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Ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd
"Auch in Deutschland haben wir ein Problem mit rassistischer Polizeigewalt"

Rassistisch motivierte Polizeigewalt spiele auch in Deutschland eine Rolle, sagte Tahir Della von der Initiative Schwarze Deutsche im Dlf. Auch in Deutschland kämen dadurch Menschen ums Leben. Die Polizei müsse sich diesem Problem endlich stellen, denn es handele sich nicht um Einzelfälle.

Tahir Della im Gespräch mit Peter Sawicki |
The George Floyd memorial outside Cup Foods in Minneapolis in June 2020. (Leila Navidi/Minneapolis Star Tribune/TNS/ABACAPRESS.COM - NO FILM, NO VIDEO, NO TV, NO DOCUMENTARY
George Floyd Gedenkstelle in Minneapolis (abaca/Leila Navidi/Minneapolis Star Tribune)
Genau ein Jahr ist es her, dass der weiße Polizist Derek Chauvin dem Afroamerikaner George Floyd neun Minuten lang sein Knie in den Hals drückte. Floyd starb kurz darauf. Derek Chauvin wurde mittlerweile in allen Anklagepunkte schuldig gesprochen.
Der Fall hat weltweit eine Bewegung ausgelöst, vor allem unter der Überschrift "Black Lives Matter" - "Schwarze Leben zählen". Entsprechende Demonstrationen gegen Rassismus gab es anschließend auch in Deutschland. Was ist davon übrig geblieben, genau ein Jahr nach dem Tod von George Floyd? Wo steht der Kampf gegen Rassismus?
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Tahir Della ist Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). Im Dlf betonte er, dass der Fall George Floyd kein Einzelfall sei. Es sei ein weltweites Problem, dass Schwarze in Deutschland auch schon sehr lange thematisierten. Und auch in Deutschland werde auf rassistischer Polizeigewalt nicht wirklich reagiert. "Das heißt, wir adressieren das immer noch nicht als systemisches Problem, was nicht bedeutet, dass alle Polizist*innen rassistisch sind, dass aber rassistische Polizeigewalt auch von der Polizei ausgeht und dass das auch hier in Deutschland tödlich enden kann", sagte Della.
Seit 1990 habe es mehr als 180 Fälle von rassistischer Polizeigewalt in Deutschland gegeben, die tödlich endeten. Diese seien bislang aber nicht entsprechend adressiert worden. Als Beispiel nannte Della den Todesfall von Oury Jalloh 2005, der in einer Zelle auf einer Polizeiwache in Dessau starb. Bis heute habe dies keine Konsequenzen nach sich gezogen.
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Mit Blick auf die Zivilgesellschaft sagte er, dass das Problembewusstsein gewachsen sei. "Und wir brauchen eine Bereitschaft, auch in der Polizei, sich mit diesem Thema endlich umfassend zu beschäftigen", forderte Della. Die Gesellschaft insgesamt sei aber aufgerufen, sich von rassistischen Bildern zu verabschieden.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Peter Sawicki: Rassismus gab es ja bekanntlich schon vor dem Tod von George Floyd. Warum hat aber dieser Fall so große Reaktionen ausgelöst?
Tahir Della: Es fällt schwer, das einzuordnen, weil so ein Video gab es schon vorher. Eric Ganerts beispielsweise, der hat das gleiche gerufen. Der hat auch gesagt, er kriegt keine Luft, und trotzdem hat die Polizei nicht abgelassen von ihm. Das macht deutlich, dass es kein Einzelproblem ist in den USA, sondern ein weltweites Problem, dass schwarze Menschen auch hier in Deutschland schon ganz lange thematisieren, dass rassistische Polizeigewalt, die tödlich endet, auch hier ein Problem ist, und auch hier wird dem nicht wirklich entsprochen. Das heißt, wir adressieren das immer noch nicht als systemisches Problem, was nicht bedeutet, dass alle Polizist*innen rassistisch sind, dass aber rassistische Polizeigewalt auch von der Polizei ausgeht und dass das auch hier in Deutschland tödlich enden kann.
Sawicki: Hat da ein Tropfen das Fass zum Überlaufen gebracht, auch weltweit?
Della: In den USA auf alle Fälle und weltweit würde ich sagen ja, auch hier, weil deutlich geworden ist, dass es nicht bloß ein Problem in den USA ist, sondern dass es auch tatsächlich in anderen Ländern, die meistens verschwiegen werden oder nicht wirklich thematisiert werden, ein Problem darstellt, was von den verantwortlichen Behörden, Politik, Polizeibehörden nicht wirklich ernst genommen wird. Wir haben hier 2005 auch einen Todesfall, Oury Jalloh beispielsweise, wo deutlich geworden ist, dass diese Polizeigewalt nicht wirklich so ernst genommen wird, wie sie von den Betroffenen schon lange thematisiert wird, dass keine Untersuchungen stattfinden, dass die Konsequenzen fehlen, dass keine Polizisten verurteilt werden, und deutlich gemacht wird, dass auch hier dieses Problem nicht wirklich ernst genommen wird und auch wirklich umfassend endlich mal angegangen wird.

