Er gehört gewiss nicht zu den Jüngsten unter den deutschsprachigen Schriftstellern. Doch das ist nicht die einzige Besonderheit, durch die sich Robert Schopflocher von anderen unterscheidet. Obwohl sein Interesse für die Literatur und das Schreiben seit je bestand, hatte er einen weiten Weg zu gehen, bevor er sich mit Büchern in seiner deutschen Muttersprache einen Namen machen konnte. Dieser Weg führte ihn von seiner fränkischen Geburtsstadt Fürth in die vom Antisemitismus erzwungene Emigration nach Argentinien; er lernte als Agrarfachmann das bäuerliche Leben in der Provinz Entre Rios kennen; er nahm als Importkaufmann mit der familieneigenen Firma am wechselhaften argentinischen Wirtschaftsleben teil; er arbeitete als Sachbuchautor, als Journalist und er veröffentlichte zahlreiche Erzählwerke in spanischer Sprache. Bis der Wunsch immer dringlicher wurde, auch im Literarischen wieder zu den sprachlichen Quellen zurückzukehren. In einem Gespräch am 14. April 2011 mit Hajo Steinert erzählte er, warum.
"''Ich glaube, dass das, ich will nicht sagen, eine Alterserscheinung ist, aber ich stellte fest, dass ich mich im Deutschen nach wie vor besser ausdrücken kann als im Spanischen, sozusagen weil das Deutsch eben meine Kindheitssprache und meine Sprachheimat ist. Und das ist der Grund ... ich habe einige meiner ursprünglich in Spanisch geschriebenen Novellen auf Deutsch ..., nicht übersetzt, sondern nacherzählt und merkte, dass sich wie ein Film eine Schicht abhob, unter der sich die deutsche Muttersprache regte.""
Damals konnte Robert Schopflocher schon auf eine ganze Anzahl argentinischer Veröffentlichungen zurückblicken und auch auf einen großen Teil seines Lebens. Eines Lebens, das in recht glücklichen bürgerlichen Verhältnissen am 14. April 1923 in Fürth begonnen hatte, bald aber von den bösen Wendungen der deutschen Zeitgeschichte in unerwartete Bahnen gezwungen wurde. Als der Knabe vierzehn Jahre alt war, gelang es der Familie nach Argentinien auszuwandern, nachdem der Vater mit Hilfe von Verwandten und Freunden schon in Buenos Aires die Voraussetzungen für eine neue Existenz geschaffen hatte. Die dreiwöchige Überfahrt markierte für den Jüngling die Zäsur, die für sein Leben bestimmend bleiben sollte: Die Eröffnung neuer Horizonte konnte die tief eingeprägten Bilder der Kindheitswelt nicht verdrängen.
"Eine unendlich weite Welt tat sich mir auf. Fremdartig, geheimnisvoll. Wir gingen in Lissabon an Land, wo ich zum ersten Mai im meinem Leben Palmen sah. Auf den Kanarischen Inseln, in La Palmas, beobachteten wir von der Reling aus das Gewühl der Händler. Die vom bärtigen Neptun höchstpersönlich vorgenommene Äquatortaufe. Ich kann mich nur einer einzigen Schikane erinnern, welche wir über uns ergehen lassen mussten: Das Schwimmbassin durften wir nicht gleichzeitig mit den »Ariern« benutzen."
"''Ich glaube, dass das, ich will nicht sagen, eine Alterserscheinung ist, aber ich stellte fest, dass ich mich im Deutschen nach wie vor besser ausdrücken kann als im Spanischen, sozusagen weil das Deutsch eben meine Kindheitssprache und meine Sprachheimat ist. Und das ist der Grund ... ich habe einige meiner ursprünglich in Spanisch geschriebenen Novellen auf Deutsch ..., nicht übersetzt, sondern nacherzählt und merkte, dass sich wie ein Film eine Schicht abhob, unter der sich die deutsche Muttersprache regte.""
