Michael Köhler: In den letzten Jahren waren es der Historiker Saul Friedländer, der Soziologe Wolf Lepenies oder der Schriftsteller Orhan Pamuk. Die Verblüffung war daher nicht gering, als wir heute Vormittag erfahren haben, der 63-jährige deutsche Maler Anselm Kiefer, der in Paris lebt und für großformatige Materialbilder zur deutschen Geschichte bekannt ist, erhält den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, und schließlich nicht den Friedenspreis des deutschen Kunsthandels. Fantasielose Frage an Gottfried Honnefelder, Verleger und Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels: Warum?
Gottfried Honnefelder: Das ist eine Contradictio in adjecto. Sie sagen, fantasielose Frage und stellen sie doch, also muss ich Ihnen mit Fantasie antworten. Sie kennen erstens nicht die Satzung für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, wo steht, dass hier herausragende Leistungen auf dem Gebiet in der Literatur, Wissenschaft und Kunst herausgestellt werden.
Köhler: War das immer schon so, oder ist das seit erst seit Kurzem?
Honnfelder: Das haben die Gründungsväter 1950 schon festgelegt. Nur hat man bisher nur einen Musiker und noch keinen bildenden Künstler dazu erwähnt. Da haben Sie natürlich recht. Das Zweite, aber Wichtigere ist, dass ich erstaunt bin, wenn Sie sagen, Sie seien so überrascht. Denn was liegt im Augenblick, wo unsere Sprache, die, wie wir wissen, ja eine sehr diffizile Größe ist, sich im digitalen Zusammenhang ja schon auflöst in verschiedenste Elemente, in Bilder, in kleine Fenster. Sie sprechen ja auch nur noch von Formaten. Ja, und da soll die bildende Kunst plötzlich so weit entfernt sein? Ganz das Gegenteil ist der Fall, die kommt prima näher an die Literatur heran. Und Anselm Kiefer ist der Inbegriff eines Künstlers, für den Literatur, Sprache, Schrift geradezu das Material ist, an dem er sich abarbeitet.
Köhler: Wenn ich fies wäre, würde ich sagen, was haben Sie denn von Anselm Kiefer mal gelesen.
Honnfelder: Ja, sehen Sie, Sie sind nicht fies, deshalb fragen Sie das nicht. Aber Ihre Frage, wenn ich da mal sagen darf, die ist voller Fantasie. Nein, ernsthaft, Herr Köhler, Anselm Kiefer können Sie lesen, wenn Sie sich vor das Bild stellen, dann spüren Sie, dass der Künstler seine Bilder erarbeitet hat, weil er den Betrachter als Leser haben will.
Köhler: Aber dann müssen wir uns doch demnächst bei Ihnen auf Cy Twombly und Jenny Holzer und jede Menge aus dem Kunstbetrieb einstellen, oder?
Honnfelder: Ja, weshalb denn nicht? Das muss ja nicht heißen, dass Sie sich auf jede Menge einstellen müssen. Aber dass es Künstler gibt, die ganz nah eben auch an Schrift sind. Ich meine, gehen Sie doch mal in den Hamburger Bahnhof und schauen Sie sich die bleiernen Bücher an, wie groß sie sind. Oder schauen Sie sich die Buchstaben an, die plötzlich verwoben sind in dieses kiefersche Material. Der Mann arbeitet sich an Geschichte, an Verlusten, an Ruinen, an Verlorenem, arbeitet der sich ab, mit Sprache und mit Bild. Das sind für ihn nur zwei Ausgangsarten derselben Sache.
Köhler: Gut, gerne hingenommen, dass es ein großer Künstler ist. Ist die Botschaft vielleicht ein bisschen eine andere? Was sagt uns der Börsenverein des Deutschen Buchhandels dieses Jahr? Kehrt er sich ab von den Autoren? Haben wir keine Großen mehr?
Honnfelder: Ich muss sagen, Sie sind nicht für Überraschungen gut, dass Sie gesagt hätten, mein Gott, dieser Börsenverein. Endlich denkt der auch mal anders und nicht nur eng in seinen eigenen Büchern. Dann hätte mich das ja nicht erstaunt. Nein, natürlich kehrt der Börsenverein sich nicht um, sondern er erweitert das Spektrum dessen, was da ist.
