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Ein Jahr nach dem Brand von Notre-Dame
Wiederaufbau in Corona-Zeiten

Vor einem Jahr brannte die Kathedrale im Herzen von Paris nieder. Seitdem wird über ihren Wiederaufbau diskutiert - doch der kommt nicht so schnell voran, wie manche zunächst gehofft hatten. Nun werden die Bauarbeiten auch noch durch die Corona-Krise ausgebremst.

Von Suzanne Krause |
Vor dem Altar der Kathedrale Notre-Dame in Paris steigt am 15.4.2019 Rauch auf.
April 2019: Ein Blick ins Innere der brennenden Kathedrale Notre-Dame in Paris. (AFP / Philippe Wojazer / Pool)
Karfreitag in der Pariser Kathedrale Notre-Dame. Vor dem hohen goldenen Kreuz spielt Renaud Capuçon Bach-Sonaten, vor leeren Rängen. Die Zeremonie wird live von mehreren französischen TV-Kanälen übertragen. Der Star-Geiger trägt zum Schutz vor einer Bleivergiftung einen weißen Overall und Gummistiefel, der Pariser Erzbischof Michel Aupetit hingegen verzichtet auf Schutzkleidung, er trägt eine Kasel, ein Messgewand. Der Geistliche nimmt den Bauhelm ab und tritt an ein Pult:
"Herrgott, Jesus. Vor einem Jahr hat diese Kathedrale gebrannt. Das löste weltweit Fassungslosigkeit aus und den Elan, sie wieder aufzubauen und zu restaurieren. Heute stehen wir in der halb zusammengestürzten Kathedrale, um zu bezeugen: Das Leben ist nicht aus ihr gewichen."
Vom gewohnten Alltagsleben allerdings ist die Pariser Kathedrale noch weit entfernt. Seit dem Brand fand nur eine Messe in einer Seitenkapelle statt, Mitte Juni, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Kirchenverantwortlichen hatten damit angesichts der Polemik um die ersten Wiederaufbau-Projekte klarstellen wollen: Notre-Dame de Paris ist nicht nur ein bedeutendes historisches Bauwerk – sondern auch ein Hohetempel des geistlichen Lebens.
Die Dornenkrone als Zeichen
Auf dem Pult vor Monseigneur Aupetit liegt eine wertvolle christliche Reliquie: die Heilige Dornenkrone, die Christus am Kreuz trug.
"Diese Dornenkrone wurde in der Brandnacht von der Feuerwehr gerettet. Welch wunderbares Zeichen. Sie ist ein Zeichen für den Spott der Menschen, den Du, Jesus, ertragen musstest. Aber ihre Rettung ist auch ein Zeichen dafür, dass Du bei uns bist in der Stunde unseres tiefsten Leids."
Das Innere von Notre-Dame nach dem Brand: Die Holzbalken der Dachkonstruktion liegen auf dem Boden.
Das Innere von Notre-Dame nach dem Brand (picture alliance / dpa / AP / Christophe Petit Tesson)
Damit meint der Kardinal auch die Coronavirus-Pandemie. Die zwang dazu, die Ostergottesdienste, die nun statt in Notre-Dame in Saint Germain L'Auxerrois, der ehemaligen Königskirche neben dem Louvre-Museum, stattfanden, im engsten Kreis durchzuführen, live übertragen. Das galt auch für die Dornenkronen-Zeremonie in Notre-Dame. Da waren nur drei Geistliche zugelassen. Darunter Patrick Chauvet, Rektor der Kathedrale. Er wohnt nun nicht mehr hinter Notre-Dame, sondern gegenüber. Mit Blick auf die gigantische Baustelle:
"In den ersten zwei Monaten nach dem Brand ist es den Wandergesellen gelungen, einen Gutteil des Bauwerks zu konsolidieren. Im Sommer allerdings tauchte das Problem der Bleiverschmutzung auf. Das hat die Bauarbeiten geraume Zeit sehr ausgebremst. Zur Jahreswende wurde ein riesiger Kran installiert, um das schwere Baugerüst, das vom Feuer zusammengelötet wurde, Stück für Stück abzumontieren. Wenn das gelingt, können wir sagen, dass die Kathedrale wirklich gerettet ist."