Damals konnte Robert Schopflocher schon auf eine ganze Anzahl argentinischer Veröffentlichungen zurückblicken und auch auf einen großen Teil seines Lebens. Eines Lebens, das in recht glücklichen bürgerlichen Verhältnissen am 14. April 1923 in Fürth begonnen hatte, bald aber von den bösen Wendungen der deutschen Zeitgeschichte in unerwartete Bahnen gezwungen wurde. Als der Knabe vierzehn Jahre alt war, gelang es der Familie nach Argentinien auszuwandern, nachdem der Vater mit Hilfe von Verwandten und Freunden schon in Buenos Aires die Voraussetzungen für eine neue Existenz geschaffen hatte. Die dreiwöchige Überfahrt markierte für den Jüngling die Zäsur, die für sein Leben bestimmend bleiben sollte: Die Eröffnung neuer Horizonte konnte die tief eingeprägten Bilder der Kindheitswelt nicht verdrängen.
"Eine unendlich weite Welt tat sich mir auf. Fremdartig, geheimnisvoll. Wir gingen in Lissabon an Land, wo ich zum ersten Mai im meinem Leben Palmen sah. Auf den Kanarischen Inseln, in La Palmas, beobachteten wir von der Reling aus das Gewühl der Händler. Die vom bärtigen Neptun höchstpersönlich vorgenommene Äquatortaufe. Ich kann mich nur einer einzigen Schikane erinnern, welche wir über uns ergehen lassen mussten: Das Schwimmbassin durften wir nicht gleichzeitig mit den »Ariern« benutzen."
Widersprüchliche Eindrücke
So beschreibt Schopflocher die widersprüchlichen Eindrücke des jungen Emigranten, der er einst war, in seiner Autobiografie mit dem Titel "Weit von wo", die er rechtzeitig zum Gastland-Auftritt Argentiniens auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2010 auf Deutsch verfasste. "Mein Leben zwischen drei Welten" lautet der Untertitel und wer Schopflochers Werk und Wirken überblickt, wird nicht den geringsten Zweifel hegen, dass der damit artikulierte Anspruch seine Berechtigung hat. Denn drei verschiedene Welten stellen nicht nur die Lebenssphären seiner Biografie dar, sie sind auf vielfältige Weise auch in seiner Literatur gegenwärtig. Welche Welten sind das? Einmal die Herkunftswelt der deutschen Kultur und der Jugenderinnerungen. Zum anderen die transatlantische Welt Argentiniens, wo Schopflocher seit 1937 lebt und wo er im April dieses Jahres seinen neunzigsten Geburtstag feiern konnte, beglückwünscht nicht zuletzt durch eine umfangreiche Würdigung im deutschsprachigen "Argentinischen Tageblatt". Und zwischen diesen beiden steht in Schopflochers Aufzählung:
"Die zweite Welt ist die Welt des Judentums, und wenn ich sage des Judentums, so denke ich an ein ganz liberales Judentum, wo die Religion zwar vorhanden ist, aber eine untergeordnete Rolle spielt. Und die ich auch erlebte, als ich als Agronom den jüdischen Siedlungen des von Baron Hirsch gegründeten Siedlungswerkes vorstand. Diese russischen Juden hatten ein ganz besonderes, sehr intensives Kulturleben und in vielen meiner Erzählungen kommt dies auch zum Ausdruck."
Tatsächlich und durchaus entgegen seinen Neigungen hatte sich der junge Robert zum Fachmann für Landwirtschaft ausbilden lassen, entsprechend dem Rat seines Vaters, dass das in einem Agrarland wie Argentinien genau das Richtige sei. Immerhin zahlte sich dieser Tribut an die Landesverhältnisse in mehrfacher Hinsicht aus. Er lernte nicht nur das Leben in der Provinz kennen. Vor allem bekam er es mit einer denkwürdigen Unternehmung zu tun, die sowohl für die Kolonisierungsgeschichte Argentiniens als auch für die Rettung der Juden vor den Verfolgungen in Europa von Bedeutung war. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der durch Eisenbahnbau unendlich reich gewordene jüdische Baron Maurice de Hirsch, dessen Vorfahren von den Wittelsbachern geadelt worden waren. Auf Berichte vom Elend jüdisch-russischer Auswanderer hin gründete Hirsch 1891 die "Jewish Colonization Association".
