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"Ein Machtkampf zwischen verschiedenen Clans"

Für den Politologen Michael Lüders steht hinter der gegenwärtigen Führungskrise in Pakistan nach der Festnahme des Regierungschefs ein Machtgerangel rivalisierender Clans. Zugleich sei der Zerfall des Landes besorgniserregend. Pakistan könne dem Westen noch "um die Ohren fliegen".

Michael Lüders im Gespräch mit Dirk Müller | 16.01.2013
    Dirk Müller: Das Riesenland ist in Unruhe, wieder einmal: Pakistan. Seit Jahren schaut der Westen äußerst besorgt auf die Entwicklung, nicht nur in der Hauptstadt, in Islamabad; es umfasst viele Regionen. Die Politik wird immer wieder von neuen Skandalen erschüttert, Korruption und Vetternwirtschaft sind erneut die Vorwürfe. Jetzt geht es gegen den Regierungschef. Der Oberste Gerichtshof hat angeordnet, diesen festzunehmen, diesen zu verhaften. Zugleich schürt ein einflussreicher Geistlicher die Stimmung gegen das gesamte politische System. Die Folge davon: eine aufgeheizte Stimmung und Massenproteste. Pakistan im politischen Chaos - unser Thema mit Politikwissenschaftler und Pakistankenner Michael Lüders. Guten Tag, Herr Lüders.

    Michael Lüders: Schönen guten Tag, Herr Müller. Hallo!

    Müller: Herr Lüders, ist das klar, wer Pakistan regiert?

    Lüders: Nein, im Augenblick ist das überhaupt nicht klar. Die Verhältnisse in Pakistan sind sehr chaotisch und für Europäer nicht ganz einfach zu verstehen, weil wir die politischen Verhältnisse, wie sie in Pakistan herrschen, Gott sei Dank lange überwunden haben. Seit Pakistan unabhängig ist, seit 1947, hat es immer nur einige wenige Großgrundbesitzer-Familien gegeben, die dieses Land abwechselnd beherrscht haben, von der Hauptstadt Islamabad aus. Am bekanntesten in Deutschland ist der Bhutto-Clan. Die Bhuttos kontrollieren die größte Provinz, den Sindh, mit der Hafenstadt Karatschi als Nabel zur Welt. Benazir Bhutto, sie wurde ermordet 2007, und ihr Mann, Zardari, ist jetzt Präsident in Pakistan. Das muss man wissen, um diesen Konflikt zu verstehen, denn dieser Konflikt ist ein Machtkampf zwischen verschiedenen Clans um die Macht. Der engste Vertraute von Staatspräsident Zardari ist der Premierminister Ashraf, der jetzt unter Anklage steht, und der Chef des Verfassungsgerichtes, Shodri, ist ein Intimfeind beider. Er versucht, einen anderen Clan aus einer anderen Provinz bei den Wahlen, die spätestens im Mai stattfinden sollen, an die Macht zu bringen. Das ist alles Teil eines wirklich sehr abgebrühten politischen Spieles. Übrigens alle Politiker in führenden Positionen in Pakistan werden zurecht beschuldigt, korrupt zu sein. Zardari, der Präsident selbst, ist wiederholt unter Anklage gestellt worden, unter anderem wegen Mordversuches und endemischer Korruption, aber diese Anklagen haben nie gefruchtet. Sie sind immer eingestellt worden gegen Zahlung von entsprechenden Beträgen, und so wird es wahrscheinlich auch in diesem Fall sein.

    Müller: Jetzt habe ich schon drei Fragen streichen müssen, Herr Lüders, die ich Ihnen stellen wollte. Aber ich versuche das noch mal, bei dem einen Punkt nachzuhaken, vielleicht ein bisschen in Anführungszeichen. Muss ein pakistanischer Politiker, der zur Elite gehört, korrupt sein?

