Javier Solana am 25. März 1999 - seit dem Vorabend ist er erster kriegführender NATO-Generalsekretär in 50 Jahren Geschichte der Allianz. Die Fernsehhauptrolle bekommt er dafür nicht. Die hat in den nächsten 78 Tagen ein anderer.
"Ladies and Gentlemen, welcome to our briefing."
Jamie Shea - NATO-Sprecher. Willkommen zu unserem Briefing. Die tägliche Informationsausgabe der NATO im Kosovo-Krieg beginnt bis auf wenige Ausnahmen immer pünktlich 15.00 Uhr Mitteleuropäischer Zeit. Im viel zu kleinen Saal des NATO-Pressezentrums drängeln sich 250 Journalisten. In den ersten Tagen ist es vor allem die wiederholte Botschaft: Dies ist kein Krieg gegen das jugoslawische Volk. Allein Slobodan Milosevic ist dafür verantwortlich und unsere Piloten unternehmen alle Anstrengungen, um zivile Schäden zu vermeiden. Die Journalisten notieren ein Wort, daß ihre Fremdwörterbücher noch nicht kennen: Kollateralschaden. Daß der Kosovo-Krieg keine nennenswerten Opfer unter der Zivilbevölkerung bringen würde, ist bereits der zweite große Irrtum. Die erste Fehleinschätzung ist eine andere. Oberst Frank Sales, Sprecher des NATO-Militärrates.
"Denn man ging natürlich, als man General Clark sagte: "So, nun bist du an der Reihe!", zunächst von der Überlegung aus, daß das Ganze ohnehin nur ein, zwei, drei, vier Tage dauern würde, um dann wieder in den Zyklus der diplomatischen Beratungen (Rambouillet) einzutreten. Als das dann nicht eintrat, mußte man dann aus der Not eine Tugend machen und dann in eine langfristige Krisenoperation eintreten, die ja sich durchaus bis zum Ende an die Frage annäherte: "Mußte aus der Luft zusätzlich eine Bodenoperation kreiert werden?"
Der Pressestab wird von den Ereignissen und von den Journalisten buchstäblich überrollt. Hoffnungslos unterbesetzt wurden die Press-Officer ohne jede strategische Kommunikationsplanung in den Krieg der Worte geschickt. Krisenmanagement auf dem Niveau eines Landratsamtes. Spokesman Jamie Shea gönnt seiner Sekretärin zu Beginn des Krieges sogar den geplanten Urlaub. Der Pressestab improvisiert.
"Ja, ich akzeptiere, daß wir nicht vorbereitet waren. Ich denke, da sind zwei Aspekte zu berücksichtigen. Erstens hätten wir erkennen müssen, daß das eine viel größere Geschichte werden würde als wir angenommen haben. Das zweite Problem ist, daß der NATO-Presseservice sehr sehr klein ist. Wir haben nur vier oder fünf Leute. Das reicht in Friedenszeiten. Aber wir haben wahrscheinlich nicht geahnt, daß man enorm viel mehr Leute braucht in einem Konflikt, in dem der Druck der Medien 24 Stunden am Tag andauert. Da braucht man natürlich Leute, die Tag und Nacht arbeiten, um das in den Griff zu kriegen. Ja, wir haben aus diesen Erfahrungen gelernt. Andererseits: als wir merkten, daß wir nicht gut vorbereitet waren, haben wir uns der Situation recht schnell angepaßt. Das ist wie bei einer Fußballmannschaft, die nach der Hälfte des Spiels merkt, daß sie auf den Gegner nicht vorbereitet war und deshalb zur Halbzeit Strategie und Taktik ändert und dann in der zweiten Spielhälfte schnell in Führung geht. Ich denke so war das."
78 Tage Kosovo-Krieg werden zeigen, daß Kommunikation die größte strategische Schwäche der Allianz ist. Und die Journalisten werden die nächsten 11 Wochen ausprobieren, ob sie in diesem Krieg objektiver und besser berichten können als in allen anderen davor.
"Krieg wird vorbereitet, gerechtfertigt und auch beendet durch Kommunikation" - Andreas Iten, Publizist.
Mit gemischten Gefühlen setzen die Brüsseler Korrespondenten die Pressetexte der NATO in Gänsefüßchen und indirekte Rede. Steven Bates vom Londoner Guardian denkt über seine Rolle nach:
"Ich glaube meine Rolle war eine sehr einfache. Ich mußte nur berichten, was die NATO zu sagen hatte und dann sagen: Das ist es, was die NATO zu sagen hat. Ich habe gar nicht versucht, so zu tun, als ob das die absolute Wahrheit sei. Aus dem Hauptquartier zu berichten, ist immer einseitig."
Auch Michael Oldog, Korrespondent der Süddeutschen Zeitung redigiert jetzt fast nur noch NATO-Texte anstelle der gewohnten von der EU:
"Man ist da zum Teil aber auch selber - ich sag mal krass- etwas hilflos, denn um das nachzuprüfen müßten Sie eigentlich vor Ort sein. Und das ist man natürlich als Brüsseler Korrespondent nicht. Man ist auf die Informationen angewiesen. Man wird hier leicht zu einem sag ich mal Lautsprecher oder Megaphon der NATO."
