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Ein Leben für den Freiheitsdichter

Das Lebensschicksal der Dichterin Caroline von Wolzogen war es, dass ihre Schwester jenen Mann heiratete, den sie selbst doch so sehr verehrte und bewunderte: Friedrich Schiller. Schließlich arrangierte sie sich mit ihrer Situation – und ließ sich dadurch sogar dichterisch inspirieren.

Von Christian Linder |
    Konnte Goethe sich wirklich so verstecken und, wie immerhin die Schlegel-Brüder und Wilhelm von Humboldt vermuteten, in dem 1798 in zwei Bänden anonym erschienenen Roman "Agnes von Lilien" eine solche Wunschphantasie entwickeln und sie auch noch von einer Frau aussprechen lassen?

    "Mit himmlischer Heiterkeit blickte sie mir ins Auge, drückte mich an ihre Brust und sagte: Bestes Kind, der Moment ist gekommen, wo mein ganzes Gemüt der reinen Mitempfindung deines Glückes fähig ist."

    Vielleicht waren die Schlegels und Humboldt auf die Idee von Goethes Autorenschaft nur deshalb gekommen, weil der Weimarer Freund Friedrich Schiller in seiner Zeitschrift "Die Horen" einen ersten Auszug aus dem Roman veröffentlicht, das Autorengeheimnis aber zunächst für sich behalten hatte. Denn da gab es noch ein dazugehörendes anderes Geheimnis, in das Schiller persönlich verwickelt war. Geschrieben hatte den Roman "Agnes von Lilien" eine Frau, Caroline von Wolzogen, deren Schwester, Charlotte, Schiller 1790 geheiratet hatte – nach einigem Zögern, denn Caroline hatte es Schiller ebenfalls so angetan, dass er den beiden Frauen anfangs eine Dreier-Beziehung vorschlug.

    "Ich weiß euch in meinem Zimmer. Du, Caroline, bist am Klavier und Lottchen arbeitet neben Dir … Ich lege die Feder weg, um mich an eurem schlagenden Herzen lebendig zu überzeugen, dass ich euch habe … Unser himmlisches Leben wird ein Geheimnis bleiben."

    Die späteren Schiller-Biografen konnten den Traum einer ménage à trois nicht verheimlichen. Dass Schiller sich dann doch für Charlotte entschied, hinderte Caroline nicht, dem geliebten Schiller zumindest in der Rolle der Schwägerin lebenslang die platonische Treue zu halten – auch wenn sie ihre Gefühle nicht immer kaschieren konnte. Im Gegensatz zur äußerlich reservierteren und drei Jahre jüngeren Charlotte hatte Caroline schon einige, wenn auch bittere Erfahrungen in Liebesdingen hinter sich. Geboren am 3. Februar 1763 im thüringischen Rudolstadt als Caroline von Lengefeld – der Vater war Oberförster und Stiftsgutsinspektor –, heiratete sie im Alter von 16 Jahren einen Freiherrn von Beulwitz, von dem sie sich aber bald wieder trennte und auch gerichtlich scheiden ließ, denn es sei recht und "billig",

    "einem von vielen Seiten achtungswürdigen Mann durch eine Trennung seine Freiheit wiederzugeben."

    Ihre zweite Ehe mit einem Vetter, Wilhelm von Wolzogen, hatte den Vorteil, dass der Ehemann als "Kammerherr" mit ihr nach Weimar zog und sie in Schillers Nähe leben konnte. Ach, Weimar. Im Haus der Wolzogens verkehrten nicht nur Schiller und Goethe, auch Fichte, Wieland und Schelling. Auf Schiller blieben aber alle Gefühle gerichtet. Trotz der persönlichen Nähe wechselten auch Briefe innerhalb Weimars hin und her. War Caroline einmal allein zu Hause, erreichte Schiller sofort eine Einladung:

    "Kommen Sie einen Augenblick in den Garten oder in meine Stube, wenn Sie mit Schreiben aufhören … Heute Nachmittag sind wir auch ruhig."

    Die Nähe Schillers empfand Caroline von Wolzogen produktiv auch für ihren eigenen Traum einer literarischen Existenz. Da ihr Mann in diplomatischen Angelegenheiten oft unterwegs war, fand sie entsprechend viel Zeit fürs Schreiben. Neben dem Theaterstück "Der leukadische Fels" verfasste sie vor allem Prosa, Romane und Erzählungen, die Schiller immer wieder erstveröffentlichte. Als bekannt wurde, dass sie die Autorin des Romans "Agnes von Lilien" war, wurde er sofort als autobiografisch erkannt. Der hochgezogene Ton darin und die von ihm produzierten Sprachbilder haben die Jahrhunderte nicht schadlos überstanden:

    "Ich habe die Blüthenzeit meines Lebens noch einmahl durchlebt, wärend ich sie schrieb. Die Natur gab mir jenen wohlthätigen Schleier, der den Bildern der Vergangenheit ihren lebendigen Zauber bewahrt … die Geister der Vergangenheit erschienen wie Ossians Geister auf flüchtigen Wolkengestalten."

    Der Tod Friedrich Schillers 1805 zerschnitt Caroline von Wolzogens Leben in ein Davor und Danach. 17 Jahre später, 1822, begann sie mit der Arbeit an einer Schiller-Biografie, die, 1830 erschienen, auch heute noch, trotz aller Idealisierungen, aufgrund ihrer intimen Kenntnis lesenswert ist. In ihren letzten Jahren führte Caroline von Wolzogen ein frommes, zurückgezogenes Leben in Jena, wohin sie 1825 gezogen war. Sie starb 1847 kurz vor Vollendung ihres 84. Lebensjahres. In ihrem Nachlass fanden sich neben ihrer literaturgeschichtlich bedeutenden Korrespondenz viele Prosaentwürfe, die sie nicht mehr ausführen wollte oder konnte.