    Lüders: Das ergibt sich fast zwangsläufig. Selbst wenn er es möglicherweise persönlich gar nicht sein sollte, ist das System so darauf angelegt, dass es gar nicht anders geht. Denn wenn ich Macht habe in Pakistan, dann muss ich die Leute, die mich unterstützen, mit finanziellen Mitteln unterstützen. Ich muss ihnen Jobs geben, eine Perspektive, ich muss sie unterbringen im Staatsapparat. Und dieser Staatsapparat ist zutiefst korrupt. Diese ganzen feudalen Strukturen, die für Pakistan kennzeichnend sind, sind eigentlich nicht geeignet, die immensen Probleme dieses Landes, das im Begriff steht, ein gescheiterter Staat zu werden, zu lösen - nicht einmal ansatzweise. Aber es gibt keine Institution, mit Ausnahme der Armee, die in der Lage wäre, aus diesem Sumpf noch irgendetwas abzuleiten wie eine Richtung. Das ist auch der Grund, warum die Armee diesen völlig obskuren Prediger, Muhammad al-Kadri, der wie aus dem Nichts aufgetaucht ist - er hat lange in Kanada gelebt, nun tritt er auf als moralischer Erneuerer -, das ist der Versuch der Armee, wahrscheinlich ist es so zu interpretieren, die genauen Einzelheiten kennen wir noch nicht dieses Mannes, es ist der Versuch, die Regierung unter Druck zu setzen: Wenn ihr, die politische Kaste, es nicht schafft, diesen Saustall, wenn ich das so sagen darf, aufzuräumen, dann werden wir neue politische Akteure aufs Schild setzen, die dieses Land nach vorne bringen. Das ist die Botschaft der Armee, die jetzt an die politische Klasse gerichtet wird.

    Müller: Könnte dieser Geistliche, der im Moment in den Medien ja hoch gehandelt wird, al-Kadri, Sie haben ihn gerade erwähnt, eine Art Chomeini werden?

    Lüders: Nein, das mit Sicherheit nicht, denn er hat überhaupt gar keinen Apparat hinter sich. Jedenfalls wissen wir darüber gar nichts. Auch pakistanische Kommentatoren sind relativ ratlos noch, wie sie ihn einordnen sollen. Er ist bislang weitgehend eine One Man Show. Er ist jemand, der sich selber vermarktet, wahrscheinlich mit Billigung und Unterstützung der Armee, ohne die in Pakistan eigentlich nichts geht, aber er hat keinen Apparat hinter sich, keine Leute, die wir kennen würden. Insofern könnte er eine Flamme sein, die schnell verglüht. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass er sich einen solchen Apparat in der Folgezeit noch aufbaut. Es ist durchaus zu verstehen, dass Leute mit leichten Heilsversprechen, wie er sie bietet, so großen Rückhalt finden. Pakistan hat 140 Millionen Einwohner, das Land ist größer als Deutschland und Frankreich zusammen und 70 Prozent dieser 140 Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Das heißt, dass jeder, der kommt und Erlösung verspricht, zunächst einmal auch gehört wird, zumal viele Pakistaner dem wachsenden Einfluss der Taliban in Pakistan etwas entgegensetzen wollen.

    Müller: Wann werden wir uns, Herr Lüders, hier an gleicher Stelle im Deutschlandfunk über den Putsch in Pakistan unterhalten?

    Lüders: Ich glaube nicht, dass die Armee unmittelbar plant, einen Putsch durchzuführen, denn dann wäre sie selber verantwortlich für das, was in der Politik geschieht. Sie hat ja auch mit Präsident Musharraf über Jahre einen Präsidenten aus eigenen Reihen gehabt, der ebenfalls durch Putsch 1998 an die Macht kam, und man war froh, am Ende dann an den Bhutto-Clan die Macht übergeben zu können, um sich im Hintergrund zu halten. Es ist aber besorgniserregend, wie sehr dieses Land Pakistan zerfällt. Die Taliban haben einen sagenhaften Siegeszug in Pakistan angetreten, als Ergebnis des Krieges in Afghanistan. Und vergessen wir nicht, dass Pakistan über Atombomben verfügt, und es ist keineswegs ausgeschlossen, dass diese eines Tages in die falschen Hände fallen.

    Müller: Wir führen Krieg in Afghanistan - bleiben wir bei diesem Stichwort -, und viele Experten, Beobachter, auch viele Militärs sagen ja inzwischen, oder vielleicht auch schon länger, aber es kommt immer häufiger vor, Afghanistan ist nicht das Problem, sondern Pakistan. Ist das so?

