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Ein Marathon für Äthiopien

Äthiopien dominiert seit zwei Jahrzehnten den Langstreckenlauf. Harte Arbeit und angenehme klimatische Bedingungen auf durchschnittlich rund 3000 Höhenmetern liefern den äthiopischen Athleten optimale Trainingsbedingungen. Bloß einen großen Lauf von internationalem Standard wie den Boston oder Berlin Marathon gibt es nicht. Warum eigentlich?

Von Benno Müchler |
    Startschuss beim Great Ethiopian Run in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. Rund 36.000 Menschen machen sich an einem strahlenden Sonntagmorgen auf die 10 Kilometer lange Strecke einmal quer durch die Stadt. Äthiopiens Läuferikone Haile Gebrselassie gründete den Volkslauf vor elf Jahren. Er wollte Spenden für gute Zwecke sammeln, seine Landsleute zum Sportmachen animieren und einen Lauf von internationalem Standard in seine Heimat holen. Letzteres hat bislang nicht geklappt. Zwar stimmen die Zeiten beim Volkslauf. Doch ausländische Topathleten bleiben dem Rennen fern. Für nur 1600 Euro Preisgeld kommt niemand nach Addis, um sich dort in der dünnen Höhenluft Äthiopiens Laufspezialisten zu stellen.

    Das könnte sich jedoch schon bald ändern, wenn man dem Optimismus von Geschäftsmann Joseph Kibur folgt. Nach einer kurzen Läuferkarriere ging der gebürtige Äthiopier mit kanadischem Pass zurück nach Äthiopien, eines der ärmsten Länder der Welt, das jedoch seit fünf Jahren zweistellige Wachstumsraten erzielt:

    "Äthiopien versucht Touristen zu gewinnen. Der Sporttourismus ist für uns ein sehr wichtiger Bereich, da wir berühmt sind für unsere Erfolge beim Langstreckenlauf. Es macht also nur Sinn, das als Mittel zu nutzen, um ausländische Athleten in unser Land zu locken, die wissen wollen, was unser Geheimnis ist. Klar, wir haben ein Hochland, aber das haben auch Mexiko und andere Länder. Bloß sind die nicht so erfolgreich wie wir. Es muss also etwas geben, dass äthiopische Läufer einzigartig macht."

    Vor einem Jahr gründete Kibur das Yaya Village, ein hochmodernes Trainingszentrum außerhalb von Addis Abeba mit Spa, Fitnessstudio, Luxuszimmern und bester Lage zu tollen Laufstrecken auf rund 3000 Höhenmetern. Eine halbe Stunde entfernt liegt der Entoto-Berg. Die flache Bergkuppe ist ein Mekka für Läufer und schimmert golden in der Ferne, als Kibur von einer Dachterrasse aus das Gelände beschreibt. Augenblicklich sind Topathleten aus Djibouti, Qatar und Großbritannien zu Gast.

    Geschäftsmann Kibur sagt, Äthiopien ist erst am Anfang, sein Potenzial zu nutzen. Eine Veranstaltung wie den Berlin Marathon in Äthiopien zu organisieren, das könnte schon in fünf Jahren geschafft sein. Ein Mangel an Preisgeld sei nicht das Problem.

    "Wir haben viele einheimische Unternehmen, die eine solche Veranstaltung unterstützen könnten. Ethiopian Airlines, die Äthiopische Kommerzbank. Das sind riesige Unternehmen. Wir sind da nicht unbedingt auf ausländische Hilfe angewiesen. Was wir aber wahrscheinlich brauchen werden, ist die Hilfe der ausländischen Sportverbände, wenn es darum geht, Werbung für eine solche Veranstaltung zu machen, da die bessere Geschäftsverbindungen haben als wir."

    Tatsächlich arbeitet dieser Tage schon jemand fiebrig an einem Marathon in Äthiopien. Wer, wenn nicht Lauf-Altmeister Haile Gebrselassie. Der hatte auch beim Yaya-Village seine Finger im Spiel und ist einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner des Landes. Sein Manager, Ermias Ayele, glaubt, dass der Haile-Marathon, der im nächsten Jahr zum ersten Mal stattfinden wird, sich zu einer festen internationalen Großveranstaltung entwickeln kann.

    "In den letzten Jahren haben wir darüber nachgedacht, wie wir unsere Wettbewerbe über die 10 Kilometer und den Halbmarathon ausbauen können. Mit dem neuen Marathon wollen wir vor allem internationale Läufer anziehen und Freizeitläufer von der ganzen Welt. Das Rennen findet in Hawassa statt, das liegt nicht so hoch wie Addis. Wir planen mit 1000 Teilnehmern im ersten Jahr."

    20.000 Dollar in Form von Goldunzen gibt es für den Sieger. Auch für internationale Läufer eine attraktive Summe. Dieses Geld könnten sie 270 Kilometer von Addis Abeba entfernt in Bekoji gut gebrauchen. Mit einem klapprigen Pferdekarren geht es über Kopfsteinpflaster zum Leichtathletikstadion. Esel versperren den Weg, Straßenhändler verkaufen Flip-Flops, Tomaten und Kohl.

    Die Kleinstadt Bekoji ist in ganz Äthiopien bekannt. Von hier kommen viele der aktuellen Weltrekordhalter und olympischen Goldmedaillengewinner. Der Mann, der sie alle trainiert hat, heißt Sentayehu Eshetu.

    "Die erste Athletin, die ich trainierte, war Derartu Tulu. Dann kamen Tirunesh Dibaba, Kenenisa, Tariku, Genzebe, die Gewinnerin des London Marathon Tiki Gelana, und so weiter."

    Fünfmal die Woche trainiert Coach Eshetu hunderte Kinder und Jugendliche. Er kämpft mit kleinen Mitteln. Mit Holzspänen zieht er die Laufspuren für einen Wettbewerb. Die 400 Meter lange Bahn des Stadions ist nicht mehr als ein Trampelpfad aus Erde und Stein.

    "Wie Du siehst, ist unsere Laufstrecke sehr schlecht. Für acht Spuren ist nicht genug Platz. Wir machen wahrscheinlich nur vier."

    Das Sichtungszentrum Bekojis will durch einen Sprintwettbewerb drei junge Läuferinnen über die 200 und 400 Meter für sein Förderprogramm finden. Auch das ändert sich dieser Tage in Äthiopien, der nationale Leichtathletikverband verlagert seinen Fokus. Warum in Zukunft nicht auch über die Kurzstrecke Gold gewinnen? Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Fitnessgeräte haben sie in Bekoji nicht, nur Berghänge und die Höhenluft. Die 17-jährige Siegerin über die 200 Meter kommt mit 28 Sekunden 40 und barfüßig ins Ziel.