Die Heimatredaktionen entscheiden, welche Seite des Krieges in der Zeitung welchen Platz findet. So erklärt die SZ ihren Lesern gleich auf Seite zwei die Technik eines F15-Bombers und porträtiert das Leben von Wesley Clark - vom Pfadfinder zum kriegführenden NATO-Oberbefehlshaber Europa. The Guardian macht eine viertel Seite frei für einen Bericht aus Pristina. Ein Kosovo-Albaner schreibt über seine Gefühle in der ersten Bombennacht. Die Intellektuellen in Deutschland brauchen ein paar Tage, um ihre Gefühle zu ordnen und bekommen ihren angestammten Platz, hinten im Feuilleton für kritische Einlassungen. In Großbritannien wird sich Verteidigungsminister Robertson darüber ärgern, daß unter seinem Gastkommentar, im Guardian Seite drei, ein Serbe schreiben darf.
"Wir steigen in der Regel immer erst dann ein, wenn es irgendwo knallt. Davon müssen wir wegkommen" - Klaus Bednarz
Am 14. April meldet ein Bomberpilot einen Volltreffer, der die gesamte Allianz ins Wanken bringen wird. Jamie Shea auf der Pressekonferenz am Tag danach:
"I'd like to comment first the incident that happened yesterday on a convoy travelling between Prizren and Djakowica. Nato deeply regrets the loss of life of any civilians."
Djakowica - mindestens 75 tote Zivilisten - Kosovo-Albaner. Nach einem Personenzug voller Serben der zweite Zwischenfall der in die Zeitungen kommt. Noch drei Tage danach streiten Journalisten mit Brigadegeneral Guiseppe Marani im Pressezentrum über den Unterschied zwischen einem Traktor und einem militärischen Vehikel.
Journalist: " What was it? Was it a civilian vehicle?" General: "Probably, it was a tractor." Journalist: "Probably? But how do you know this? Do you have photos of it?" General: "As I said yesterday: the informations are correlated. Different source, different type of information…"
In Bonn erzählt Verteidigungsminister Scharping von serbischem Artilleriefeuer. In Washington war es ein serbisches Flugzeug. In Brüssel hat man einen zweiten Konvoi ausgemacht. In jeder Hauptstadt kursiert eine andere Wahrheit. Sonst um keine Antwort verlegen, muß Jamie Shea immer wieder passen. Fünf Tage brauchen die Militärs um diesen Treffer auszuwerten. Verwunderung bei den Journalisten, die sonst jeden Tag Cockpitvideos aus der letzten Nacht vorgespielt bekommen. Guardian-Editor Steven Bates nimmt NATO-Sprecher Jamie Shea dennoch in Schutz:
"Ich glaube, Jamie hat hier einen vernünftigen Job gemacht. Er hat versucht, einen Zusammenhang oder Sinn daraus darzustellen. Aber manchmal sah das sehr schwach aus, zumal die Serben sehr schnell die Kameras unten am Konvoi hatten. Das sollte wohl zeigen, daß sie nichts zu verbergen haben, außerdem wollten sie damit wohl selbst einen Propaganda-Coup landen. Ich glaube nicht, daß die Serben sehr besorgt um die Opfer der Attacke waren. Sie haben sie blutend liegen lassen, während sie die Kameraleute herangeschafft haben. Die NATO hätte durchaus gelassener reagieren können, wenn man darauf vorbereitet gewesen wäre, eigene Fehler schneller zuzugeben."
Die NATO trifft sich mit Djakowica selbst an ihrer verwundbarsten Stelle. Die öffentliche Meinung nimmt ‚kollateralen Schaden', die Unterstützung schwindet. In den USA sackt die Zustimmung für den Krieg schlagartig um zehn Punkte, auf unter fünfzig Prozent. Der Höhepunkt der Kommunikationskrise im Hauptquartier.
"Es wird nie soviel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd." - Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck
Vor allem Washington und London bestehen nach Djakowica darauf, die Öffentlichkeitsarbeit der Allianz straffer zu organisieren. Eilig werden PR-Rekruten nach Brüssel einbestellt. Darunter zum Beispiel Clintons Sprecher P.J. Crawley und Tony Blairs Wahlkampfberater Allastair Campbell - zwei der besten Politmanager weltweit. Sie sollen künftig darauf achten, daß nichts falsches gesagt wird. Lee McClenny, vom US-Statedepartment abkommandiert nach Brüssel, gehört zu Jamie Sheas Verstärkung:
"Es hat schon früher Hinweise gegeben, daß das Pressebüro nicht stark genug war, weil es nicht genügend Leute gab, für all die Aufgaben. Aber spätestens nach der Bombardierung des Djakowica Konvois wurde sehr deutlich, daß wir es uns als Allianz nicht leisten konnten, einen weiteren Zwischenfall dieser Art durchzumachen. Wir brauchten einfach mehr Leute, um diese Arbeit zu erledigen, um die Informationen herauszugeben - gute Informationen so schnell wie möglich."