Köhler: Es ist doch eine kleine Revolution, wenigstens ein Stilwechsel. Ist der so einvernehmlich hingenommen worden, oder musste man darum kämpfen?
Honnfelder: Aus den Sitzungen des Stiftungsrates wird ja, wie Sie wissen, nichts erzählt, das ist alles sehr vertraulich. Aber ich kann Ihnen zumindest etwas mitteilen.
Köhler: Unter uns.
Honnfelder: Unter uns, wir reden hier im kleinen Kreis. Über die Frage, dass ein bildender Künstler auch einmal einen Friedenspreis erhalten sollte, wurde schon seit Jahren diskutiert. Das ist für den Stiftungsrat überhaupt nichts Neues, und deshalb ist auch diese Entscheidung in großer Einmütigkeit gefällt worden. Sie werden einen Anselm Kiefer erleben in der Paulskirche, er hat mir das selbst noch am vergangenen Sonntag gesagt, der sozusagen mit Sprache umgeht und der seine Freude an diesen Dingen hat. Da werden Sie erstaunt sein.
Köhler: Dass Anselm Kiefer ein engagierter Mann ist in seiner Kunst, jemand der von Joseph Beuys herkommt, von sozialen Interventionen herkommt, dass er Mythen verarbeitet, Gedichte verarbeitet, Erzählungen verarbeitet, ist unbenommen. Aber die Verwunderung unsererseits kann Sie doch auch nicht verwundern, oder?
Honnfelder: Nein, das ist schwer. Ich kann die Verwunderung nachvollziehen, weil jeder natürlich zunächst an einen Schriftsteller oder einen Wissenschaftler denkt. Da ist ja schon richtig. Es ist nicht so weit weg, wie wir glauben.
Köhler: Müssen wir uns künftig mehr darauf einstellen?
Honnfelder: Ja, weil mehr und mehr die Ausdrucksmittel unserer Sprache gerinnen zum Bild. Schauen Sie in die Zeitungen und Zeitschriften. Schauen Sie in das Fernsehen. Schauen Sie in den digitalen Bereich unserer Computer und unseres Netzes. Überall lösen sich Buchstaben ja auch auf in Bildern und umgekehrt werden sie wieder zusammengesetzt. Ich glaube, wir sind in einer Informationsentwicklung, in der Kunst, und ich sage mal, Schrift jetzt, viel näher zusammenrücken, als es früher war.
Köhler: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Anselm Kiefer. Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und Vorsitzender des Stiftungsrates war das.
Gottfried Honnefelder: Das ist eine Contradictio in adjecto. Sie sagen, fantasielose Frage und stellen sie doch, also muss ich Ihnen mit Fantasie antworten. Sie kennen erstens nicht die Satzung für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, wo steht, dass hier herausragende Leistungen auf dem Gebiet in der Literatur, Wissenschaft und Kunst herausgestellt werden.
Köhler: War das immer schon so, oder ist das seit erst seit Kurzem?
Honnfelder: Das haben die Gründungsväter 1950 schon festgelegt. Nur hat man bisher nur einen Musiker und noch keinen bildenden Künstler dazu erwähnt. Da haben Sie natürlich recht. Das Zweite, aber Wichtigere ist, dass ich erstaunt bin, wenn Sie sagen, Sie seien so überrascht. Denn was liegt im Augenblick, wo unsere Sprache, die, wie wir wissen, ja eine sehr diffizile Größe ist, sich im digitalen Zusammenhang ja schon auflöst in verschiedenste Elemente, in Bilder, in kleine Fenster. Sie sprechen ja auch nur noch von Formaten. Ja, und da soll die bildende Kunst plötzlich so weit entfernt sein? Ganz das Gegenteil ist der Fall, die kommt prima näher an die Literatur heran. Und Anselm Kiefer ist der Inbegriff eines Künstlers, für den Literatur, Sprache, Schrift geradezu das Material ist, an dem er sich abarbeitet.
Köhler: Wenn ich fies wäre, würde ich sagen, was haben Sie denn von Anselm Kiefer mal gelesen.
Honnfelder: Ja, sehen Sie, Sie sind nicht fies, deshalb fragen Sie das nicht. Aber Ihre Frage, wenn ich da mal sagen darf, die ist voller Fantasie. Nein, ernsthaft, Herr Köhler, Anselm Kiefer können Sie lesen, wenn Sie sich vor das Bild stellen, dann spüren Sie, dass der Künstler seine Bilder erarbeitet hat, weil er den Betrachter als Leser haben will.
