Jürgen Ritte: In die Wiege gelegt vielleicht. Er hat ja sehr häufig von seinen Eltern erzählt und von seinen Großeltern erzählt, und das ist eine unglaublich bunte Familiengeschichte, die da zustande kommt. Und wenn man sich jetzt nur auf den Vater beschränken will, das war ein Botschafter des Deutschen Reiches in London, dort ist Ustinov ja zur Welt gekommen, und er galt dort offenbar als die Partyattraktion schlechthin. Also, dieses komödiantische Talent, das ist offenbar von seinem Vater gekommen und insofern kann man von der Wiege reden, ja.
Michael Köhler: Ustinov wurde am Anfang der 50er Jahre durch seine Charakterrollen in monumentalen Hollywood-Filmen bekannt, als verrückter Kaiser Nero in "Quo vadis", als Sklavenhändler in Stanley Kubricks "Spartakus"-Film, für diese Rolle bekam er einen Oscar, "Topkapi" folgte, großen Erfolg hatte er als belgischer Meisterdetektiv Hercule Poirot, unter anderem auch in "Tod auf dem Nil", um nur einige Filme zu nennen, zuletzt als sächsischer Kurfürst Friedrich der Weise in dem Kinofilm "Luther". Er spielte Herrscherfiguren, und damit komme ich so ein bisschen auf das Charakterliche, wissende und mächtige Menschen, die sich immer auch ein bisschen, ja, vielleicht blamierten, ohne an Stil und Würde zu verlieren. Galt das auch für den Privatmann?
Jürgen Ritte: Das ist sehr schön charakterisiert von Ihnen, denn er hatte ja ganz regen Kontakt mit denen, die man die Großen dieser Welt nennt, war gut befreundet mit Michail Gorbatschow beispielsweise und konnte stundenlang Anekdoten erzählen von irgendwelchen Dinners bei der englischen Königin und so weiter. Er hatte natürlich diesen sehr menschlichen Blick, diesen wirklich, na, romanesken und clownesken Blick auf die Schwächen der Großen. Das konnte er wunderbar spielen und da setzte er auch immer seinen Humor an, auch seine Kritik, die manchmal sehr scharf sein konnte, wie eben zuletzt an dem amerikanischen Präsidenten Georg W. Bush, als es um das Engagement gegen den Irak ging.
Michael Köhler: Sie bringen schon die Rede darauf, Überzeugungen trennen die Leute, Zweifel bringt sie zusammen, das hat er zuletzt in einem Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel" gesagt. Er hat sich als Zweifler immer auch für Ideologie- und Vorurteilslosigkeit eingesetzt. Darüber haben Sie, Jürgen Ritte, ein Buch mit ihm veröffentlicht. War das in seiner Biographie begründet? Wie kam es dazu?
Jürgen Ritte: Er ist selbst ja in engem Kontakt mit Vorurteilen groß geworden als deutschstämmiger Junge in einer englischen Schule nach dem ersten Weltkrieg. Er hat häufig eben erzählt, dass er das nicht sehr witzig gefunden habe, wenn seine Klassenkameraden ihm sozusagen zu verstehen gegeben hätten, dass er persönlich den Krieg verloren habe. Also, er ist schon in der Außenseiterposition groß geworden, wusste, was es bedeutet, wenn man Vorurteilen begegnet, und daraus ist eben dieses lebenslange Engagement erwachsen, das in diesem Buch, das im letzten Jahr erschienen ist, dann gipfelte, und das er mit, ja, zwei Freunden, mit Harald Wieser und mir zusammen geschrieben hat.
Michael Köhler: Glaubensfrei, aber hoffnungsvoll zu sein, das, glaube ich, war ihm irgendwie immer wichtig. Und seine karitativen Tätigkeiten, seine drei Universitätslehrstühle waren ihm wichtig, und seine schriftstellerische Tätigkeit?
Jürgen Ritte: Ja, das ist auch eines dieser - Sie haben eben vom Multitalent gesprochen, es sind so viele Talente und auf einem so hohen Niveau, dass das eine das andere zu erschlagen drohte oder wegzudrängen drohte. Vielfach weiß man eben nicht, was für ein großer und begabter Schriftsteller er war, Theaterautor. Ich glaube, in der angelsächsischen Welt vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwo irgendeine Bühne ein Stück von Peter Ustinov spielt. Dazu kommen auch Romane, davon ist ja auch vieles auf Deutsch zu haben. Das gehörte schon zu seinen Talenten.
Michael Köhler: Zum Schluss hat er auf mich ein bisschen gewirkt, man sah ihn ja häufiger in Talkshows, denen er immer eine wunderbar gebildete, weltläufige Note gab, war er so eine Art beleibter, leicht melancholischer Clown im englischen Tweed. Würden Sie diese Beobachtung teilen?
Jürgen Ritte: Ja, das Melancholische würde ich ein bisschen dämpfen, denn dazu war er dann einfach doch zu lebensfreudig und auch zu hoffnungsvoll. Er hat dieses Engagement, diesen Kampf, so kann man es wohl nennen, gegen Vorurteile nicht in der Perspektive aufgenommen, dass es keinen Zweck hat, sondern durchaus in der Hoffnung und mit der Absicht und dem Glauben, sagen wir es besser so, dass es etwas nützt und dass es eine bessere Welt werden könnte. Diese Lehrstühle, von denen Sie gesprochen haben, die seine Stiftung ins Leben ruft, sind ja Vorurteilslehrstühle. Im letzten Jahr ist in Wien einer elaboriert worden und da hat man dann Horst Eberhard Richter gewonnen, um den ersten Lehrstuhlvertreter dort abzugeben. Das sind ganz konkrete Engagements, also es ist nicht in der melancholischen Perspektive, sondern in einer eher optimistischen.