In der verbotenen Zone des Hauptquartiers lassen die Spindoctors eine Mauer durchbrechen. Computer und abhörsichere Telefone werden eilig installiert. Im Pressezentrum spricht man vom "Warroom" - das Kriegszimmer heißt offiziell aber Media-Operation-Center. Journalisten haben keinen Zutritt, selbst Angehörige der NATO-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit haben hier nichts zu suchen, wie z.B. Oberst Frank Sales, Sprecher des Militärrates.
"Also der Presseoffizier des Militärausschusses ist darin überhaupt nicht eingebunden worden. Es ist sehr wohl eingebunden worden der Presseoffizier des Befehlshabers der Operation, nämlich Clark. Clark hatte einen amerikanischen Oberst in diesem Media Operation Center, der sichergestellt hat, daß eine unmittelbare Verbindung zu der militärischen Presseabteilung, die auch ungefähr 30, 40 Leute umfaßt, bestand."
Nicht eingebunden auch die zivilen Verbindungsbüros der Mitgliedsstaaten. Wollen die Liaison-Officer im Pressezentrum noch erfahren, was in diesem Krieg läuft, um Journalistenanfragen aus der Heimat zu beantworten, müssen sie 15.00 Uhr CNN einschalten. Die Öffentlichkeitsarbeit der NATO ist nun eindeutig angloamerikanisch dominiert. Vor allem die militärischen Quellen zwischen Airbase Aviano, Pentagon Washington und Supreme Headquarter of Allied Power bei Brüssel setzen auf die lange Tradition von Geheimhaltung, Halbwahrheit und Propaganda. Erst ein halbes Jahr später wird man ihnen nachweisen, daß sie z.B. ein Cockpitvideo manipulierten, das den Angriff eines Piloten auf eine Brücke zeigt. Mit mehrfacher Geschwindigkeit abgespielt sieht es so aus, als wäre wirklich keine Zeit mehr gewesen, den fahrenden Zug schnell genug zu erkennen. Die Militärs filtern Informationen offenbar schon bevor sie auf den Tisch von Jamie Shea kommen.
"Es gibt einen grundlegenden Irrtum unter Journalisten! Sie glauben, daß in einem Konflikt die Leute hier drin alle Fakten kennen, einen kompletten Überblick über die Situation hätten. Und wenn sie dann nichts sagen oder nur über einen Teil informieren dann ist das aus böser Absicht. Falsch! Eine der Lektionen, die wir gelernt haben ist: Die Wahrheit ist wie ein Puzzlespiel aus tausend Teilen. An manchen Tagen kennt man 650, an anderen nur 65. Das ist kein böser Wille. Manche Situationen sind sehr verwirrend, besonders in einer Luftaktion wie dieser. Da ist niemand vor Ort, den man wie die Polizei sofort zur Unglücksstelle schicken kann um in kürzester Zeit zu wissen was wirklich passiert ist. Von Zeit zu Zeit gab es auch Pannen, Blockaden im System. Mitunter bekamen wir Informationen - wie über den Zwischenfall mit dem Djakowica-Konvoi - erst fünf Tage später. Mir ist klar, daß das viel zu spät ist. Aber am Ende ist es in jedem Konflikt so, daß es manchmal fünf Jahre dauert, ehe alle Fakten bekannt werden. So wissen wir doch bis heute nicht, wie viele Menschen die Serben im Kosovo umgebracht haben."
Nach einem Monat Krieg im Kosovo erlahmt das Medieninteresse. Erstmals bleiben im Pressezentrum einige Stühle frei. Einzelne Ereignisse wie der Volltreffer auf falsche Koordinaten und damit die Chinesische Botschaft in Belgrad markieren die Ausnahme. Die NATO bemüht sich, andere Themen in den Vordergrund zu stellen. Die täglichen Pressekonferenzen beginnen jetzt häufiger mit Flüchtlingszahlen als mit Daten zu den Angriffswellen. Das Zeitspiel des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic wird zur nächsten großen Falle für die NATO-Militäroperation. Zu lang, zu teuer, aus der Luft zu uneffektiv - der Luftkrieg der NATO wird immer mehr in Zweifel gezogen. Und Jamie Shea muß auch im Mai und Juni den Journalisten immer wieder den Krieg erklären:
"It's up to President Milosevic to keep the commitments that he has made."
Täglich wird Slobodan Milosevic jetzt direkt angesprochen. Schließlich schaut der 15.00 Uhr auch CNN. Lee McClenny zu den wichtigsten Botschaften der NATO-PR für Belgrad:
"Die große Botschaft, die wir in Richtung Belgrad geschickt haben, war die selbe wie an die Mitglieder unserer Allianz. Es war die wichtigste Botschaft: Die Allianz ist stabil! Es gab keine Spaltung, keine Zerwürfnisse, kein Nachgeben. Niemand hat ernsthaft daran gedacht auszusteigen oder aufzuhören. Das war die Schlüsselbotschaft, die wir ihm zu schicken hatten. Letztlich brauchte er 78 Tage, die Botschaft zu kapieren. Es wäre zuviel zu behaupten, daß unsere Tag für Tag wiederholte Botschaft der Stärke, den Ausschlag gegeben hat. Es war ein Teil, ob ein kleiner oder großer, weiß ich wirklich nicht. Das kann nur Milosevic selbst sagen. Ein anderer Teil war, daß um den 70sten Tag herum klar wurde: Die Allianz steht noch stark genug zusammen, um Bodentruppen in Erwägung zu ziehen und im Kosovo am Boden einzumarschieren."
