Dass das Problem der Arbeitslosigkeit verschwiegen würde, kann man eigentlich nicht sagen. In regelmäßigen Abständen taucht ihre Statistik in den Nachrichten auf, ebenso regelmäßig ist sie Gegenstand von Reportagen. Meist haben sie allerdings einen Schwachpunkt: den Schematismus ihrer Sichtweise. Die Arbeitslosen, die zu Wort kommen, berichten Erwartbares, sie berichten über die Erodierung ihres Selbstbewusstseins und die Entleerung ihres Alltags. Originell wirken derlei Berichte nicht, bestenfalls hinterlassen sie den Eindruck des gut Gemeinten. Dies wiederum dürfte auch ein Grund sein, warum die Gegenwartsliteratur wenig Bereitschaft erkennen lässt, sich mit einem Thema zu befassen, das von vorne herein so grau wirkt wie die Menschen, die das Durchschnittsdrama erfuhren, aus ihrem Job entlassen worden zu sein und keinen neuen zu finden.
Auf welche Weise sich die junge österreichische Schriftstellerin Anna Weidenholzer auf den Fall einer arbeitslosen Mittvierzigerin literarisch einlässt, ist vor diesem Hintergrund geradezu sensationell. Schon der Titel ihres Romans, der für den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, macht klar, dass wir es hier mit einem erfrischend eigenwilligen Blick, mit einem höchst originellen Zugriff zu tun haben.
Der Titel lautet: "Der Winter tut den Fischen gut". Das klingt nicht nach soziologischer Aufarbeitung, sondern nach dadaistischem Unsinn mit Hang zum Absurden. Und tatsächlich könnte die Romanheldin namens Maria Beerenburger mitsamt ihren Spleens, Marotten, ihren verschrobenen Gedankengängen, kuriosen Alltagsgewohnheiten und Alltagszwängen der Fantasie Samuel Becketts entstiegen sein. Der weibliche Sonderling lebt aber in einer österreichischen Kleinstadt. 19 Jahre lang arbeitete Maria als Textilkauffrau in einer Boutique, bis zu dem Tag, an dem sie vom Juniorchef, der im geerbten Betrieb alles anders und neu machen will, mit den zynischen Worten entlassen wird: "Freuen Sie sich, es ist nicht selbstverständlich, in diesem Alter noch die Möglichkeit zu bekommen, sein Leben neu zu gestalten. Sehen Sie es positiv, Sie haben jetzt die Freiheit, von vorn zu beginnen".
Anna Weidenholzer hält sich nicht dabei auf, den realen Irrsinn der Arbeitsmarktbürokratie zu kommentieren oder zu entlarven. Sie überbietet ihn ganz einfach durch literarische Strategien des Paradoxen. Eine, die für die Erzählkonstruktion entscheidende Strategie besteht darin, dass sie in 54 kurzen und teils ganz kurzen Kapiteln das Leben ihrer Protagonistin von hinten nach vorn, gleichsam gegen den Strom der Zeit erzählt. Der Leser lernt somit Maria als arbeitslose, verwitwete Frau jenseits der Lebensmitte kennen und erfährt im biografischen Rückwärtsgang von ihren verpassten Chancen, ihren Liebesdramen und gesellschaftlichen Widerständen, die sich ihr als junger Frau und als Mädchen in den Weg stellten. Er erfährt auch von der Kraft, die sich eine in sogenannten kleinen Verhältnissen lebende Frau bewahrt, zumindest im Eigensinn ihrer Marotten über sich hinaus zu wachsen. Maria hat die Größe eines verschrobenen Charakters, wie er in der Literaturgeschichte bislang eher männlichen Figuren vorbehalten war.
Die Arbeitslose, die Zeit im Überfluss hat, driftet in eine versponnene Eigenwelt und eine skurrile Weltwahrnehmung. Tagsüber sitzt sie meist auf einer Bank am Platz vor der Kirche, beobachtet das Treiben ihrer beschäftigten Mitmenschen und macht sich ihre, literarisch höchst originellen Gedanken: über Walter, den Elvis-Imitator, über Eduard, dem sie ein Schnittmuster auf die Haut malt, und über Otto. Dies ist der Name, des Haustiers, das sich Maria zulegt, eine Kaulquappe, die zum Frosch heranreifen soll, um sich vielleicht einmal zum Prinz wach küssen zu lassen. Dazu kommt es nicht. Denn Maria quartiert die Kaulquappe, in der Absicht, sie gut zu verköstigen, im Gemüsefach ihres Kühlschranks ein, wo Otto den langsamen Frosttod erleidet.