"Hirsch ging es vorrangig darum, die größtmögliche Anzahl der gefährdeten Juden Osteuropas in Sicherheit zu bringen. Er wollte - und hier stimmten seine Vorstellungen mit denen der Zionisten überein - die entwurzelten Menschenkinder in schollenverbundene Landwirte verwandeln. Die »J.C.A.« finanzierte die Überfahrt und stellte den Neuankömmlingen die Parzellen samt des lebenden und toten Inventars zur Verfügung. Darüber hinaus sorgte sie für die Infrastruktur ihrer Siedlungen."
Als Robert Schopflocher in den vierziger Jahren in verschiedenen dieser Siedlungen in der Provinz Entre Ríos als Verwalter tätig war, hatten sich die älteren Siedlergenerationen um etliche Flüchtlinge vor dem Nazi-Regime vermehrt. Allerdings wurde die Verjüngung und Fortsetzung der Siedlungsprojekte durch den Mord an den europäischen Juden verhindert. Später setzten Abwanderung und Stadtflucht ein. Trotzdem bekam Schopflocher in seinen Zeiten als landwirtschaftlicher Administrator noch genug zu tun. Er nahm am gesellschaftlichen Leben teil und lernte seine künftige Ehefrau kennen. Mit seinen Reformvorhaben allerdings, die er über seine Verwaltungstätigkeiten hinaus betrieb, war er weniger erfolgreich.
"Gegen die praktischen Erwägungen alteingesessener Siedler konnte ich junger Agronom mich nicht durchsetzen. So verlegte ich mich wieder einmal auf die Abfassung von Bulletins, um auf die Gefahren diverser Krankheiten aufmerksam zu machen, die damals die Viehbestände bedrohten. Einen meiner Artikel veröffentlichte ich ohne jeglichen Hintergedanken in der größten Tageszeitung der Provinz. Das provozierte einen Protest der peronistischen Regierungspartei und führte mir die verpestete Atmosphäre vor Augen, in der wir lebten: Mein Artikel sei als feindliche Kritik an der Regierung aufzufassen."
"Die zweite Welt ist die Welt des Judentums, und wenn ich sage des Judentums, so denke ich an ein ganz liberales Judentum, wo die Religion zwar vorhanden ist, aber eine untergeordnete Rolle spielt. Und die ich auch erlebte, als ich als Agronom den jüdischen Siedlungen des von Baron Hirsch gegründeten Siedlungswerkes vorstand. Diese russischen Juden hatten ein ganz besonderes, sehr intensives Kulturleben und in vielen meiner Erzählungen kommt dies auch zum Ausdruck."
Tatsächlich und durchaus entgegen seinen Neigungen hatte sich der junge Robert zum Fachmann für Landwirtschaft ausbilden lassen, entsprechend dem Rat seines Vaters, dass das in einem Agrarland wie Argentinien genau das Richtige sei. Immerhin zahlte sich dieser Tribut an die Landesverhältnisse in mehrfacher Hinsicht aus. Er lernte nicht nur das Leben in der Provinz kennen. Vor allem bekam er es mit einer denkwürdigen Unternehmung zu tun, die sowohl für die Kolonisierungsgeschichte Argentiniens als auch für die Rettung der Juden vor den Verfolgungen in Europa von Bedeutung war. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der durch Eisenbahnbau unendlich reich gewordene jüdische Baron Maurice de Hirsch, dessen Vorfahren von den Wittelsbachern geadelt worden waren. Auf Berichte vom Elend jüdisch-russischer Auswanderer hin gründete Hirsch 1891 die "Jewish Colonization Association".
"Hirsch ging es vorrangig darum, die größtmögliche Anzahl der gefährdeten Juden Osteuropas in Sicherheit zu bringen. Er wollte - und hier stimmten seine Vorstellungen mit denen der Zionisten überein - die entwurzelten Menschenkinder in schollenverbundene Landwirte verwandeln. Die »J.C.A.« finanzierte die Überfahrt und stellte den Neuankömmlingen die Parzellen samt des lebenden und toten Inventars zur Verfügung. Darüber hinaus sorgte sie für die Infrastruktur ihrer Siedlungen."