Der mögliche Einsatz von Bodentruppen. Das letzte Druckmittel der Allianz. Jamie Sheas nächste Herausforderung: Wie zieht man Bodentruppen so in Erwägung, daß Belgrad es glaubt aber Athen, Madrid, Berlin und Rom nicht unruhig werden? Ende Mai verstärkt die NATO die KFOR-Friedenstruppen in den Nachbarregionen auf ein durchaus auch kriegerisch abschreckendes Potential. Täglich 15:00 Uhr heißt es jetzt: die Luftangriffe werden weiter verstärkt.
"Public opinion wins war - öffentliche Meinung entscheidet den Krieg." - General Dwight David Eisenhower
Die Bilanz der Medienschlacht: Jamie Shea - NATO-Spokesman:
"Ja, die Presse hat eine entscheidende Verantwortung, weil die Leute ihre Informationen über Ereignisse von der Presse bekommen. Es ist Tatsache, daß wir Euch Journalisten während der Kosovo-Krise gebraucht haben, denn ohne Euch hätten wir weder unsere Botschaft an die Öffentlichkeit bringen können, noch hätten wir diesen hohen Grad der Unterstützung bekommen können, wie wir ihn hatten. Ich weiß, daß wir eine Presse brauchten, die nicht unbedingt absolute Sympathie zur NATO zeigen mußte, aber wenigstens bereit war, die NATO-Botschaft zu übermitteln. Mein Ziel war sicherzustellen, daß in jedem Artikel die NATO-Botschaft 'rüberkommen würde."
Steven Bates - The Guardian:
"Propaganda ist schwer zu kontrollieren, gerade im Krieg. Wie wir im Kosovo-Konflikt erlebt haben, gab es eine Menge Fragen in der NATO-Kampagne. Bei manchen Zwischenfällen stand in Frage, ob der Preis nicht viel höher war, als das Ergebnis rechtfertigt. Jeder Krieg wir ein Propaganda-Krieg sein, weil soviel auf dem Spiel steht."
Michael Oldog - Süddeutsche Zeitung:
"Zumindest muss man ja die kritische Frage stellen, das sah man ja auch beim Rückzug der serbischen Truppen, daß offensichtlich ein erheblicher Teil des serbischen Militärs intakt war und keineswegs irgendwie tödlich getroffen war. Insofern kann man annehmen, daß, oder man muß es zumindest in Erwägung ziehen, daß die Gründe für Milosevic vielleicht noch andere waren, als allein auf den militärischen Druck zu reagieren. Und ich glaube, hinter den Kulissen gab es schon sehr handfeste Auseinandersetzungen darüber. Und jemand hat mir damals auch erzählt, wenn Milosevic es weiter getrieben hätte, dann wäre die NATO in eine sehr, sehr schwierige Situation gekommen. Dann hätten Bodentruppen eingesetzt werden müssen und dann wäre es überhaupt nicht klar gewesen, wer da letztendlich der militärische Sieger gewesen wäre."
Lee McClenny - NATO-Press-Officer:
"Nun, die große Lektion, die wirklich große Lektion ist, daß die NATO als Organisation im Krieg funktioniert. Das ist eine gute Lektion. Viele gute Lektionen haben wir im Kosovo gelernt. Zu den negativen Dingen, die wir gelernt haben, gehört: Die Strukturen ... einzelne Strukturen innerhalb der NATO waren nicht auf den Krieg vorbereitet, wie sie vorbereitet hätten sein müssen. Das Pressebüro gehört dazu. Wir machen jetzt auch einige Übungen. Eine der Lektionen, die wir von der militärischen Seite des Hauses gelernt haben, ist, daß man seine Kriegstauglichkeit von Zeit zu Zeit testen muß. Das ist etwas, was die zivile Hälfte des Hauses niemals in organisierter Weise getan hat."
"Ladies and Gentlemen, I can announce that President Milosevic has complied to our five conditions. … I instructed General Clark to suspend NATO's air operation against Yugoslavia."
Noch am selben Tag packen CNN, BBC und andere einen großen Teil ihrer Übertragungstechnik in Brüssel zusammen. Ein anderes Phänomen der Kriegskommunikation zum Kosovo endet abrupt: Der untersetzte, oft unpassende Krawatten tragende, charmante Engländer, NATO-Sprecher Jamie Shea ist nun nicht mehr täglich im Fernsehen. In der Folgezeit wird er keine hundert Fan-Emails - und Liebesbriefe am Tag mehr bekommen. Der Medienstar dieses Krieges war kein furchtloser Reporter mitten im Zielgebiet sondern ein PR-Gentleman im NATO Hauptquartier.
"Ich halte es für unvorstellbar, daß jemand mit einem so gewaltigen Bierbauch und grauem Haar ein geborener Medienstar sein soll. Jetzt bin ich nicht länger im Fernsehen zu sehen, also bekomme ich auch keine von diesen Liebesbriefen mehr. Ich bin sicher, daß irgendein Popsänger oder Fußballspieler sie an meiner Stelle bekommt. Ich glaube, daß ist ein künstliches Phänomen, daß in Wirklichkeit nur vorübergehend ist. Also war ich ein Medienstar im Sinne von Andy Warhol: für 15 Minuten."
