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"Ein Mann, der Gedanken im Herzen trägt"

Adjutant im Krieg und schöngeistiger Freund von Goethe und Heine. Als der Publizist, Diplomat und Offizier Karl August Varnhagen von Ense vor 150 Jahren in Berlin starb, war sein Namen über die Grenzen Preußens bekannt. Diesen Ruhm verdankte er nicht zuletzt seiner Frau Rahel, geborene Levin. In der gemeinsamen Korrespondenz des Paares spiegelt sich nicht nur ein abenteuerlicher Lebenslauf, sondern auch die Widersprüche und Chancen des anbrechenden 19. Jahrhunderts.

Von Jochen Stöckmann | 10.10.2008
    1785 als Sohn eines Arztes in Düsseldorf geboren, wuchs Karl August Varnhagen in den Wirren der Französischen Revolution heran. Der Vater engagierte sich in der Politik. Die Familie führte ein unruhiges Leben. Karl August, der erst in Berlin und dann in Halle Medizin und Philosophie studiert hatte, versuchte auf ruhigeren Pfaden zu wandeln, verdiente sein Brot als Hauslehrer – und fand schließlich den Weg nach Weimar zu Johann Wolfgang von Goethe:

    "Der Besuch von Varnhagen von Ense, blieb mir, wie die Frommen sich auszudrücken gewohnt sind, nicht ohne Segen: denn was kann segenreicher sein, als wohlwollende, einstimmende Zeitgenossen zu sehen, die auf dem Wege, sich und andere zu bilden, unaufhaltsam fortschreiten?"

    Diese Lebensplanung eines jungen Kosmopoliten wird allerdings durcheinandergewirbelt von Napoleon: Gegen den französischen Eroberer zieht Varnhagen in die Schlacht, tauscht nach einer Verwundung den Säbel mit der Feder. Als der Oberst Friedrich Karl von Tettenborn 1813 die französischen Besatzer aus Hamburg vertreibt, ernennt er Varnhagen zu seinem Adjutanten. Mittlerweile zum Offizier befördert, muss sich der literarische Autodidakt als Propagandist bewähren. Hauptmann Varnhagen ist für die Presse zuständig, steigt dann in Preußen zum Diplomaten auf und erhält den alten Adelstitel der westfälischen Familie zurück. Aber Karriere ist nicht alles, Varnhagen möchte auch mit aller Welt gut Freund sein. Er verkehrt in den Salons mit Romantikern wie Chamisso oder Fouqué, ist im Zirkel der Reformer um Hardenberg gern gesehen. Und gerät so im Urteil der Nachwelt in den Ruf einer opportunistischen Plaudertasche. Der Historiker Heinrich von Treitschke schreibt:

    "Der eitelste und unzuverlässigste aller Diplomaten Preußens überschüttete den Hof mit unerbetenen Ratschlägen. In endlosen Berichten teilte er seine tiefgeheimen Nachrichten mit, fast durchweg wertlose Klatschereien."

    Gegen solch grobe Klötze hatte der eloquente Varnhagen sich schon früh mit spitzem Keil gewappnet. Vom preußischen Staat 1819 vorzeitig in den Ruhestand versetzt, resümierte er:

    "Gewiß hat keine Diplomatie eine solche Reihe schlechter und erbärmlicher Subjekte aufzuweisen, als die preußische: Verbrecher und Dummköpfe, Schufte, Wichte, Abenteurer, Lumpen."

    Die jüdische Schriftstellerin Rahel Levin hatte Varnhagen in diesem kritischen Blick bestärkt. 1814 heiratete der Diplomat die Muse von literarischen Größen wie Jean Paul oder Ludwig Tieck. Die Varnhagens korrespondieren mit ganz Europa, verfügen über ein Netzwerk von schier unglaublichen 9000 Briefpartnern. In ihrem gastlichen Berliner Haus können die beiden neben Alexander von Humboldt auch Heinrich Heine begrüßen. Und der hält große Stücke auf den Verfechter der Klassik:

    "Der bedeutendste Kämpe für Goethe war zu jeder Zeit Varnhagen von Ense, ein Mann, der Gedanken im Herzen trägt, die so groß sind wie die Welt, und sie in Worten ausspricht, die so kostbar und zierlich sind wie geschnittene Gemmen."

    Solche Stilfragen verloren mit der aufkommenden Restauration an Bedeutung. Auch Varnhagen engagierte sich politisch, tendierte zu den utopischen Vorstellungen eines Henri de Saint-Simon, der Adel, Klerus und bürgerliche Rentiers als "parasitäre" Klassen abtat. Zeitkritik blitzt auch auf in einem halben Dutzend "Biographischer Denkmale", den Tausenden von "Tageblättern" und stattlichen 14 Bänden mit Briefen, mit denen Varnhagen wie kaum ein anderer Einblick gibt in seine Epoche. Im Februar 1855 etwa, dreieinhalb Jahre vor seinem Tod am 10. Oktober 1858, charakterisiert der scharfsichtige Beobachter die damalige Berliner Prominenz:

    "Die Gesellschaft hier ist in einem traurigen Zustande, üppig, und nicht reich, gebildet und abgeschmackt, hoffärtig und gemein, frömmelnd und hasserfüllt. Die sogenannte Bildung hat sich mit der tiefsten Schlechtigkeit verbunden, dient für diese zum Zierrat."