    Lüders: Ja, in der Tat. Mittlerweile hat sich der Konflikt in Afghanistan so sehr auf Pakistan verlagert, dass der Krieg in Afghanistan zunehmend auch in Pakistan selbst geführt wird. Die Amerikaner führen regelmäßig Drohnen-Angriffe auf Taliban-Führer und auf ganze Dörfer und Ortschaften im pakistanischen Grenzgebiet durch. Das Bombardement in Afghanistan hat die Taliban-Führer in Richtung Pakistan vertrieben, und dort haben sie neuen Rückhalt gefunden. Es sind vor allem die Paschtunen, die diese Taliban unterstützen. Die Paschtunen stellen die Mehrheit der Bevölkerung in Afghanistan, aber nur eine diskriminierte Minderheit in Pakistan. Also können die Taliban gedeihen in Pakistan, sind dort ein eigener Machtfaktor geworden, und man muss sagen, dass die westliche Kriegsführung in Afghanistan, der Versuch, der als gescheitert anzusehen ist, die Taliban dort endgültig zu besiegen, zur Folge hatte, dass in Pakistan der Kollateralschaden mittlerweile so groß ist, dass am Ende Pakistan auseinanderfallen könnte, ähnlich wie das auch in Afghanistan geschehen kann.

    Müller: Können die Amerikaner, kann Washington in irgendeiner Form noch mitspielen?

    Lüders: Das ist sehr schwer, weil das Kind eigentlich schon in den Brunnen gefallen ist. Aber ich sage mal so: Die pakistanische Armee und auch die Regierung sind in einer schwierigen Situation, weil sie einerseits dafür sind, dass die Amerikaner die Taliban auch in Pakistan bekämpfen, aber andererseits sind diese Aktionen der Amerikaner, denen Hunderte von pakistanischen Zivilisten schon zum Opfer gefallen sind, völlig Unschuldige, die hier getroffen wurden, das alles führt zu einer enormen Emotionalisierung der Öffentlichkeit in Pakistan. Und auch die Tötung von Osama Bin Laden im Mai 2011 war natürlich eine Demütigung für die pakistanische Regierung und die pakistanische Armee, die möglicherweise gewusst haben von Osama Bin Laden, aber eben die Amerikaner haben diese Aktion durchgeführt und damit den pakistanischen Staat brüskiert. Damit hat man den Zentralstaat, der ohnehin sehr schwach ist in Pakistan, weiter geschwächt, und man muss sagen, die Nutznießer sind wirklich eher die radikalen Islamisten, sprich die Taliban, weniger obskure Prediger wie dieser Muhammad al-Kadri.

    Müller: Jetzt haben wir die USA schon ausgeschlossen, Sie haben das gerade beschrieben, die Inder werden auch wenig zur Stabilität in Pakistan beitragen wollen. Welche Macht hat noch Einfluss in Islamabad?

    Lüders: Im Grunde genommen gibt es keine Macht von außen, die hier Einfluss nehmen könnte. Aus indischer Sicht ist das natürlich "alles durchaus erfreulich", was in Pakistan passiert, denn Pakistan hat im Augenblick mit der eigenen Innenpolitik, vor allem mit gewalttätigen Islamisten, viel mehr zu tun als mit dem eigentlichen Konflikt in Kaschmir, in Indien. Eine Lösung kann es wohl nur geben, wenn es eine regionale Neuordnung gibt, ein Reden miteinander. Das schließt ausdrücklich mit ein, dass man auch Akteure wie den Iran einbezieht in eine politische Lösung, die eben nicht nur Pakistan allein betreffen kann, sondern auch Afghanistan, Iran und Indien. Aber das wird es ebenso wenig geben wie im Falle des Syrien-Krieges. Die Protagonisten begegnen sich als Feinde, als Gegner, es geht immer um Macht und Einfluss und nicht darum, Konflikte zu lösen. Am Ende aber könnte uns Pakistan tatsächlich sinnbildlich gesprochen um die Ohren fliegen.

    Müller: Der Politikwissenschaftler und Pakistan-Kenner Michael Lüders heute Mittag im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.


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