"Ladies and Gentlemen, welcome to our briefing."
Jamie Shea - NATO-Sprecher. Willkommen zu unserem Briefing. Die tägliche Informationsausgabe der NATO im Kosovo-Krieg beginnt bis auf wenige Ausnahmen immer pünktlich 15.00 Uhr Mitteleuropäischer Zeit. Im viel zu kleinen Saal des NATO-Pressezentrums drängeln sich 250 Journalisten. In den ersten Tagen ist es vor allem die wiederholte Botschaft: Dies ist kein Krieg gegen das jugoslawische Volk. Allein Slobodan Milosevic ist dafür verantwortlich und unsere Piloten unternehmen alle Anstrengungen, um zivile Schäden zu vermeiden. Die Journalisten notieren ein Wort, daß ihre Fremdwörterbücher noch nicht kennen: Kollateralschaden. Daß der Kosovo-Krieg keine nennenswerten Opfer unter der Zivilbevölkerung bringen würde, ist bereits der zweite große Irrtum. Die erste Fehleinschätzung ist eine andere. Oberst Frank Sales, Sprecher des NATO-Militärrates.
"Denn man ging natürlich, als man General Clark sagte: "So, nun bist du an der Reihe!", zunächst von der Überlegung aus, daß das Ganze ohnehin nur ein, zwei, drei, vier Tage dauern würde, um dann wieder in den Zyklus der diplomatischen Beratungen (Rambouillet) einzutreten. Als das dann nicht eintrat, mußte man dann aus der Not eine Tugend machen und dann in eine langfristige Krisenoperation eintreten, die ja sich durchaus bis zum Ende an die Frage annäherte: "Mußte aus der Luft zusätzlich eine Bodenoperation kreiert werden?"
Der Pressestab wird von den Ereignissen und von den Journalisten buchstäblich überrollt. Hoffnungslos unterbesetzt wurden die Press-Officer ohne jede strategische Kommunikationsplanung in den Krieg der Worte geschickt. Krisenmanagement auf dem Niveau eines Landratsamtes. Spokesman Jamie Shea gönnt seiner Sekretärin zu Beginn des Krieges sogar den geplanten Urlaub. Der Pressestab improvisiert.
"Ja, ich akzeptiere, daß wir nicht vorbereitet waren. Ich denke, da sind zwei Aspekte zu berücksichtigen. Erstens hätten wir erkennen müssen, daß das eine viel größere Geschichte werden würde als wir angenommen haben. Das zweite Problem ist, daß der NATO-Presseservice sehr sehr klein ist. Wir haben nur vier oder fünf Leute. Das reicht in Friedenszeiten. Aber wir haben wahrscheinlich nicht geahnt, daß man enorm viel mehr Leute braucht in einem Konflikt, in dem der Druck der Medien 24 Stunden am Tag andauert. Da braucht man natürlich Leute, die Tag und Nacht arbeiten, um das in den Griff zu kriegen. Ja, wir haben aus diesen Erfahrungen gelernt. Andererseits: als wir merkten, daß wir nicht gut vorbereitet waren, haben wir uns der Situation recht schnell angepaßt. Das ist wie bei einer Fußballmannschaft, die nach der Hälfte des Spiels merkt, daß sie auf den Gegner nicht vorbereitet war und deshalb zur Halbzeit Strategie und Taktik ändert und dann in der zweiten Spielhälfte schnell in Führung geht. Ich denke so war das."
78 Tage Kosovo-Krieg werden zeigen, daß Kommunikation die größte strategische Schwäche der Allianz ist. Und die Journalisten werden die nächsten 11 Wochen ausprobieren, ob sie in diesem Krieg objektiver und besser berichten können als in allen anderen davor.
"Krieg wird vorbereitet, gerechtfertigt und auch beendet durch Kommunikation" - Andreas Iten, Publizist.
Mit gemischten Gefühlen setzen die Brüsseler Korrespondenten die Pressetexte der NATO in Gänsefüßchen und indirekte Rede. Steven Bates vom Londoner Guardian denkt über seine Rolle nach:
"Ich glaube meine Rolle war eine sehr einfache. Ich mußte nur berichten, was die NATO zu sagen hatte und dann sagen: Das ist es, was die NATO zu sagen hat. Ich habe gar nicht versucht, so zu tun, als ob das die absolute Wahrheit sei. Aus dem Hauptquartier zu berichten, ist immer einseitig."
Auch Michael Oldog, Korrespondent der Süddeutschen Zeitung redigiert jetzt fast nur noch NATO-Texte anstelle der gewohnten von der EU:
"Man ist da zum Teil aber auch selber - ich sag mal krass- etwas hilflos, denn um das nachzuprüfen müßten Sie eigentlich vor Ort sein. Und das ist man natürlich als Brüsseler Korrespondent nicht. Man ist auf die Informationen angewiesen. Man wird hier leicht zu einem sag ich mal Lautsprecher oder Megaphon der NATO."