"Viele Menschen haben ein wachsendes Problembewusstsein"

Sawicki: Solche Anliegen wurden ja auch in Deutschland auf Demonstrationen vor allem im Sommer vergangenen Jahres geäußert, auch organisiert von der Black Lives Matter Bewegung. Trotzdem ist es ja rund um diese Bewegung und auch, was die Demos angeht, seitdem deutlich ruhiger geworden. Warum eigentlich?
Della: Ich glaube, es war nicht zu erwarten, dass die Demonstrationen in der Größenordnung weitergehen. Was aber klar geworden ist, dass Kampagnen wie Dead in Custody, Tot in Polizeihaft, von der ISD mit unterstützt, klarmachen, dass seit 1990 über 180 Fälle von rassistischer Polizeigewalt, die tödlich geendet haben, tatsächlich da sind, dass die aber nicht adressiert wurden bislang, dass keine Konsequenzen daraus gezogen worden sind. Insofern glaube ich, dass deutlich geworden ist, dass ganz viele Menschen ein wachsendes Problembewusstsein haben, dass ganz viele Menschen deutlich machen, auch hier in Deutschland braucht es unabhängige Studien. Wir brauchen Konsequenzen, die diese Todesfälle nach wie vor nicht nach sich gezogen haben. Und wir brauchen eine Bereitschaft auch in der Polizei, sich mit diesem Thema endlich umfassend zu beschäftigen.
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Sawicki: Studien, sagen Sie. Eine Studie zu Racial Profiling bei der Polizei war ja im Gespräch. Nun hat aber zumindest ja die Uni Münster eine Studie zum Alltag in der Polizei gestartet. Darauf hat man sich dann als Kompromiss geeinigt. Reicht Ihnen das persönlich nicht?
Della: Ich würde mal sagen, ja, das sind die richtigen Schritte in die richtige Richtung. Klar wird aber, dass die Bereitschaft der Polizei auch notwendig ist. Solange die Polizei und die Polizeigewerkschaft sich gegen solche Maßnahmen sträuben, ist das Misstrauen in den betroffenen Communities entsprechend groß, wo klar wird, ja, wir adressieren das Problem schon lange in der Zivilgesellschaft, ja, es kommen Menschen ums Leben und die Polizei muss sich endlich mal diesem Problem stellen, anstatt immer so zu tun, als ob es Einzelfälle sind. Es sind keine Einzelfälle! Es ist ein systemisches Problem, ein institutionelles Problem, und entsprechend muss das endlich auch mal adressiert werden.

Der Fall Oury Jalloh wurde noch nicht aufgeklärt

Sawicki: Aber wird es dadurch jetzt auch, oder was erwarten Sie sich davon?
Della: Genau! Es wird damit deutlich, auch hier in Deutschland haben wir ein Problem mit rassistischer Polizeigewalt, und es wird auch klar, dass wir dieses Problem endlich mal so umfassend besprechen müssen. Es muss besprechbar werden, dass wir da ein Problem haben. Die Bereitschaft in der Politik wächst aktuell und der Fall von Oury Jalloh macht klar, dass seit über zehn Jahren versucht wird, diesen Fall aufzuklären. Es gibt unabhängige Gutachten, die aber leider nicht dazu führen, dass der Fall wirklich aufgeklärt wird.
Sawicki: Jetzt haben wir viel über Rassismus in der Polizei gesprochen. Was hat sich denn aus Ihrer Sicht gesellschaftlich insgesamt in dem vergangenen Jahr beim Thema Rassismus getan?
Della: Deutlich, glaube ich, wurde, dass die Zivilgesellschaft schon wesentlich weiter ist. Auch hier wird deutlich, dass viele Menschen, gerade junge Menschen vor allen Dingen dieses Problem wirklich ernst nehmen, dass es auch nicht bloß bei solidarischen Bekundungen bleibt, sondern dass Kundgebungen nach wie vor deutlich machen, ja, wir brauchen endlich mal eine umfassende Auseinandersetzung zu Rassismus insgesamt in der Gesellschaft, aber auch natürlich gegenüber Polizeibehörden und Politik. Da wurde klar, dass die Politik und die Polizeibehörden nach wie vor nicht wirklich diesem Wunsch, dieser Forderung nachkommen und dieses Problem endlich mal umfassend adressieren.
Sawicki: Das war jetzt wieder Stichwort Polizei. Was soll denn praktisch zum Beispiel aber gesellschaftlich aus diesen Forderungen, aus diesen Kundgebungen folgen?
Della: Wir haben vor kurzem eine Broschüre rausgegeben, wie mit Racial Profiling umzugehen ist. Das heißt, wir adressieren Menschen im öffentlichen Raum, klarzumachen, wir sind nicht einverstanden mit rassistischer Gewalt, mit rassistischer Polizeigewalt, Polizeimaßnahmen, Kontrollen beispielsweise, um da auch deutlich zu machen, dass wir alle in der Gesellschaft aufgerufen sind, uns diesem Thema endlich mal umfassend zu stellen. Denn betroffen sind ja nicht bloß die negativ betroffenen Menschen, sondern wir als Gesellschaft insgesamt sind betroffen von Rassismus. Da geht es darum, Verantwortung zu übernehmen und klarzumachen, wir brauchen eine Zivilgesellschaft, die dann entsprechend Einfluss übt auf die Politik, die nicht bloß bei diesen Kundgebungen bleibt, die natürlich beeindruckend waren, sondern dass auch wirklich mal Maßnahmen ergriffen werden, die deutlich machen, ja, wir stellen uns dem Problem und setzen uns damit auseinander.

