Bernd Lechler: Margarete Stokowski hat in ihrem ersten Buch "Untenrum frei" so autobiografisch wie gesellschaftspolitisch und gedanklich scharf wie lustig und sehr erfolgreich über Sex und Macht und Feminismus geschrieben. Diese Woche nun erscheint ein neues Buch von ihr, das versammelt auf 300 Seiten die Kolumnen, die sie ab 2011 zuerst für die "taz" und seit drei Jahren für "Spiegel Online" geschrieben hat über Frauen, die in den Sexstreit treten, und Männer, die behaupten, seit #MeToo dürfe man keine Komplimente mehr machen, und die notwendige Abschaffung des Ehegattensplittings oder auch Pimmelwitze. Und diese Sammlung heißt nun: "Die letzten Tage des Patriarchats". Der haut schon 'rein, der Titel, Frau Stokowski. Sind wir soweit?
Margarete Stokowski: Ist schön, oder? Ich hab mir den Titel erst als Witz so ein bisschen ausgedacht, ehrlich gesagt. Als ich so mit mir selber gebrainstormt habe, was als Titel als Überbegriff sozusagen funktionieren könnte für Texte, die ja eigentlich sehr unterschiedlich sind das ist ja eine Auswahl von Texten, die sich teilweise mit Feminismus beschäftigen, aber auch mit dem ganzen Rechtsruck und allem Möglichen, Selbstoptimierung im Kapitalismus und alles andere -, da war das erst ein Witz von mir. Dann hab ich aber gemerkt, es haut echt gut hin, weil sehr viele der Texte, die ich schreibe, sich damit beschäftigen, dass da gerade ein System am Einstürzen ist.
Ein altes System wird abgeschafft
Lechler: Das klang im ersten Buch auch schon an.
Stokowski: Genau, das war bei "Untenrum frei" auch schon so, wo ich sozusagen versucht habe, die Probleme aufzuzeigen, die es immer noch gibt, und wie man irgendwie Freiheit auf unterschiedlichen Ebenen erreichen kann. Jetzt bei "Die letzten Tage des Patriarchats" fand ich, das passt ganz gut, weil alles Mögliche von dem, was ich beschreibe - seien es die Nazis, die jetzt wieder stärker werden, oder die ganze #MeToo-Debatte und so - es beschreibt alles einen Umbruch, wo ein altes System abgeschafft wird, aber natürlich nicht von alleine, sondern mit sehr viel Lautstärke.
Lechler: Gerade diese Woche wurde Bill Cosby, der US-Komiker und einstige Publikumsliebling wegen sexueller Nötigung zu allermindestens drei Jahren Haft verurteilt erster prominenter Schuldspruch seit dieser #MeToo-Debatte. Wird das eine Signalwirkung haben?
Stokowski: Ich glaube, das hat eine Wirkung, und ich glaube, gerade am Fall Bill Cosby kann man sehen, der Fall ist ja nicht erst während der #MeToo-Zeit aufgekommen, sondern es waren ja schon länger die Vorwürfe da, und jetzt ist gerade eine Zeit, wo sehr viel sozusagen aufbricht, aber auch Ergebnisse schon da sind. Viel von dem Unrecht, was in den letzten Jahren und Jahrzehnten passiert ist, kommt jetzt ans Licht, und es ist jetzt eine Zeit, wo einige Sachen einfach nicht mehr so durchflutschen wie in den vergangenen Jahrzehnten. Ich glaube, dass das eine sehr gute Signalwirkung ist, dass dann so was auch passiert.
"Täter müssen auch Konsequenzen tragen"
Lechler: Sie haben vor einem Jahr geschrieben, auch im Zusammenhang mit Bill Cosby, dass es, egal ob anonyme Fälle oder um so berühmte Beschuldigte geht, dass es dann schon immer wieder zu der Debatte so "Verdrängungs- und Ruhigstellungsimpulse gibt, laut denen die Betroffenen angeblich zu naiv oder aufmerksamkeitsbedürftig oder selber schuld waren und die Täter eben schwierige oder ebenfalls naive Typen, die in dem Moment oder generell nicht wussten, was sie sagten oder taten." Zitatende. Ist das immer noch so?