Die Heimatredaktionen entscheiden, welche Seite des Krieges in der Zeitung welchen Platz findet. So erklärt die SZ ihren Lesern gleich auf Seite zwei die Technik eines F15-Bombers und porträtiert das Leben von Wesley Clark - vom Pfadfinder zum kriegführenden NATO-Oberbefehlshaber Europa. The Guardian macht eine viertel Seite frei für einen Bericht aus Pristina. Ein Kosovo-Albaner schreibt über seine Gefühle in der ersten Bombennacht. Die Intellektuellen in Deutschland brauchen ein paar Tage, um ihre Gefühle zu ordnen und bekommen ihren angestammten Platz, hinten im Feuilleton für kritische Einlassungen. In Großbritannien wird sich Verteidigungsminister Robertson darüber ärgern, daß unter seinem Gastkommentar, im Guardian Seite drei, ein Serbe schreiben darf.
"Wir steigen in der Regel immer erst dann ein, wenn es irgendwo knallt. Davon müssen wir wegkommen" - Klaus Bednarz
Am 14. April meldet ein Bomberpilot einen Volltreffer, der die gesamte Allianz ins Wanken bringen wird. Jamie Shea auf der Pressekonferenz am Tag danach:
"I'd like to comment first the incident that happened yesterday on a convoy travelling between Prizren and Djakowica. Nato deeply regrets the loss of life of any civilians."
Djakowica - mindestens 75 tote Zivilisten - Kosovo-Albaner. Nach einem Personenzug voller Serben der zweite Zwischenfall der in die Zeitungen kommt. Noch drei Tage danach streiten Journalisten mit Brigadegeneral Guiseppe Marani im Pressezentrum über den Unterschied zwischen einem Traktor und einem militärischen Vehikel.
Journalist: " What was it? Was it a civilian vehicle?" General: "Probably, it was a tractor." Journalist: "Probably? But how do you know this? Do you have photos of it?" General: "As I said yesterday: the informations are correlated. Different source, different type of information…"
In Bonn erzählt Verteidigungsminister Scharping von serbischem Artilleriefeuer. In Washington war es ein serbisches Flugzeug. In Brüssel hat man einen zweiten Konvoi ausgemacht. In jeder Hauptstadt kursiert eine andere Wahrheit. Sonst um keine Antwort verlegen, muß Jamie Shea immer wieder passen. Fünf Tage brauchen die Militärs um diesen Treffer auszuwerten. Verwunderung bei den Journalisten, die sonst jeden Tag Cockpitvideos aus der letzten Nacht vorgespielt bekommen. Guardian-Editor Steven Bates nimmt NATO-Sprecher Jamie Shea dennoch in Schutz:
"Ich glaube, Jamie hat hier einen vernünftigen Job gemacht. Er hat versucht, einen Zusammenhang oder Sinn daraus darzustellen. Aber manchmal sah das sehr schwach aus, zumal die Serben sehr schnell die Kameras unten am Konvoi hatten. Das sollte wohl zeigen, daß sie nichts zu verbergen haben, außerdem wollten sie damit wohl selbst einen Propaganda-Coup landen. Ich glaube nicht, daß die Serben sehr besorgt um die Opfer der Attacke waren. Sie haben sie blutend liegen lassen, während sie die Kameraleute herangeschafft haben. Die NATO hätte durchaus gelassener reagieren können, wenn man darauf vorbereitet gewesen wäre, eigene Fehler schneller zuzugeben."
Die NATO trifft sich mit Djakowica selbst an ihrer verwundbarsten Stelle. Die öffentliche Meinung nimmt ‚kollateralen Schaden', die Unterstützung schwindet. In den USA sackt die Zustimmung für den Krieg schlagartig um zehn Punkte, auf unter fünfzig Prozent. Der Höhepunkt der Kommunikationskrise im Hauptquartier.
"Es wird nie soviel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd." - Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck
Vor allem Washington und London bestehen nach Djakowica darauf, die Öffentlichkeitsarbeit der Allianz straffer zu organisieren. Eilig werden PR-Rekruten nach Brüssel einbestellt. Darunter zum Beispiel Clintons Sprecher P.J. Crawley und Tony Blairs Wahlkampfberater Allastair Campbell - zwei der besten Politmanager weltweit. Sie sollen künftig darauf achten, daß nichts falsches gesagt wird. Lee McClenny, vom US-Statedepartment abkommandiert nach Brüssel, gehört zu Jamie Sheas Verstärkung:
"Es hat schon früher Hinweise gegeben, daß das Pressebüro nicht stark genug war, weil es nicht genügend Leute gab, für all die Aufgaben. Aber spätestens nach der Bombardierung des Djakowica Konvois wurde sehr deutlich, daß wir es uns als Allianz nicht leisten konnten, einen weiteren Zwischenfall dieser Art durchzumachen. Wir brauchten einfach mehr Leute, um diese Arbeit zu erledigen, um die Informationen herauszugeben - gute Informationen so schnell wie möglich."
In der verbotenen Zone des Hauptquartiers lassen die Spindoctors eine Mauer durchbrechen. Computer und abhörsichere Telefone werden eilig installiert. Im Pressezentrum spricht man vom "Warroom" - das Kriegszimmer heißt offiziell aber Media-Operation-Center. Journalisten haben keinen Zutritt, selbst Angehörige der NATO-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit haben hier nichts zu suchen, wie z.B. Oberst Frank Sales, Sprecher des Militärrates.
