"Wer ist der Mann deines Lebens?" Wird einer Frau diese Frage gestellt, ist das nicht weiter überraschend. Aber wenn ein heterosexueller Mann gefragt wird, wer der Mann seines Lebens sei und wenn er dann auch noch aufgefordert wird, darüber zu schreiben, wie reagiert er? Denkt er: Der Mann meines Lebens, vergiss den Mist, den Teufel werde ich tun, mich lächerlich zu machen.
Oder erkundigt er sich erst mal nach dem Honorar, das eine Antwort einbringt? Oder sagt er: Ja, tolles Thema, da gibt es mehrere Männer, die infrage kommen, ich mach mal eine Liste!
Gedanken dieser Art sind Christian Zaschke durch den Kopf gegangen, bevor er eine Liste gemacht hat. Der Autor und Journalist ist einer von zwölf mehr oder weniger bekannten Männern, die vom Mann ihres Lebens erzählen. Wer sind diese Männer, die das Zeug haben für einen anderen Mann zu einer zentralen Lebensfigur zu werden?
Oder Mikael Krogerus. Er erinnert sich an den Geliebten seiner Mutter, der sechs Jahre lang eine Art Vater für ihn war. "Ein verspielter Typ mit ansteckender Leidenschaft, voller Lebensfreude und Energie. Ein Mensch, in dessen Gegenwart das Leben wie ein Abenteuer schien”.
Der Mann, von dem Krogerus hier eindrucksvoll erzählt, wird auf wenigen Seiten so lebendig, dass man den Autor um diesen Stiefvater beneidet, der mit Hingabe die Vaterrolle übernimmt. Er lernt von seinem Stiefvater, dass es wichtigere Dinge gibt, als zu arbeiten: Zeichnen, Fußball spielen, Gitarre spielen, Begeisterung für Utopien, Neugierde und Lust aufs Leben, dass man Menschen, die man gern hat, in den Arm nehmen muss, und er lernt, wie es ist, die Angst zu besiegen, bevor das Kanu kentert. Auch diese Beziehung ist gekentert. "warum warst du weg, als ich dich wirklich brauchte?” fragt er in seinem fiktiven Brief. Der gefühlvolle, sorglose, großzügige, unangepasste Stiefvater wird zu einer "Vater Morgana" - so der Titel der Erzählung von Mikael Krogerius.
Aber was ist denn mit den tatsächlichen, den leiblichen Vätern? Es ist erstaunlich, dass für sie in diesem Buch kein Platz ist.
Joseph von Westphalen. Er hat seinen Vater nicht gekannt. Er fiel vor der Geburt des Sohnes. Es gab auch keine Ersatzväter in der Nachkriegskindheit. "Vielleicht ist das entspannte und angstfreie Aufwachsen ohne Vater der eine Grund, warum ich nie zu Männern aufblicken konnte”, schreibt er. Auf der Suche nach einem Idol, das sich als Mann seines Lebens eignen könnte, verwirft Joseph von Westphalen nach einigen scharfsinnigen Überlegungen mögliche Ersatz-Väter: Shakespeare-Helden, Gottfried Benn, Bob Dylan, Woody Allen, auch seine Verleger und Kritiker. Nachdem seine Suche nach einer prägenden männlichen Gestalt nicht sehr ergiebig war, verfällt er sogar auf die Idee, den Tod zum Mann seines Lebens zu erklären. Doch auch dieser zerfällt nach einigen pointierten Reflexionen zu einem "jämmerlichen Gespenst, das diese Auszeichnung nicht verdient hat”. Letzten Endes leuchtet eine biblische Gestalt auf. Esau, ein freier Mann, der auf Konventionen und die Pläne seiner Eltern pfeift.
So weit zurück, bis in alttestamentarische Zeiten, führt der Weg der anderen Autoren auf der Suche nach dem Mann ihres Lebens nicht. Harry Rowohlt reagiert mit einer Satire, in der sein Klassenlehrer das Rennen macht. Für Claudius Seidl ist es sein alter Mathelehrer. Cord Riechelmann wählt seinen geistigen Mentor, den Religionsphilosophen Jakob Taubes. In das Reich der Fiktion führt die Suche von Jakob Hein. Der Filmheld seiner Kindheit war der coole Colt Seavers. Jahrzehnte später erscheint Hein sein scheinbar unbesiegbarer Held zum Verzweifeln peinlich. "Das Entsetzen hätte kaum größer sein können”, schreibt er.