Als Robert Schopflocher in den vierziger Jahren in verschiedenen dieser Siedlungen in der Provinz Entre Ríos als Verwalter tätig war, hatten sich die älteren Siedlergenerationen um etliche Flüchtlinge vor dem Nazi-Regime vermehrt. Allerdings wurde die Verjüngung und Fortsetzung der Siedlungsprojekte durch den Mord an den europäischen Juden verhindert. Später setzten Abwanderung und Stadtflucht ein. Trotzdem bekam Schopflocher in seinen Zeiten als landwirtschaftlicher Administrator noch genug zu tun. Er nahm am gesellschaftlichen Leben teil und lernte seine künftige Ehefrau kennen. Mit seinen Reformvorhaben allerdings, die er über seine Verwaltungstätigkeiten hinaus betrieb, war er weniger erfolgreich.
"Gegen die praktischen Erwägungen alteingesessener Siedler konnte ich junger Agronom mich nicht durchsetzen. So verlegte ich mich wieder einmal auf die Abfassung von Bulletins, um auf die Gefahren diverser Krankheiten aufmerksam zu machen, die damals die Viehbestände bedrohten. Einen meiner Artikel veröffentlichte ich ohne jeglichen Hintergedanken in der größten Tageszeitung der Provinz. Das provozierte einen Protest der peronistischen Regierungspartei und führte mir die verpestete Atmosphäre vor Augen, in der wir lebten: Mein Artikel sei als feindliche Kritik an der Regierung aufzufassen."
Vielseitige Laufbahn
Robert Schopflocher hat viel erlebt, er hat als Zeitzeuge viel gesehen und er besaß schon als junger Mann die Gabe, die Themen, für die er sich interessierte, in schriftlicher Form überzeugend darzulegen. Zumindest stellten die Bulletins, Berichte und Zeitungsartikel, die er damals verfasste, die Anfänge einer Laufbahn als Journalist und Sachbuchautor dar, die er auch in seiner Zeit als Importkaufmann weiterführte. Er verfasste Bücher über die Geschichte der landwirtschaftlichen Kolonisierung Argentiniens, über Geflügelzucht, Bienenhaltung, Rinderkrankheiten; und eine zweibändige Enzyklopädie der praktischen Agrarwirtschaft. Seine literarischen Träume sahen jedoch anders aus. Das zeigte sich bereits, als er in jungen Jahren das Glück hatte, mit dem berühmtesten Emigranten der südlichen Erdhalbkugel zusammenzutreffen.
"Ja, Stefan Zweig, … er war so nett und hat einige meiner jugendlichen Ergüsse gelesen und gab mir zunächst den Rat, man müsse nicht alles, was einem durch den Kopf geht, gleich niederschreiben und zu Büchern verarbeiten. Und der zweite Rat: Genauso wichtig wie zu Schreiben ist auch das Weglassen oder das Ausradieren gewisser Stellen, um das Buch, das man schreiben will, zu kondensieren und eben zu kompaktieren."
Die Bibliografie von Schopflochers erzählerischem Werk beginnt mit dem Jahr 1980. Auch unter den argentinischen Schriftstellern gehörte er mit siebenundfünfzig Jahren also nicht gerade zu den Jüngeren. Dafür hatte er viel zu erzählen und sein Themenspektrum war und ist groß: Es umfasst eben nicht weniger als drei Welten, die deutsche Vergangenheit, die argentinische Geschichte seit fast hundert Jahren und das jüdische Leben in den unterschiedlichen Epochen. Seine spanischsprachigen Bücher der achtziger Jahre tragen Titel wie "Fuego fatuo", Loderndes Feuer, "Las ovejas", Die Schafe, "Mundo fragil", Zerbrechliche Welt. Für den Band "Extraños negocios", Merkwürdige Geschäfte, von 1996 erhielt er mehrere Auszeichnungen. Einige der dort behandelten Stoffe finden sich in den deutschsprachigen Erzählbänden wieder, in "Wie Reb Froike die Welt rettete" aus dem Wallstein Verlag und in "Fernes Beben" aus dem Suhrkamp Verlag.
"Ja, Stefan Zweig, … er war so nett und hat einige meiner jugendlichen Ergüsse gelesen und gab mir zunächst den Rat, man müsse nicht alles, was einem durch den Kopf geht, gleich niederschreiben und zu Büchern verarbeiten. Und der zweite Rat: Genauso wichtig wie zu Schreiben ist auch das Weglassen oder das Ausradieren gewisser Stellen, um das Buch, das man schreiben will, zu kondensieren und eben zu kompaktieren."