Stokowski: Das ist noch so, aber diese Art von Reaktion, dass man versucht, Gewalt, die passiert ist, kleinzureden oder wegzuwischen, ist eine, die ist an sich auch schon falsch, aber die wird durch Wiederholung natürlich noch bullshitiger, weil man merkt, je mehr Leute von solchen Vorfällen erzählen, umso schwieriger wird es, die wegzuwischen und zu sagen, dass es Einzelfälle sind, weil das ist ja etwas, was dann häufig gesagt wird: "Na ja, in dem einzelnen Fall hätte diese Frau sich halt anders verhalten sollen, aber eigentlich leben wir in einer Zeit, wo so was selten passiert." Und je mehr man von diesen Fällen hört, desto unglaubwürdiger werden solche Aussagen.
Wir haben noch länger mit Margarete Stokowski gesprochen -
hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Lechler: Das heißt, wir sind auch wachsamer und sensibler tatsächlich geworden durch die Debatte.
Stokowski: Ich glaube, das ist auf jeden Fall passiert. Also wenn man jetzt mal so ein bisschen zurückguckt auf ein Jahr #MeToo, dann kann man auf jeden Fall sagen, dass Leute ein stärkeres Bewusstsein davon haben, dass wir immer noch in einer Zeit leben, wo sehr häufig Macht missbraucht wird - und es so langsam sich ändert, dass Leute anfangen zu merken, wie oft das passiert, und tatsächlich die Täter dann auch Konsequenzen tragen müssen.
Lechler: Ich hab viel gelacht, als ich Ihre Kolumnen noch mal gesammelt gelesen habe.
Stokowski: Schön.
Lechler:
Weil viele ja aber auch gleichzeitig beim Stichwort Feminismus immer noch zuerst an so etwas Verbissenes, Männerfeindliches eventuell denken. Sind es die Patriarchen, die immer noch alles falsch verstehen wollen oder hat der Feminismus da ein Imageproblem?
Stokowski: Na ja, Imageproblem, ich glaube eher, dass Reste eines Imageproblems - das dadurch entstanden ist, dass Feminismus vor einigen Jahrzehnten natürlich noch viel stärker Avantgarde war, als es heute ist -, dass Reste von diesem Imageproblem immer noch da sind, aber gleichzeitig gibt es natürlich die sehr starke Gegenbewegung, dass Feminismus für viele junge Leute und auch ältere einfach cool ist und die T-Shirts tragen, wo irgendwelches feministische Zeug draufsteht oder Feminismus teilweise als Werbung für irgendwelche Kosmetik verwendet wird, wo es dann manchmal so ein bisschen albern wird, wenn dann so eine Lidschattenpalette "Feminist" heißt und das aber überhaupt nichts Inhaltliches irgendwie mit irgendwas zu tun hat. Aber ich glaube, so zu tun, als seien Feministinnen immer schlecht gelaunte, ungevögelte, verbitterte Frauen, wird zunehmend schwieriger, je mehr man die in der Öffentlichkeit sieht.
Von hippiesken zu relevanten Themen
Lechler: Im Vorwort zum Buch schreiben Sie, "teilweise fühlte sich das an, wie die eigenen Tagebücher von früher zu lesen", also diese Kolumnen zu versammeln, "was immer interessant, manchmal lustig und manchmal beschämend ist". Was für Positionen würden Sie heute gerne revidieren?
Stokowski: Ich würde sagen, es geht nicht unbedingt um Positionen, es geht eher um so eine bisschen hippieske Art, die ich damals hatte, von: "Ja, jetzt erzähle ich in der Kolumne auch mal, wie ich mit meinem Freund geschlafen hab", da haben wir uns dabei unterhalten, und dann wollte ich mit ihm Stadt-Land-Fluss spielen beim Sex und so.' Das ist so ein bisschen quatschiges Zeug, was ich da am Anfang immer reingeschrieben hab, weil ich so dachte, ja, ich hab jetzt eine Kolumne, ich kann schreiben, was ich will. Und es ist dann halt so, dass wenn man zu einem größeren Publikum schreibt, dass man sich überlegt, politisch relevante, größere Themen anzusprechen - und das war bei mir der Fall.
