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Ein Kontinent brodelt

In Afrika ist vieles im Wandel: Nicht nur politisch, sondern auch auf dem Wissenschaftssektor. In Berlin findet in dieser Woche eine Dahlem-Konferenz zu Afrika statt. Hier treffen sich auf Einladung der FU Berlin Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen zum Erfahrungsaustausch.

Von Dieter Wulf | 24.03.2011
    "So eine wissenschaftliche Tagung wie diese ist zwei Jahre vorher vorbereitet, entsprechend sind hier 16 Forschungspapiere vorgelegt worden, die diskutiert worden sind und keines geht natürlich direkt darauf ein","

    erklärt Richard Rottenburg, Ethnologieprofessor an der Universität Halle und Mitorganisator der Konferenz. Diskussionen über Flugverbotszonen oder die Rechtmäßigkeit von Interventionen, die ansonsten momentan überall die Schlagzeilen bestimmen, suchte man hier vergeblich. Während Nordafrika sich momentan völlig neu erfindet, geht es hier um eine andere Sicht auf den afrikanischen Kontinent. Denn nicht nur momentan, generell bestehe doch das Problem, dass die Welt Afrika seit Jahrzehnten fast nur als Katastrophenkontinent zur Kenntnis nimmt, meint Sandra Green, Professorin für afrikanische Geschichte an der amerikanischen Cornell Universität.

    ""Das Image von Afrika ist oft geprägt von Kriegen, Dürre, Korruption, eine ganze Latte negativer Merkmale, obwohl es natürlich in Afrika darüber hinaus sehr viel mehr gibt. Und die Hypothese der wir hier nachgehen ist, dass gerade weil es marginal ist, es auch ein Ort ist mit mehr Flexibilität und mehr Offenheit für Experimente. Ein Ort, wo man bestimmte Dinge, bestimmte Ideen und Annahmen ausprobieren kann, die anderswo so nicht möglich wären."

    Vorurteile und Stereotypen über den so genannten "schwarzen Kontinent” halten sich tatsächlich seit Jahrhunderten beständig. Schon der Philosoph Hegel schrieb über Afrika, dass der Kontinent weder Geschichte, Religion, Rationalität und erst recht keine staatlichen Strukturen kenne. Überzeugungen, die sicher mancher auch heute noch teilen würde. Im besten Fall denkt man an Afrika als exotischen Kontinent, aber sicher nicht als Wissenschaftsstandort, betont Sandra Green.

    "Nur selten sieht man Bilder afrikanischer Städte, von afrikanischen Laboratorien, wo Afrikaner Experimente durchführen. Selten sieht man Denkfabriken oder akademische Zentren in denen Wissen produziert wird."

    Natürlich liegt Afrika heute in fast allen Bereichen am Rande wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Entwicklungen. Aber vielleicht sei gerade das ja momentan so etwas wie ein Standortvorteil in Zeiten der Globalisierung. Das genau wolle man untersuchen, meint Professor Rottenburg. Besonders im Bereich medizinischer und pharmakologischer Forschung, würden immer mehr Testreihen in afrikanischen Ländern durchgeführt, so die Beobachtung des Ethnologen. Denn nach dem Ende des Kalten Krieges seien viele afrikanische Staaten in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Die von der Weltbank und dem internationalen Währungsfond diktierte Lösung lautete fast immer Privatisierung und Kürzung staatlicher Leistungen.

    Die Durchsetzung so genannter neoliberaler Regierungsformen hat zu einer weitgehend Auflösung kann man schon sagen von staatlichen Gesundheitssystemen geführt, die jetzt eigentlich ersetzt werden, durch Netzwerke von Organisationen die Forschung betreiben und als Nebenprodukt Gesundheitsdienstleistungen anbieten, und insofern findet man dann auch leichter Probanden.

    In Ländern mit wenig staatlichen Strukturen und einem völlig überforderten Gesundheitssystem ist es für internationale Pharmafirmen aber auch Wissenschaftler aus der so genannten ersten Welt, dann natürlich viel einfacher Patienten zu finden. Praktiken die bei uns so nicht möglich wären, meint der Kanadische Arzt und Anthropologe Vinh Kim Nguyen.

    "Klinische Versuche basieren, wenn sie ethisch vertretbar sein sollen, auf der Vorstellung, dass die Versuchspersonen freiwillig teilnehmen. Man kann Leute nicht dazu zwingen an klinischen Studien teilzunehmen. Wir alle denken, das wäre unethisch."

    Die Praxis aber sehe in vielen Ländern der Dritten Welt und gerade in Afrika anders aus, meint Doktor Nguyen, der gerade ein Buch darüber veröffentlich hat, wie die Aids-Epidemie die Gesundheitssysteme Westafrikas drastisch verändert hat.

    "In manchen Teilen der Welt, wo es kein funktionierendes Gesundheitssystem gibt, kann die Teilnahme an klinischen Studien die einzige Möglichkeit sein, überhaupt medizinisch versorgt zu werden. Da gibt es also einen Zusammenhang, der nichts mit den Leuten zu tun hat, die diese Experimente oder die Studien durchführen. Es hat einfach mit den Umständen zu tun, in denen die Leute leben."

    Natürlich sei die Situation nicht überall in Afrika gleich, meint Vinh Kim Nguyen. Aber da, wo die Armut besonders groß sei, würden auch Ethikkommissionen nicht viel ändern.

    "Natürlich gibt es Ethikkommissionen und bestimmte Standards, aber unter Bedingungen großer Armut sind kantianische Vorstellungen von freier und ungezwungener Teilnahme an klinischen Studien schwer vorstellbar."

    Aber in Afrika gebe es momentan auch erstaunliche politische und wirtschaftliche Entwicklungen. Der Wandel zu mehr oder weniger politisch stabilen Demokratien im südlicheren Afrika, habe sich schon seit Jahren weitestgehend durchgesetzt. Und auch wirtschaftlich wird Afrika auf Grund seiner Bodenschätze und billiger Arbeitskräfte immer attraktiver. Besonders indische, brasilianische und ganz besonders chinesische Firmen investieren seit Jahren massiv überall in Afrika betont Professor Rottenburg.

    "Wenn man also ein Flugzeug besteigt und zum Beispiel von Johannesburg nach Nairobi oder umgekehrt zu fliegen, dann wird die Anzahl in der Businessclass von Geschäftsleuten aus diesen drei Ländern einen erheblichen Teil der Plätze einnehmen, was vor 15 Jahren nun überhaupt nicht der Fall war. Es zeichnet sich eine Dynamik an wachsenden Ökonomien auf der südlichen Hemisphäre ab, die irgendwo zwischen Brasilien, Indien und China sich erstrecken und die untereinander bauen Geschäftsbeziehungen und Dynamiken auf, von denen Europa komplett abgehängt ist."

    Während Afrika in den letzten zwanzig Jahren wirtschaftlich fast ausschließlich von den westlichen Industriestaaten abhängig war, ändert sich das jetzt mit den massiven Investitionen der Chinesen, glaubt Professorin Green.

    "Das ist möglicherweise etwas, das die gesamte Situation verändert und den afrikanischen Ländern erlaubt zu verhandeln und zu feilschen."

    Weitere Informationen zur Dahlem-Konferenz finden Sie unter
    www.fu-berlin.de