"Kein Problem, die verlorene Zeit wieder aufzuholen"
Erst dann, im Sommer wohl, wird es möglich sein, den Zustand der weltberühmten Kathedrale im Detail zu begutachten. Seit Mitte März jedoch ist die Baustelle wegen der Corona-Restriktionen dicht. Gelassen verweist Pfarrer Chauvet auf einen Spruch von General Jean-Louis Georgelin, Leiter der staatlichen Einrichtung zum Wiederaufbau von Notre-Dame. Die soll das Versprechen umsetzen, das Staatspräsident Emmanuel Macron am Tag nach dem verheerenden Brand gab: Notre-Dame werde innerhalb von fünf Jahren aus der Asche auferstehen, erinnert Pfarrer Chauvet:
"Nachdem sich Journalisten angesichts der neuen Verzögerung der Bauarbeiten Sorgen machten, antwortete General Georgelin: 'Ich hatte ursprünglich angekündigt, dass Notre-Dame am 15. April 2024 um 11 Uhr wieder die Pforten öffnen werde. Nun, es könnte 11 Uhr 30 werden.' Diese Art von Humor ist typisch für den General. Es wird wohl kein Problem sein, die verlorene Zeit wieder aufzuholen."
Doch: Wiedereröffnung ist nicht gleichzusetzen mit vollständiger Wiederaufnahme des gewohnten Alltagsbetriebs. Bis die Pariser Kathedrale komplett wieder architektonisch aufersteht, werden ein bis eineinhalb Jahrzehnte ins Land gehen. Die Kirchenoberen hegen aber auch viel kurzfristigere Projekte, so Benoist de Sinety, der die katholische Kirche in der staatlichen Einrichtung für den Wiederaufbau von Notre-Dame vertritt. Der Pfarrer erklärte kürzlich in einer Video-Pressekonferenz:
"Mehrere Teams in der Diözese überlegen, wie die Kathedrale künftig aussehen, was genau dort stattfinden soll. Und wie es uns gelingen kann, während der Bauarbeiten rund um die beiden Türme Gläubige, Wallfahrer und Touristen zu empfangen."
"Wir sind vom Ziel noch weit entfernt"
Traditionell kamen jedes Wochenende 3.000 Gläubige zur Messe, lockte die Kathedrale jährlich 12 Millionen Touristen an. Derzeit prüft der Pariser Erzbischof erste Projekte. Die Beliebtheit des gotischen Meisterwerks lässt sich auch am weltweiten Spendenaufkommen ablesen: Über 900 Millionen Euro Spendenversprechen gingen ein, knapp 200 Millionen wurden bislang angewiesen.
Doch schon heute ist klar: Allein das anfangs veranschlagte Budget für die ersten Konsolidierungsarbeiten, immerhin 31 Millionen Euro, ist viel zu knapp bemessen. In einer kürzlich ausgestrahlten TV-Dokumentation rief der Rektor von Notre-Dame kaum verhüllt zu weiteren Spenden auf:
"Es heißt, wir hätten jetzt sehr viel Geld. Aber ich weiß nicht, was die Bauarbeiten kosten werden. Wir sind vom Ziel noch weit entfernt."
Wehmütig verfolgt Erzbischof Aupetit alle Wortmeldungen des Staatspräsidenten zum Wiederaufbau von Notre-Dame. Macron habe, so wird Aupetit in den Medien zitiert, nicht ein Mal die Katholiken erwähnt. In einem renommierten Historiker-Newsletter resümiert Politologe und Religions-Experte Olivier Roy: Was den Wiederaufbau von Notre-Dame angehe, sei die katholische Kirche komplett und aktuell definitiv ihres Einflusses beraubt.