Lechler: Wenn eine Kolumne erscheint, wie gespannt oder nicht sind Sie dann auf Kommentare - und lesen Sie die denn auch?
Stokowski: Ich bin jetzt nicht so, dass ich, wenn ich eine Kolumne abgeschickt habe dann sind ja eh erst mal ein paar Stunden, bis die online geht, also meistens so drei, vier Stunden , ich sitze dann da nicht vorm Computer und warte, wer mir schreibt. Das kommt dann schon automatisch irgendwie zu mir. Ich gucke selten ins Forum rein, weil es dann doch immer wieder dasselbe ist, manchmal so aus einem gewissen Forschungsinteresse, aber jetzt nicht, um zu denken, was ist jetzt denn die seriöse Antwort auf den Text - weil da ist natürlich auch viel Bullshit dabei.
Lechler: Und auch Morddrohungen und Vergewaltigungsankündigungen, die Sie auch zitieren im Buch
Stokowski: Nicht im "Spiegel Online"-Forum, das wird ja freundlicherweise alles durchgeguckt, aber Drohungen gibt es schon auch, ja.
"Ich verstehe, wenn Leute aufhören, sich öffentlich zu äußern"
Lechler: Werden Sie da dickfälliger im Laufe der Zeit?
Stokowski: Ich habe auf jeden Fall gelernt, damit umzugehen, weil man lernt das ja automatisch durch die Masse von Zeug, was da einfach ankommt - oder man hört mit dem Job auf, glaube ich. Ich verstehe auch, wenn Leute aufhören, sich öffentlich zu äußern, weil ihnen das zu krass ist - und es ist teilweise krass, wenn Leute schreiben, "ich komme in dein Haus und werde dich restlos vernichten, du wirst in deinem eigenen Blut liegen" und so. Und man denkt so, okay, ich hab einen Text geschrieben, Leute, was geht, was ist euer Problem. So was passiert.
Wenn Leute mich bedrohen, dann zeige ich die an, aber es ist so, dass es mir eigentlich keine Angst macht. Also wenn Leute mich fragen, ob diese Drohungen mir Angst machen, dann muss ich sagen, ich finde es fast ein bisschen lustig, weil also klar kann man denken, jemand fühlt sich bedroht, aber dadurch, dass ich schon drauf achte, dass jetzt meine Adresse nicht irgendwo im Netz steht oder so, gehe ich nicht davon aus, dass jemand vor meiner Tür stehen wird. Es ist eher so, dass es mir entweder egal ist, oder es nervt mich, weil ich Zeitaufwand habe damit, die Leute anzuzeigen man muss es ja dann dokumentieren und so , oder es macht mich selber aggressiv. Ich bin dann halt auch wütend und denke, was für Arschlöcher, was für ein Dreckschwein schreibt mir so was! Natürlich sitze ich dann nicht da und denke: "Oh nein, jetzt muss ich irgendwie softer schreiben", oder so. Sondern ich denke halt: Das bestätigt mich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Margarete Stokowski: "Die letzten Tage des Patriarchats"
Rowohlt Verlag Hamburg, 2018. 320 Seiten, 20 Euro.
Lesung: "Die letzten Tage des Patriarchats"
Moderation: Doris Akrap
27.09.2018, 20.00 Uhr
Heimathafen Neukölln
Karl-Marx-Str. 141
10243 Berlin
Rowohlt Verlag Hamburg, 2018. 320 Seiten, 20 Euro.
Lesung: "Die letzten Tage des Patriarchats"
Moderation: Doris Akrap
27.09.2018, 20.00 Uhr
Heimathafen Neukölln
Karl-Marx-Str. 141
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