschlages aussehen sollte, dazu fehlen aber bislang konkrete Vorschläge. Stattdessen versucht die CSU den Konkurrenten jetzt links zu überholen – mit einem Intensivierungsjahr für die Mittelstufe und zwar bereits ab kommendem Schuljahr. Kultusminister Ludwig Spaenle:

    ""Deshalb überlegen wir nach dem Grundprinzip der Einführungsklassen für das Gymnasium und die Vorklassen der beruflichen Oberschulen den Schülern die Möglichkeit zu eröffnen, in einem freiwilligen zusätzlichen Jahr in der Mittelstufe nach der eigenen Entwicklung den Schulstoff zu intensivieren, zu vertiefen, zu wiederholen, zu ergänzen. Wenn Sie so wollen eine Art Intensivierungsjahr, das die Schüler für sich in Anspruch nehmen können."

    G8 oder G9, darum gehe es im Grunde heute nicht mehr, sagt Ansgar Münichsdorfer, Bezirkssprecher der Gymnasien Oberland des bayerischen Landesschülerrats. Beide Vorschläge, sowohl der SPD wie der CSU gehen am eigentlichen Problem vorbei – der Ausdünnung des Unterrichtsstoffes oder einer besseren Intensivierung des Lernstoffs durch mehr Lehrpersonal:

    "Ich bin der Meinung, dass es über die ganze Schullaufbahn darauf ankommt, dass die Leute, die sich in einzelnen Fächern schwer tun, schon dann gefördert werden und nicht erst, dass man bis zur zehnten Klasse wartet und dann sagt, wenn ihr es bis dahin nicht geschafft habt, bekommt ihr die Intensivierung. Generell über die gesamte Schullaufbahn hinweg kleine Klassen und individuellere Förderung."

    Ein Jahr mehr Zeit für das Abitur, ohne dass dies als Wiederholung angerechnet würde, das könnte sich Reiner Förschler vom Caspar-Vischer-Gymnasium Kulmbach vorstellen, mit Vorbehalt. Der Landesvorstand der Landeselternvereinigung der bayerischen Gymnasien LEV machte erst kürzlich mit einem Brandbrief an Ministerpräsident Horst Seehofer auf sich aufmerksam:

    "Es kommt darauf an, wie wird das tatsächlich umgesetzt? Ist es ein reines Wiederholungsjahr, bringt es herzlich wenig. Werden die Schüler tatsächlich individuell gefördert, dann ist es eine ganz andere Geschichte, weil man dann sagen kann, das ist eine ganz andere Vorbereitung, das ist wirklich eine Hilfestellung. Man kann sagen in gewissem Sinne ist es jetzt schon eine Hilfestellung, weil die Schüler dieses eine Jahr mehr Luft haben."

    Ganz neu ist die Idee indes nicht. Seit Jahren fordert der Bayerische Philologenverband ein zusätzliches Jahr für Gymnasiasten wie es in anderen Bundesländern längst praktiziert wird.

    Bedenken tragen indes Schulleiter wie Reinhard Bochter. An seinem Karlsgymnasium in Bad Reichenhall kritisierte er vor Minister und Eltern scharf die aktuelle Situation. Im Interview rudert er lieber zurück:

    "Das große Problem ist, dass die Klassen in Summe zu groß sind und sich dort etwas verbessern müsste. Die Vorschläge, die der Staatsminister gemacht hat, sind sehr gut. Man muss das ausprobieren mit einer zusätzlichen Klasse, die man irgendwo in der Mittelstufe einfügt. Man wird schauen, was dabei herauskommt."

    Welche Lehrer jedoch diesen Mehrunterricht leisten sollen, steht in den Sternen, denn vor allem der Lehrermangel und Unterrichtsausfall von bis zu 14 Prozent im ländlichen Raum machen das Abitur so schwer, egal ob G9 oder G8.