"Also der Presseoffizier des Militärausschusses ist darin überhaupt nicht eingebunden worden. Es ist sehr wohl eingebunden worden der Presseoffizier des Befehlshabers der Operation, nämlich Clark. Clark hatte einen amerikanischen Oberst in diesem Media Operation Center, der sichergestellt hat, daß eine unmittelbare Verbindung zu der militärischen Presseabteilung, die auch ungefähr 30, 40 Leute umfaßt, bestand."
Nicht eingebunden auch die zivilen Verbindungsbüros der Mitgliedsstaaten. Wollen die Liaison-Officer im Pressezentrum noch erfahren, was in diesem Krieg läuft, um Journalistenanfragen aus der Heimat zu beantworten, müssen sie 15.00 Uhr CNN einschalten. Die Öffentlichkeitsarbeit der NATO ist nun eindeutig angloamerikanisch dominiert. Vor allem die militärischen Quellen zwischen Airbase Aviano, Pentagon Washington und Supreme Headquarter of Allied Power bei Brüssel setzen auf die lange Tradition von Geheimhaltung, Halbwahrheit und Propaganda. Erst ein halbes Jahr später wird man ihnen nachweisen, daß sie z.B. ein Cockpitvideo manipulierten, das den Angriff eines Piloten auf eine Brücke zeigt. Mit mehrfacher Geschwindigkeit abgespielt sieht es so aus, als wäre wirklich keine Zeit mehr gewesen, den fahrenden Zug schnell genug zu erkennen. Die Militärs filtern Informationen offenbar schon bevor sie auf den Tisch von Jamie Shea kommen.
"Es gibt einen grundlegenden Irrtum unter Journalisten! Sie glauben, daß in einem Konflikt die Leute hier drin alle Fakten kennen, einen kompletten Überblick über die Situation hätten. Und wenn sie dann nichts sagen oder nur über einen Teil informieren dann ist das aus böser Absicht. Falsch! Eine der Lektionen, die wir gelernt haben ist: Die Wahrheit ist wie ein Puzzlespiel aus tausend Teilen. An manchen Tagen kennt man 650, an anderen nur 65. Das ist kein böser Wille. Manche Situationen sind sehr verwirrend, besonders in einer Luftaktion wie dieser. Da ist niemand vor Ort, den man wie die Polizei sofort zur Unglücksstelle schicken kann um in kürzester Zeit zu wissen was wirklich passiert ist. Von Zeit zu Zeit gab es auch Pannen, Blockaden im System. Mitunter bekamen wir Informationen - wie über den Zwischenfall mit dem Djakowica-Konvoi - erst fünf Tage später. Mir ist klar, daß das viel zu spät ist. Aber am Ende ist es in jedem Konflikt so, daß es manchmal fünf Jahre dauert, ehe alle Fakten bekannt werden. So wissen wir doch bis heute nicht, wie viele Menschen die Serben im Kosovo umgebracht haben."
Nach einem Monat Krieg im Kosovo erlahmt das Medieninteresse. Erstmals bleiben im Pressezentrum einige Stühle frei. Einzelne Ereignisse wie der Volltreffer auf falsche Koordinaten und damit die Chinesische Botschaft in Belgrad markieren die Ausnahme. Die NATO bemüht sich, andere Themen in den Vordergrund zu stellen. Die täglichen Pressekonferenzen beginnen jetzt häufiger mit Flüchtlingszahlen als mit Daten zu den Angriffswellen. Das Zeitspiel des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic wird zur nächsten großen Falle für die NATO-Militäroperation. Zu lang, zu teuer, aus der Luft zu uneffektiv - der Luftkrieg der NATO wird immer mehr in Zweifel gezogen. Und Jamie Shea muß auch im Mai und Juni den Journalisten immer wieder den Krieg erklären:
"It's up to President Milosevic to keep the commitments that he has made."
Täglich wird Slobodan Milosevic jetzt direkt angesprochen. Schließlich schaut der 15.00 Uhr auch CNN. Lee McClenny zu den wichtigsten Botschaften der NATO-PR für Belgrad:
"Die große Botschaft, die wir in Richtung Belgrad geschickt haben, war die selbe wie an die Mitglieder unserer Allianz. Es war die wichtigste Botschaft: Die Allianz ist stabil! Es gab keine Spaltung, keine Zerwürfnisse, kein Nachgeben. Niemand hat ernsthaft daran gedacht auszusteigen oder aufzuhören. Das war die Schlüsselbotschaft, die wir ihm zu schicken hatten. Letztlich brauchte er 78 Tage, die Botschaft zu kapieren. Es wäre zuviel zu behaupten, daß unsere Tag für Tag wiederholte Botschaft der Stärke, den Ausschlag gegeben hat. Es war ein Teil, ob ein kleiner oder großer, weiß ich wirklich nicht. Das kann nur Milosevic selbst sagen. Ein anderer Teil war, daß um den 70sten Tag herum klar wurde: Die Allianz steht noch stark genug zusammen, um Bodentruppen in Erwägung zu ziehen und im Kosovo am Boden einzumarschieren."
