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Alaa Abd el-Fattah: „Ihr seid noch nicht besiegt“
Ein Leben für den Widerstand

Der ägyptische Blogger Alaa Abd el-Fattah war Wortführer des Arabischen Frühlings und sitzt seit 2011 fast ohne Unterbrechung in Haft. Eine Textsammlung zeigt ihn als unnachgiebigen Aktivisten und zu Recht gefürchteten Oppositionellen.

Von Cornelius Wüllenkemper |
Alaa Abd el-Fattah und Buchcover
Kämpfer für die Revolution und gegen Unterdrückung - der ägyptische Blogger Alaa Abd el-Fattah (Buchcover: Wagenbach / Foto: privat)
Der Widerstand gegen staatliche Gewalt prägt das Leben der Familie Fattah seit zwei Generationen. Bereits Alaa Abd el-Fattahs Vater wurde als Mitglied einer militanten kommunistischen Zelle mehrere Jahre inhaftiert. Er ist eine Schlüsselfigur für Fattahs Aufbegehren gegen das gegenwärtige ägyptische Regime, das Oppositionelle für rechtlos erklärt und mit Hilfe von Waffen und Technik, nicht zuletzt aus deutscher Produktion, einen autoritären Überwachungsstaat errichtet hat. Nach dem Sturz von Husni Mubarak 2011 löste das Militär eine Protestveranstaltung koptischer Christen auf – Ergebnis des so genannten „Maspero-Massakers“: 26 Tote und 350 Verletzte. Alaa Abd el-Fattahs Kommentar in der Tageszeitung al-Shorouk brachte ihm seine erste Verhaftung ein und war der Auftakt zu einer Fundamentalkonfrontation mit dem ägyptischen Staatsapparat.
„Nach diesem Tag konnte ich weniger denn je begreifen, wie irgendeine Sicherheitsbehörde auf der Welt glauben kann, dass Gewalt ein wirkungsvolles Mittel wäre, um mit einer aufgebrachten oder einer verängstigten Menschenmenge fertig zu werden. Wer bitte hat allen Regierungen der Welt eingebläut, eine bewaffnete Konfrontation würde die Massen besänftigen?“
Abd-el-Fattah setzt sich konkret für die Revolution und gegen die Unterdrückung der Volksmassen in Ägypten ein, holt ideologisch aber sehr viel weiter aus.

290.000 Twitter-Posts an 600.000 Follower

In seinen Texten fordert er universelle Freiheitsrechte im Internet, er kritisiert die Unternehmenspolitik des Uber-Konzerns, prangert globale Ungerechtigkeit und chinesische Sweatshops an und warnt vor Wassermangel, Klimawandel und Nationalismus. Die Texte aus den Jahren 2011 bis 2021 sind in Stil und Inhalt höchst unterschiedlich. Weltpolitische Analysen wechseln sich ab mit Aufrufen zum Umsturz, Ereignisprotokollen, Haftberichten und Ausschnitten aus Fattahs 290 000 Twitter-Posts an seine 600 000 Follower. Die Angst des Regimes vor dem Blogger und Aktivisten basiert nicht nur auf dem, was er schreibt, sondern ebenso sehr darauf, dass er trotz Verfolgung und Inhaftierung weiterschreibt.
„Jedes Mal, wenn mich ein Gerichtsverfahren oder eine Haftstrafe erwartete, habe ich das begrüßt. Nicht nur, weil sie der Preis sind, den wir für politischen Dissens zahlen, sondern auch, weil sie Gelegenheit bieten, die Garantien und Grundsätze eines fairen Verfahrens zu verteidigen. Jede Gerichtsanhörung, jede Haftverlängerung und jeder Prozess war ein Anlass, um gegen den Missbrauch von Sondergerichten anzukämpfen, und eine Möglichkeit, jene Richter zu unterstützen, die der Gerechtigkeit treu geblieben waren.“
Schreibt Alaa Abd el-Fattah 2014 aus dem gefürchteten Tora-Gefängnis in Kairo, bevor er seinen ersten Hungerstreik beginnt. Das Leitmotiv seiner Textsammlung ist nicht die Gewalt und Folter in den ägyptischen Haftanstalten mit geschätzt 60 000 politischen Gefangenen.

Widerstand gegen das Regime als Märtyrer-Disziplin

Es ist die strikte, wenngleich widerrechtliche Isolation von der Außenwelt und das Verbot von Büchern, Zeitungen und gar von Stift und Papier, die ihm am meisten zu schaffen machen. Mindestens ebenso aussagekräftig wie Abd el-Fattahs Texte selbst sind dabei die Umstände ihrer Entstehung. An ihnen ist  abzulesen, wie sich Ägypten seit dem Sturz Husni Mubaraks  zu einem Polizeistaat entwickelt hat, der eben nicht nur islamistische Dissidenten, sondern jedwede Form der Opposition drangsaliert und wegsperrt. Fattah tritt als bekennender Linksradikaler in die Fußstapfen seines Vaters und betreibt den Widerstand gegen das Regime als eine Art Märtyrer-Disziplin. Dafür verzichtet er auf seine Rolle als Vater und auch auf seine eigene Freiheit. 2017 schreibt Fattah an die Menschenrechtskonferenz Rightscon im Sillicon Valley:
„Ihr könnt nur wenig, wenn überhaupt, etwas zu der Frage beitragen, wie der Hashtag #FreeAlaa endlich überflüssig werden kann, doch ihr könnt sehr viel bewegen, wenn es um die Frage geht, ob das Internet zu einem Raum wird, in dem wir gemeinsam universelle Rechte und Freiheiten genießen, durchsetzen, ausüben und verteidigen. Ihr seid, im Gegenteil zu mir, noch nicht besiegt.“
Fattahs Texte sind keine Glanzstücke der Argumentation und Rhetorik, sondern impulsive, kämpferische und gerade mit Blick auf Israel auch polarisierende Meinungsstücke. Dennoch oder gerade deshalb sind es wichtige zeitgeschichtliche Zeugnisse. Sie werfen einen ungefilterten und erschütternden Blick auf den gescheiterten Arabischen Frühling und auf ein Regime, das das geschriebene Wort ebenso verachtet wie fürchtet.
Alaa Abd el-Fattah: „Ihr seid noch nicht besiegt“
Aus dem Englischen von Utku Mogultay
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin. 252 Seiten, 22 Euro.