Für Robert Seethaler fällt die Wahl der zentralen Lebensfigur auf seinen alten Freund, einen mittlerweile verstorbenen Freund, der seine Präsenz bewahrt. Hier wird deutlich spürbar, was ein Mann einem anderen Mann bedeuten kann. Ohne seinen Empfindungen auszuweichen und frei von Sentimentalität versetzt Seethaler sich in die letzten Tage seines Freundes hinein, in sein Sterben. Sich so weit und so tief in die Beziehung zu einem anderen Mann hineinzuwagen, macht wohl nur Liebe möglich. In diesem Fall eine Liebe, die nichts mit Schwulsein zu tun hat.
Philipp Tingler war vermutlich der einzige Mann, für den die Frage nach dem Mann seines Lebens nicht besonders überraschend gewesen ist. Freimütig und humorvoll gibt er uns Einblick in sein Eheleben mit seinem englischen Ehegatten Richard. "Wo Richie ist, ist meine Comfort Zone”, schreibt Tingler. Wie diese sich gestaltet lässt sich in seiner Erzählung "Zürcher Idylle" nachlesen.
Diese Anthologie mit dem hingebungsvollen Titel "Der Mann meines Lebens" jedenfalls ist eine Komfort-Zone für alle, die sich anregen lassen wollen, über den Mann ihres Lebens nachzudenken. Eine ungewöhnliche Frage hat ein ungewöhnliches Buch hervorgebracht: Ein Abenteuerbuch, das von dem Wagnis einiger Männer erzählt, sich von einem anderen Mann emotional berühren zu lassen, seinen Wert anzuerkennen, ohne sich lächerlich zu machen. Ein Männerbuch wie noch keines zuvor, eines das von Lebensfreude und Schmerz erzählt, von Desillusionierungen und der Kostbarkeit von Illusionen. Und nebenbei befreit es auch von dem Verdacht, dass Hochachtung und Respekt unter Männern generell suspekt sein muss.
Christian Zaschke, Mikael Krogerus, u.a.: "Der Mann meines Lebens"
Kein & Aber, 176 S.,
19,90 Euro
Oder erkundigt er sich erst mal nach dem Honorar, das eine Antwort einbringt? Oder sagt er: Ja, tolles Thema, da gibt es mehrere Männer, die infrage kommen, ich mach mal eine Liste!
Gedanken dieser Art sind Christian Zaschke durch den Kopf gegangen, bevor er eine Liste gemacht hat. Der Autor und Journalist ist einer von zwölf mehr oder weniger bekannten Männern, die vom Mann ihres Lebens erzählen. Wer sind diese Männer, die das Zeug haben für einen anderen Mann zu einer zentralen Lebensfigur zu werden?
Oder Mikael Krogerus. Er erinnert sich an den Geliebten seiner Mutter, der sechs Jahre lang eine Art Vater für ihn war. "Ein verspielter Typ mit ansteckender Leidenschaft, voller Lebensfreude und Energie. Ein Mensch, in dessen Gegenwart das Leben wie ein Abenteuer schien”.
Der Mann, von dem Krogerus hier eindrucksvoll erzählt, wird auf wenigen Seiten so lebendig, dass man den Autor um diesen Stiefvater beneidet, der mit Hingabe die Vaterrolle übernimmt. Er lernt von seinem Stiefvater, dass es wichtigere Dinge gibt, als zu arbeiten: Zeichnen, Fußball spielen, Gitarre spielen, Begeisterung für Utopien, Neugierde und Lust aufs Leben, dass man Menschen, die man gern hat, in den Arm nehmen muss, und er lernt, wie es ist, die Angst zu besiegen, bevor das Kanu kentert. Auch diese Beziehung ist gekentert. "warum warst du weg, als ich dich wirklich brauchte?” fragt er in seinem fiktiven Brief. Der gefühlvolle, sorglose, großzügige, unangepasste Stiefvater wird zu einer "Vater Morgana" - so der Titel der Erzählung von Mikael Krogerius.