Mit solchen tragikkomischen Episoden und mit der Originalität ihrer Erzählkonstruktion ist der österreichischen Autorin ein kleiner Quantensprung in der Gegenwartsliteratur gelungen: Die Belebung eines vor sich hindämmernden, gesellschaftlich relevanten Themas.
Anna Weidenholzer: "Der Winter tut den Fischen gut", Roman, Residenz Verlag 2012, 237 Seiten. 21,50 Euro.
Auf welche Weise sich die junge österreichische Schriftstellerin Anna Weidenholzer auf den Fall einer arbeitslosen Mittvierzigerin literarisch einlässt, ist vor diesem Hintergrund geradezu sensationell. Schon der Titel ihres Romans, der für den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, macht klar, dass wir es hier mit einem erfrischend eigenwilligen Blick, mit einem höchst originellen Zugriff zu tun haben.
Der Titel lautet: "Der Winter tut den Fischen gut". Das klingt nicht nach soziologischer Aufarbeitung, sondern nach dadaistischem Unsinn mit Hang zum Absurden. Und tatsächlich könnte die Romanheldin namens Maria Beerenburger mitsamt ihren Spleens, Marotten, ihren verschrobenen Gedankengängen, kuriosen Alltagsgewohnheiten und Alltagszwängen der Fantasie Samuel Becketts entstiegen sein. Der weibliche Sonderling lebt aber in einer österreichischen Kleinstadt. 19 Jahre lang arbeitete Maria als Textilkauffrau in einer Boutique, bis zu dem Tag, an dem sie vom Juniorchef, der im geerbten Betrieb alles anders und neu machen will, mit den zynischen Worten entlassen wird: "Freuen Sie sich, es ist nicht selbstverständlich, in diesem Alter noch die Möglichkeit zu bekommen, sein Leben neu zu gestalten. Sehen Sie es positiv, Sie haben jetzt die Freiheit, von vorn zu beginnen".
Anna Weidenholzer hält sich nicht dabei auf, den realen Irrsinn der Arbeitsmarktbürokratie zu kommentieren oder zu entlarven. Sie überbietet ihn ganz einfach durch literarische Strategien des Paradoxen. Eine, die für die Erzählkonstruktion entscheidende Strategie besteht darin, dass sie in 54 kurzen und teils ganz kurzen Kapiteln das Leben ihrer Protagonistin von hinten nach vorn, gleichsam gegen den Strom der Zeit erzählt. Der Leser lernt somit Maria als arbeitslose, verwitwete Frau jenseits der Lebensmitte kennen und erfährt im biografischen Rückwärtsgang von ihren verpassten Chancen, ihren Liebesdramen und gesellschaftlichen Widerständen, die sich ihr als junger Frau und als Mädchen in den Weg stellten. Er erfährt auch von der Kraft, die sich eine in sogenannten kleinen Verhältnissen lebende Frau bewahrt, zumindest im Eigensinn ihrer Marotten über sich hinaus zu wachsen. Maria hat die Größe eines verschrobenen Charakters, wie er in der Literaturgeschichte bislang eher männlichen Figuren vorbehalten war.
Die Arbeitslose, die Zeit im Überfluss hat, driftet in eine versponnene Eigenwelt und eine skurrile Weltwahrnehmung. Tagsüber sitzt sie meist auf einer Bank am Platz vor der Kirche, beobachtet das Treiben ihrer beschäftigten Mitmenschen und macht sich ihre, literarisch höchst originellen Gedanken: über Walter, den Elvis-Imitator, über Eduard, dem sie ein Schnittmuster auf die Haut malt, und über Otto. Dies ist der Name, des Haustiers, das sich Maria zulegt, eine Kaulquappe, die zum Frosch heranreifen soll, um sich vielleicht einmal zum Prinz wach küssen zu lassen. Dazu kommt es nicht. Denn Maria quartiert die Kaulquappe, in der Absicht, sie gut zu verköstigen, im Gemüsefach ihres Kühlschranks ein, wo Otto den langsamen Frosttod erleidet.
Mit solchen tragikkomischen Episoden und mit der Originalität ihrer Erzählkonstruktion ist der österreichischen Autorin ein kleiner Quantensprung in der Gegenwartsliteratur gelungen: Die Belebung eines vor sich hindämmernden, gesellschaftlich relevanten Themas.
Anna Weidenholzer: "Der Winter tut den Fischen gut", Roman, Residenz Verlag 2012, 237 Seiten. 21,50 Euro.