Die Bibliografie von Schopflochers erzählerischem Werk beginnt mit dem Jahr 1980. Auch unter den argentinischen Schriftstellern gehörte er mit siebenundfünfzig Jahren also nicht gerade zu den Jüngeren. Dafür hatte er viel zu erzählen und sein Themenspektrum war und ist groß: Es umfasst eben nicht weniger als drei Welten, die deutsche Vergangenheit, die argentinische Geschichte seit fast hundert Jahren und das jüdische Leben in den unterschiedlichen Epochen. Seine spanischsprachigen Bücher der achtziger Jahre tragen Titel wie "Fuego fatuo", Loderndes Feuer, "Las ovejas", Die Schafe, "Mundo fragil", Zerbrechliche Welt. Für den Band "Extraños negocios", Merkwürdige Geschäfte, von 1996 erhielt er mehrere Auszeichnungen. Einige der dort behandelten Stoffe finden sich in den deutschsprachigen Erzählbänden wieder, in "Wie Reb Froike die Welt rettete" aus dem Wallstein Verlag und in "Fernes Beben" aus dem Suhrkamp Verlag.
Thematische Vielfältigkeit
Die thematische Vielseitigkeit, die da aufgeboten wird, ist nicht nur erstaunlich, sondern auch ein Vergnügen. So bieten allein die sieben Erzählungen aus dem Band "Fernes Beben" fast eine vollständige Enzyklopädie exemplarischer argentinischer Begebenheiten: Da geht es um die ohnmächtige Verlorenheit eines Eisenbahnangestellten in den Anden; um die tödlich endende Rückkehr eines erfolgreichen Großstadtbewohners in die Welt seiner Vorfahren; eine sarkastische Geschichte stellt die gemeine Selbstsucht der Oligarchie dar; der fesselnden Konfrontation zweier Schachfreunde sind die in der Militärdiktatur geraubten Kinder das Thema; bei einem Klassentreffen steht plötzlich die Moral der argentinischen Politik zur Debatte; und mit dem lateinamerikanischen Diktatorenroman korrespondiert Schopflocher durch sein Porträt eines faschistoiden Weltverbesserers. Ein satirisches Kabinettstück ist die Geschichte über einen Autounfall, der zum Bürgerkrieg auf einer Dorfstraße ausartet, bei dem die unterirdischen Spannungen der argentinischen Gesellschaft explodieren.
"Schlagartig übersehe ich die Lage. Als wäre ein Theatervorhang hochgegangen, der den Blick auf die Bühne freilässt. Sie kämpfen miteinander. Gegeneinander, und zwar erbarmungslos. Die Autofahrer gegen die Dorfbewohner. Mehrere Männer springen aus ihren Autos und verdreschen alle Dorflümmels, die sie erwischen. Natürlich schließe ich mich den Autofahrern an und schlage um mich. Einigkeit macht stark, so heißt es doch? Schüsse fallen, Glas splittert, Menschen wälzen sich auf der Straße; es sieht aus, als seien sie alle stockbesoffen oder wahnsinnig."
Robert Schopflocher ist ein Argentinier mit einer ganz besonderen Lebensgeschichte, obwohl es manche vergleichbaren geben mag, schließlich hat Buenos Aires, wie man sagt, die größte jüdische Gemeinschaft nach New York. Aber wenigstens in einem Punkt ist er ein sehr typischer Argentinier, dann nämlich, wenn er die politischen Verhältnisse beklagt:
"Eines kann man doch sagen, das Argentinien, der Argentinier, in Wirklichkeit bessere Regierungen verdient hätte. Argentinien ist ein potenziell sehr reiches Land und es wird immer von der Regierung erzählt, von den bösen Militärs, die ich keineswegs verteidigen möchte, viel weniger von den Guerrillas, die sich genauso schlecht benahmen und den Tod säten."