"Es sind keine Einzelfälle"

Sawicki: Wie kann das konkret im Alltag aussehen? Was kann man im Alltag praktisch gegen Rassismus tun?
Della: Wenn Menschen zum Beispiel Zeugen werden von Polizeikontrollen, die aus ihrer Sicht rassistisch motiviert sind, dass schwarze Menschen beispielsweise in Zügen, an Bahnhöfen, öffentlichen Plätzen permanent kontrolliert werden, deutlich zu machen, wir sind damit nicht einverstanden, wir stellen das in Frage, auch eine gewisse kritische Masse zu erzeugen, deutlich zu machen, nee, wir sind nicht bereit, das einfach als normal hinzunehmen, dass Menschen markiert werden im öffentlichen Raum als Kriminelle, und klarzumachen, dass wir als Gesellschaft insgesamt aufgerufen sind, uns von diesen rassistischen Bildern zu verabschieden, dass schwarze Menschen als Bedrohung wahrgenommen werden, vor allem schwarze junge Männer, und klarzumachen, dass das nicht hinnehmbar ist für eine Gesellschaft, die sich auf Menschenrechte und Demokratie beruft.
Sawicki: Wenn wir von der Polizei dann noch mal wegkommen, was gibt es sonst noch für Bereiche, in denen man praktisch im Alltag etwas tun kann?
Della: Rassismus, glaube ich, ist wirklich zu finden in allen gesellschaftlichen Ebenen. Auch hier sind wir natürlich aufgerufen, das zu adressieren, dagegen auch Widerstand zu leisten, deutlich zu machen, wir wollen diesen Rassismus in der Gesellschaft nicht hinnehmen, wir sehen das nicht als normal an, dass rassistische Bilder beispielsweise in den Medien durch Politiker*innen beispielsweise immer reproduziert werden.
Sawicki: Zum Beispiel?
Della: Herr Palmer beispielsweise hat ja vor kurzem wieder von sich reden gemacht und da kann man natürlich sagen, beim Herrn Palmer geht es immer um Herrn Palmer selber, aber auch hier wird klar, dass rassistische Bilder verankert sind in unserem gesellschaftlichen Bewusstsein, und das zu adressieren, gilt es jetzt endlich mal, weil das führt dazu, dass Polizeibehörden, die über eine große Macht verfügen, dann auch diese rassistischen Bilder reproduzieren und entsprechende Maßnahmen führen.
Sawicki: Gegen Boris Palmer soll jetzt ein Verfahren in der Partei angestrengt werden. Ist das angemessen oder vielleicht auch schon übertrieben?
Della: Es ist längst überfällig, würde ich sagen, und auch hier muss man sagen, dass Boris Palmer sich herauswagt aus der Menge, gleichzeitig aber auch deutlich machen, er dockt ja an an diesen rassistischen Vorbildern oder Klischees, und die sind in unserer Gesellschaft verankert und da gilt es, im Kleinen wie im Großen endlich mal dagegen sich zu positionieren, klarzumachen, nein, wir sind damit nicht einverstanden, damit solche Vorfälle sich nicht permanent wiederholen. Denn klar wird, das sind keine Einzelfälle. Wir können uns in allen gesellschaftlichen Bereichen umschauen, wo Rassismus stattfindet, und im Kleinen wie im Großen müssen wir es adressieren und uns dagegen positionieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.