Der mögliche Einsatz von Bodentruppen. Das letzte Druckmittel der Allianz. Jamie Sheas nächste Herausforderung: Wie zieht man Bodentruppen so in Erwägung, daß Belgrad es glaubt aber Athen, Madrid, Berlin und Rom nicht unruhig werden? Ende Mai verstärkt die NATO die KFOR-Friedenstruppen in den Nachbarregionen auf ein durchaus auch kriegerisch abschreckendes Potential. Täglich 15:00 Uhr heißt es jetzt: die Luftangriffe werden weiter verstärkt.
"Public opinion wins war - öffentliche Meinung entscheidet den Krieg." - General Dwight David Eisenhower
Die Bilanz der Medienschlacht: Jamie Shea - NATO-Spokesman:
"Ja, die Presse hat eine entscheidende Verantwortung, weil die Leute ihre Informationen über Ereignisse von der Presse bekommen. Es ist Tatsache, daß wir Euch Journalisten während der Kosovo-Krise gebraucht haben, denn ohne Euch hätten wir weder unsere Botschaft an die Öffentlichkeit bringen können, noch hätten wir diesen hohen Grad der Unterstützung bekommen können, wie wir ihn hatten. Ich weiß, daß wir eine Presse brauchten, die nicht unbedingt absolute Sympathie zur NATO zeigen mußte, aber wenigstens bereit war, die NATO-Botschaft zu übermitteln. Mein Ziel war sicherzustellen, daß in jedem Artikel die NATO-Botschaft 'rüberkommen würde."
Steven Bates - The Guardian:
"Propaganda ist schwer zu kontrollieren, gerade im Krieg. Wie wir im Kosovo-Konflikt erlebt haben, gab es eine Menge Fragen in der NATO-Kampagne. Bei manchen Zwischenfällen stand in Frage, ob der Preis nicht viel höher war, als das Ergebnis rechtfertigt. Jeder Krieg wir ein Propaganda-Krieg sein, weil soviel auf dem Spiel steht."
Michael Oldog - Süddeutsche Zeitung:
"Zumindest muss man ja die kritische Frage stellen, das sah man ja auch beim Rückzug der serbischen Truppen, daß offensichtlich ein erheblicher Teil des serbischen Militärs intakt war und keineswegs irgendwie tödlich getroffen war. Insofern kann man annehmen, daß, oder man muß es zumindest in Erwägung ziehen, daß die Gründe für Milosevic vielleicht noch andere waren, als allein auf den militärischen Druck zu reagieren. Und ich glaube, hinter den Kulissen gab es schon sehr handfeste Auseinandersetzungen darüber. Und jemand hat mir damals auch erzählt, wenn Milosevic es weiter getrieben hätte, dann wäre die NATO in eine sehr, sehr schwierige Situation gekommen. Dann hätten Bodentruppen eingesetzt werden müssen und dann wäre es überhaupt nicht klar gewesen, wer da letztendlich der militärische Sieger gewesen wäre."
Lee McClenny - NATO-Press-Officer:
"Nun, die große Lektion, die wirklich große Lektion ist, daß die NATO als Organisation im Krieg funktioniert. Das ist eine gute Lektion. Viele gute Lektionen haben wir im Kosovo gelernt. Zu den negativen Dingen, die wir gelernt haben, gehört: Die Strukturen ... einzelne Strukturen innerhalb der NATO waren nicht auf den Krieg vorbereitet, wie sie vorbereitet hätten sein müssen. Das Pressebüro gehört dazu. Wir machen jetzt auch einige Übungen. Eine der Lektionen, die wir von der militärischen Seite des Hauses gelernt haben, ist, daß man seine Kriegstauglichkeit von Zeit zu Zeit testen muß. Das ist etwas, was die zivile Hälfte des Hauses niemals in organisierter Weise getan hat."
"Ladies and Gentlemen, I can announce that President Milosevic has complied to our five conditions. … I instructed General Clark to suspend NATO's air operation against Yugoslavia."
Noch am selben Tag packen CNN, BBC und andere einen großen Teil ihrer Übertragungstechnik in Brüssel zusammen. Ein anderes Phänomen der Kriegskommunikation zum Kosovo endet abrupt: Der untersetzte, oft unpassende Krawatten tragende, charmante Engländer, NATO-Sprecher Jamie Shea ist nun nicht mehr täglich im Fernsehen. In der Folgezeit wird er keine hundert Fan-Emails - und Liebesbriefe am Tag mehr bekommen. Der Medienstar dieses Krieges war kein furchtloser Reporter mitten im Zielgebiet sondern ein PR-Gentleman im NATO Hauptquartier.
"Ich halte es für unvorstellbar, daß jemand mit einem so gewaltigen Bierbauch und grauem Haar ein geborener Medienstar sein soll. Jetzt bin ich nicht länger im Fernsehen zu sehen, also bekomme ich auch keine von diesen Liebesbriefen mehr. Ich bin sicher, daß irgendein Popsänger oder Fußballspieler sie an meiner Stelle bekommt. Ich glaube, daß ist ein künstliches Phänomen, daß in Wirklichkeit nur vorübergehend ist. Also war ich ein Medienstar im Sinne von Andy Warhol: für 15 Minuten."