"Schlagartig übersehe ich die Lage. Als wäre ein Theatervorhang hochgegangen, der den Blick auf die Bühne freilässt. Sie kämpfen miteinander. Gegeneinander, und zwar erbarmungslos. Die Autofahrer gegen die Dorfbewohner. Mehrere Männer springen aus ihren Autos und verdreschen alle Dorflümmels, die sie erwischen. Natürlich schließe ich mich den Autofahrern an und schlage um mich. Einigkeit macht stark, so heißt es doch? Schüsse fallen, Glas splittert, Menschen wälzen sich auf der Straße; es sieht aus, als seien sie alle stockbesoffen oder wahnsinnig."
Robert Schopflocher ist ein Argentinier mit einer ganz besonderen Lebensgeschichte, obwohl es manche vergleichbaren geben mag, schließlich hat Buenos Aires, wie man sagt, die größte jüdische Gemeinschaft nach New York. Aber wenigstens in einem Punkt ist er ein sehr typischer Argentinier, dann nämlich, wenn er die politischen Verhältnisse beklagt:
"Eines kann man doch sagen, das Argentinien, der Argentinier, in Wirklichkeit bessere Regierungen verdient hätte. Argentinien ist ein potenziell sehr reiches Land und es wird immer von der Regierung erzählt, von den bösen Militärs, die ich keineswegs verteidigen möchte, viel weniger von den Guerrillas, die sich genauso schlecht benahmen und den Tod säten."
Zwischen drei Welten
Eigentlich erscheint es unvermeidlich, die Frage zu stellen, ob Robert Schopflocher nicht ein Zerrissener sei, ein Hin- und Hergezerrter zwischen den drei Welten, die ihm als Schicksal auferlegt wurden, der jüdischen, der deutschen, der argentinischen. Betrachtet man aber sein Werk, sieht es ganz so aus, als habe er darauf längst eine Antwort gegeben. Denn es ist ihm tatsächlich gelungen, diese drei Welten als Autor und Erzähler zu verkörpern, glaubwürdig, großherzig, genau, anschaulich. dass er dabei hinsichtlich seiner Herkunft und Geschichte erkennbar geblieben ist, das trägt er mit Fassung.
"So ein ganz argentinischer Autor war ich nie. Denn meinen deutschen Akzent, so ganz habe ich ihn ja nicht verloren. Wenn ich irgendjemanden kennenlerne und zu reden anfange, ist die erste Frage: De donde viene? Wo kommen Sie her? Wenn ich dann sage, aus Deutschland, lautet dann die zweite Frage: In welchem Jahr kamen Sie nach Argentinien? Diese Fragen, die beweisen ja, dass ich so ein ganz waschechter Argentinier nie wurde. "
Schopflocher entschied sich schließlich dafür, seine literarischen Texte auf Deutsch zu schreiben. Seit 1998 sind zehn Titel erschienen, Autobiografisches, Erzählungen, Romane, auch Gedichte. Aus dem argentinischen Schriftsteller wurde ein deutschsprachiger. Die Geburtsstadt Fürth dankte dem vertriebenen Sohn die Rückkehr in die Sprache seiner Herkunft mit dem Jakob-Wassermann-Literaturpreis. Dennoch hat Schopflocher mit dem Wechsel seiner Schreibsprache nichts von seinen drei Welten aufgegeben. Das beste Beispiel dafür sind seine jüngsten Bücher, die schon mehrfach zitierte Autobiografie "Weit von wo" und sein kürzlich erschienener Roman "Die verlorenen Kinder".
In seinen Erinnerungen beschreibt Schopflocher mit dem Informationsreichtum eines Sachbuches die Stationen seines Lebens und die manchmal schwierigen Wege, auf denen er dorthin gelangte: die Zeit der Weimarer Republik; die Bildungsgeschichte seiner Jugend, für die sich der zunächst unfreiwillige Besuch des jüdischen Landschulheims Herrlingen als Glücksfall erwies; die antisemitische Verfolgung; Emigration und Neuanfang; das Leben in Argentinien zwischen Peronismus, demokratischen Episoden und Diktatur bis hin zur Gegenwart. Manches von den Brückenschlägen, die dieses Lebens mit sich brachte, klingt schon im ersten Kapitel an. Hier ein Auszug, gelesen vom Autor selbst.