Aber was ist denn mit den tatsächlichen, den leiblichen Vätern? Es ist erstaunlich, dass für sie in diesem Buch kein Platz ist.
Joseph von Westphalen. Er hat seinen Vater nicht gekannt. Er fiel vor der Geburt des Sohnes. Es gab auch keine Ersatzväter in der Nachkriegskindheit. "Vielleicht ist das entspannte und angstfreie Aufwachsen ohne Vater der eine Grund, warum ich nie zu Männern aufblicken konnte”, schreibt er. Auf der Suche nach einem Idol, das sich als Mann seines Lebens eignen könnte, verwirft Joseph von Westphalen nach einigen scharfsinnigen Überlegungen mögliche Ersatz-Väter: Shakespeare-Helden, Gottfried Benn, Bob Dylan, Woody Allen, auch seine Verleger und Kritiker. Nachdem seine Suche nach einer prägenden männlichen Gestalt nicht sehr ergiebig war, verfällt er sogar auf die Idee, den Tod zum Mann seines Lebens zu erklären. Doch auch dieser zerfällt nach einigen pointierten Reflexionen zu einem "jämmerlichen Gespenst, das diese Auszeichnung nicht verdient hat”. Letzten Endes leuchtet eine biblische Gestalt auf. Esau, ein freier Mann, der auf Konventionen und die Pläne seiner Eltern pfeift.
So weit zurück, bis in alttestamentarische Zeiten, führt der Weg der anderen Autoren auf der Suche nach dem Mann ihres Lebens nicht. Harry Rowohlt reagiert mit einer Satire, in der sein Klassenlehrer das Rennen macht. Für Claudius Seidl ist es sein alter Mathelehrer. Cord Riechelmann wählt seinen geistigen Mentor, den Religionsphilosophen Jakob Taubes. In das Reich der Fiktion führt die Suche von Jakob Hein. Der Filmheld seiner Kindheit war der coole Colt Seavers. Jahrzehnte später erscheint Hein sein scheinbar unbesiegbarer Held zum Verzweifeln peinlich. "Das Entsetzen hätte kaum größer sein können”, schreibt er.
Für Robert Seethaler fällt die Wahl der zentralen Lebensfigur auf seinen alten Freund, einen mittlerweile verstorbenen Freund, der seine Präsenz bewahrt. Hier wird deutlich spürbar, was ein Mann einem anderen Mann bedeuten kann. Ohne seinen Empfindungen auszuweichen und frei von Sentimentalität versetzt Seethaler sich in die letzten Tage seines Freundes hinein, in sein Sterben. Sich so weit und so tief in die Beziehung zu einem anderen Mann hineinzuwagen, macht wohl nur Liebe möglich. In diesem Fall eine Liebe, die nichts mit Schwulsein zu tun hat.
Philipp Tingler war vermutlich der einzige Mann, für den die Frage nach dem Mann seines Lebens nicht besonders überraschend gewesen ist. Freimütig und humorvoll gibt er uns Einblick in sein Eheleben mit seinem englischen Ehegatten Richard. "Wo Richie ist, ist meine Comfort Zone”, schreibt Tingler. Wie diese sich gestaltet lässt sich in seiner Erzählung "Zürcher Idylle" nachlesen.
Diese Anthologie mit dem hingebungsvollen Titel "Der Mann meines Lebens" jedenfalls ist eine Komfort-Zone für alle, die sich anregen lassen wollen, über den Mann ihres Lebens nachzudenken. Eine ungewöhnliche Frage hat ein ungewöhnliches Buch hervorgebracht: Ein Abenteuerbuch, das von dem Wagnis einiger Männer erzählt, sich von einem anderen Mann emotional berühren zu lassen, seinen Wert anzuerkennen, ohne sich lächerlich zu machen. Ein Männerbuch wie noch keines zuvor, eines das von Lebensfreude und Schmerz erzählt, von Desillusionierungen und der Kostbarkeit von Illusionen. Und nebenbei befreit es auch von dem Verdacht, dass Hochachtung und Respekt unter Männern generell suspekt sein muss.
Christian Zaschke, Mikael Krogerus, u.a.: "Der Mann meines Lebens"
Kein & Aber, 176 S.,
19,90 Euro