Köhler: Aber dann müssen wir uns doch demnächst bei Ihnen auf Cy Twombly und Jenny Holzer und jede Menge aus dem Kunstbetrieb einstellen, oder?
Honnfelder: Ja, weshalb denn nicht? Das muss ja nicht heißen, dass Sie sich auf jede Menge einstellen müssen. Aber dass es Künstler gibt, die ganz nah eben auch an Schrift sind. Ich meine, gehen Sie doch mal in den Hamburger Bahnhof und schauen Sie sich die bleiernen Bücher an, wie groß sie sind. Oder schauen Sie sich die Buchstaben an, die plötzlich verwoben sind in dieses kiefersche Material. Der Mann arbeitet sich an Geschichte, an Verlusten, an Ruinen, an Verlorenem, arbeitet der sich ab, mit Sprache und mit Bild. Das sind für ihn nur zwei Ausgangsarten derselben Sache.
Köhler: Gut, gerne hingenommen, dass es ein großer Künstler ist. Ist die Botschaft vielleicht ein bisschen eine andere? Was sagt uns der Börsenverein des Deutschen Buchhandels dieses Jahr? Kehrt er sich ab von den Autoren? Haben wir keine Großen mehr?
Honnfelder: Ich muss sagen, Sie sind nicht für Überraschungen gut, dass Sie gesagt hätten, mein Gott, dieser Börsenverein. Endlich denkt der auch mal anders und nicht nur eng in seinen eigenen Büchern. Dann hätte mich das ja nicht erstaunt. Nein, natürlich kehrt der Börsenverein sich nicht um, sondern er erweitert das Spektrum dessen, was da ist.
Köhler: Es ist doch eine kleine Revolution, wenigstens ein Stilwechsel. Ist der so einvernehmlich hingenommen worden, oder musste man darum kämpfen?
Honnfelder: Aus den Sitzungen des Stiftungsrates wird ja, wie Sie wissen, nichts erzählt, das ist alles sehr vertraulich. Aber ich kann Ihnen zumindest etwas mitteilen.
Köhler: Unter uns.
Honnfelder: Unter uns, wir reden hier im kleinen Kreis. Über die Frage, dass ein bildender Künstler auch einmal einen Friedenspreis erhalten sollte, wurde schon seit Jahren diskutiert. Das ist für den Stiftungsrat überhaupt nichts Neues, und deshalb ist auch diese Entscheidung in großer Einmütigkeit gefällt worden. Sie werden einen Anselm Kiefer erleben in der Paulskirche, er hat mir das selbst noch am vergangenen Sonntag gesagt, der sozusagen mit Sprache umgeht und der seine Freude an diesen Dingen hat. Da werden Sie erstaunt sein.
Köhler: Dass Anselm Kiefer ein engagierter Mann ist in seiner Kunst, jemand der von Joseph Beuys herkommt, von sozialen Interventionen herkommt, dass er Mythen verarbeitet, Gedichte verarbeitet, Erzählungen verarbeitet, ist unbenommen. Aber die Verwunderung unsererseits kann Sie doch auch nicht verwundern, oder?
Honnfelder: Nein, das ist schwer. Ich kann die Verwunderung nachvollziehen, weil jeder natürlich zunächst an einen Schriftsteller oder einen Wissenschaftler denkt. Da ist ja schon richtig. Es ist nicht so weit weg, wie wir glauben.
Köhler: Müssen wir uns künftig mehr darauf einstellen?
Honnfelder: Ja, weil mehr und mehr die Ausdrucksmittel unserer Sprache gerinnen zum Bild. Schauen Sie in die Zeitungen und Zeitschriften. Schauen Sie in das Fernsehen. Schauen Sie in den digitalen Bereich unserer Computer und unseres Netzes. Überall lösen sich Buchstaben ja auch auf in Bildern und umgekehrt werden sie wieder zusammengesetzt. Ich glaube, wir sind in einer Informationsentwicklung, in der Kunst, und ich sage mal, Schrift jetzt, viel näher zusammenrücken, als es früher war.
Köhler: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Anselm Kiefer. Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und Vorsitzender des Stiftungsrates war das.