"Und so kam es auch, dass ich erst seit 1937 an den Ufern des Rio de la Plata lebe, des Silberstroms, der seinen Namen zu Unrecht führt. Nur als ein Silberstreifen der Hoffnung erwies er sich für die Flüchtlinge, die in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der ihnen zugedachten Endlösung entrinnen wollten. Ein Silberstreifen, der ein gutes Jahr nach unserer Landung seinen Glanz einbüßte, als die Gespensterschiffe von einem Atlantikhafen zum nächsten irrten, in der Bemühung, ihre menschliche Fracht mit der verfemten Rasse, dem teuer erkauften, aber fragwürdigen Visum und dem roten Judenstempel im Pass loszuwerden. Sehr oft erfolglos."
Wie viele andere Länder bot auch Argentinien, das zudem mit Hitler und Mussolini sympathisierte, jüdischen Flüchtlingen nur begrenzt einen sicheren Hafen. Auf die an Widersprüchen, Missständen und Tragödien reiche Geschichte des Landes konzentriert sich Schopflocherin ganz und gar in seinem thematisch hochaktuellen Roman "Die verlorenen Kinder". Natürlich handelt es sich dabei um die schon öfter thematisierten geraubten Kinder ermordeter politischer Gefangener, die in der Militärdiktatur an Günstlinge des Regimes zur Adoption gegeben wurden. Außerdem aber zählen hier zu den "verlorenen Kindern" auch die Söhne und Töchter des Bürgertums, die sich auf die Seite der linken Untergrundbewegung geschlagen haben.
"Die sogenannten Sicherheitskräfte hatten Adriana bei der Verteilung von Flugblättern erwischt. Das erfuhr Enrique von einer ihrer Kameradinnen. Nur einen Tag später wurde auch Pablo Vergara gefasst, der Erzeuger des in ihr heranreifenden Kindes. Angeblich hatte er eine Zeitbombe unter dem Auto eines Offiziers angebracht, die gerade noch rechtzeitig entschärft worden war. Es hatte den Anschein, dass bei seiner Verhaftung Verrat im Spiel gewesen war."
Als der Romanheld Enrique Miliani 2006, nach etlichen Berufsjahren im Ausland, nach Buenos Aires zurückkommt, wird er mit den von der Diktatur verursachten Wunden und Konflikten konfrontiert und er erlebt die widersprüchlichen Anstrengungen der Kirchner-Regierung, die Vergangenheit zu bewältigen und daraus zugleich politisches Kapital zu schlagen. Die Perspektive des Neuankömmlings gibt dem Autor reichlich Gelegenheit ein ganzes Panorama des öffentlichen Lebens und der jüngeren Entwicklung Argentiniens zu entrollen.
"So ein ganz argentinischer Autor war ich nie. Denn meinen deutschen Akzent, so ganz habe ich ihn ja nicht verloren. Wenn ich irgendjemanden kennenlerne und zu reden anfange, ist die erste Frage: De donde viene? Wo kommen Sie her? Wenn ich dann sage, aus Deutschland, lautet dann die zweite Frage: In welchem Jahr kamen Sie nach Argentinien? Diese Fragen, die beweisen ja, dass ich so ein ganz waschechter Argentinier nie wurde. "
Schopflocher entschied sich schließlich dafür, seine literarischen Texte auf Deutsch zu schreiben. Seit 1998 sind zehn Titel erschienen, Autobiografisches, Erzählungen, Romane, auch Gedichte. Aus dem argentinischen Schriftsteller wurde ein deutschsprachiger. Die Geburtsstadt Fürth dankte dem vertriebenen Sohn die Rückkehr in die Sprache seiner Herkunft mit dem Jakob-Wassermann-Literaturpreis. Dennoch hat Schopflocher mit dem Wechsel seiner Schreibsprache nichts von seinen drei Welten aufgegeben. Das beste Beispiel dafür sind seine jüngsten Bücher, die schon mehrfach zitierte Autobiografie "Weit von wo" und sein kürzlich erschienener Roman "Die verlorenen Kinder".
In seinen Erinnerungen beschreibt Schopflocher mit dem Informationsreichtum eines Sachbuches die Stationen seines Lebens und die manchmal schwierigen Wege, auf denen er dorthin gelangte: die Zeit der Weimarer Republik; die Bildungsgeschichte seiner Jugend, für die sich der zunächst unfreiwillige Besuch des jüdischen Landschulheims Herrlingen als Glücksfall erwies; die antisemitische Verfolgung; Emigration und Neuanfang; das Leben in Argentinien zwischen Peronismus, demokratischen Episoden und Diktatur bis hin zur Gegenwart. Manches von den Brückenschlägen, die dieses Lebens mit sich brachte, klingt schon im ersten Kapitel an. Hier ein Auszug, gelesen vom Autor selbst.
"Und so kam es auch, dass ich erst seit 1937 an den Ufern des Rio de la Plata lebe, des Silberstroms, der seinen Namen zu Unrecht führt. Nur als ein Silberstreifen der Hoffnung erwies er sich für die Flüchtlinge, die in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der ihnen zugedachten Endlösung entrinnen wollten. Ein Silberstreifen, der ein gutes Jahr nach unserer Landung seinen Glanz einbüßte, als die Gespensterschiffe von einem Atlantikhafen zum nächsten irrten, in der Bemühung, ihre menschliche Fracht mit der verfemten Rasse, dem teuer erkauften, aber fragwürdigen Visum und dem roten Judenstempel im Pass loszuwerden. Sehr oft erfolglos."
Wie viele andere Länder bot auch Argentinien, das zudem mit Hitler und Mussolini sympathisierte, jüdischen Flüchtlingen nur begrenzt einen sicheren Hafen. Auf die an Widersprüchen, Missständen und Tragödien reiche Geschichte des Landes konzentriert sich Schopflocherin ganz und gar in seinem thematisch hochaktuellen Roman "Die verlorenen Kinder". Natürlich handelt es sich dabei um die schon öfter thematisierten geraubten Kinder ermordeter politischer Gefangener, die in der Militärdiktatur an Günstlinge des Regimes zur Adoption gegeben wurden. Außerdem aber zählen hier zu den "verlorenen Kindern" auch die Söhne und Töchter des Bürgertums, die sich auf die Seite der linken Untergrundbewegung geschlagen haben.
"Die sogenannten Sicherheitskräfte hatten Adriana bei der Verteilung von Flugblättern erwischt. Das erfuhr Enrique von einer ihrer Kameradinnen. Nur einen Tag später wurde auch Pablo Vergara gefasst, der Erzeuger des in ihr heranreifenden Kindes. Angeblich hatte er eine Zeitbombe unter dem Auto eines Offiziers angebracht, die gerade noch rechtzeitig entschärft worden war. Es hatte den Anschein, dass bei seiner Verhaftung Verrat im Spiel gewesen war."
Als der Romanheld Enrique Miliani 2006, nach etlichen Berufsjahren im Ausland, nach Buenos Aires zurückkommt, wird er mit den von der Diktatur verursachten Wunden und Konflikten konfrontiert und er erlebt die widersprüchlichen Anstrengungen der Kirchner-Regierung, die Vergangenheit zu bewältigen und daraus zugleich politisches Kapital zu schlagen. Die Perspektive des Neuankömmlings gibt dem Autor reichlich Gelegenheit ein ganzes Panorama des öffentlichen Lebens und der jüngeren Entwicklung Argentiniens zu entrollen.
Als Schriftsteller zum Weltenvermittler
Durch sein Leben zwischen drei Welten ist Robert Schopflocher als Schriftsteller zum Vermittler zwischen diesen Welten geworden. Fast immer ist sein Erzählen zugleich Erklären, Referieren, Kommentieren. Dadurch bietet er ein sozialhistorisch vielschichtiges Bild von Argentinien, wie es sich so schnell in keinem anderen Erzählwerk finden lässt. Und in seiner Sprache bleiben die Spannen der Erfahrung, die er in seinem Leben ausgemessen hat, allenthalben spürbar.
"Ich glaube, dass ich noch heute im Stil schreibe der zwanziger, dreißiger Jahre. Das damals Erlebte ist doch von einschneidender Wichtigkeit für mich gewesen, weil es die Weichen meines ganzen Lebens irgendwie stellte."
"Ich glaube, dass ich noch heute im Stil schreibe der zwanziger, dreißiger Jahre. Das damals Erlebte ist doch von einschneidender Wichtigkeit für mich gewesen, weil es die Weichen meines ganzen Lebens irgendwie stellte."