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Ein Meter für die Ökonomie und gegen die Ökologie

Kurz vor der Bürgerschaftswahl in Bremen steht die Weservertiefung im Mittelpunkt des Interesses: Die Befürworter wollen die Vertiefung, damit der Hafen wettbewerbsfähig bleibt. Die Kritiker lehnen sie im Namen des Arten- und Hochwasserschutzes ab.

Von Christina Selzer |
    Ein Meter mehr – und das auf einer Länge von 100 Kilometern, von der Nordsee bis nach Bremen. Darum tobt der Streit über die Weservertiefung. Mit dem einen Meter mehr sollen auch die ganz großen Containerschiffe mit einem Tiefgang von fast 14 Metern die Häfen in Bremerhaven, an der Unterweser und natürlich Bremen selbst anlaufen können – und das unabhängig von Ebbe und Flut.

    Umweltschützer halten den Eingriff für fatal. Für eine ökologische Katastrophe. Die Weservertiefung würde zu gravierenden Schäden des Ökosystems und der angrenzenden Marschflächen führen, so Martin Rode von der Umweltorganisation BUND in Bremen. Das Brackwasser werde salzhaltiger und die Strömung stärker:

    "Das bedeutet, dass wir eine Veränderung der Strömungsverhältnisse haben, dass der Fluss sich selbst weiter vertieft und in den Seitenräumen die Zonen verschlicken, das sind Flachwasserzonen, das sind die produktivsten und wichtig als Fischkinderzimmer."

    Seit 1880 wurde die Weser schon zehnmal vertieft. Der Tidenhub in Bremen stieg dadurch auf 4 Meter 50. Wenn noch mehr gebaggert werde, steige die Hochwassergefahr entlang der Weser, bis nach Bremen, befürchtet auch der Deichvorsteher der Hansestadt, Michael Schirmer:

    "Sturmfluten sind ein richtiges Problem für Bremen, weil durch die Schiffbarmachung der Unterweser im vorvergangenen Jahrhundert Sturmfluten aus der Nordsee direkt in die Unterweser und nach Bremen kommen."

    Gegen einen weiteren Ausbau der Weser sind auch die Landwirte. Vor allem an der Unterweser, dem Stück zwischen Nordenham und Brake, fürchten sie, dass sich die Brackwasserzone verschiebt und salzhaltiges Wasser in die Viehtränken spült. Peter Cornelius, der Vorsitzendes des Landvolks Wesermarsch:

    "Wir haben ein empfindliches Ökosystem, wir nehmen das Wasser, um unser Vieh zu tränken. Wenn wir zu viel Wasser haben, dann leiten wir das wieder in die Nordsee. Dieses System ist einzigartig und wird gefährdet, wenn der Salzgehalt zu hoch ist, deshalb lehnen wir die Vertiefung ab."

    Unterdessen wird auch in der rot-grünen Koalition in Bremen darüber gestritten. Dabei hatten die Grünen 2007 im Koalitionsvertrag mit der SPD die Kröte schon geschluckt und der Weservertiefung schweren Herzens zugestimmt. Jetzt, kurz vor der Bürgerschaftswahl im Mai kocht das Thema wieder hoch. Die SPD gibt sich wirtschaftsfreundlich, will so schnell wie möglich mit dem Baggern anfangen, die Grünen wollen noch abwarten, bis über eine Klage der Naturschutzorganisation BUND entschieden ist.
    Für den SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen steht aber fest: Die Vertiefung wird kommen:

    "Sie ist die Zukunft unserer Häfen, das ist die Geschäftsgrundlage der rot-grünen Koalition."

    Für die Kritiker sind die wirtschaftlichen Gründe dagegen nicht nachvollziehbar, weil zugleich die Elbe in Richtung Hamburg vertieft und in Wilhelmshaven gerade ein neuer Tiefwasserhafen, der Jade-Weser-Port gebaut wird.

    Der Vorschlag der Umweltschützer: Die ganz großen Schiffe sollen die Häfen in Wilhelmshaven und Hamburg ansteuern, die kleineren sollen nach Bremerhaven. Statt sich gegenseitig Konkurrenz zu machen, sollten die Hafenbetreiber zusammenarbeiten, fordert Martin Rode vom BUND. Das sei unrealistisch, hält Ralf Heinrich vom Wirtschaftsverband Weser dagegen. Er fürchtet wie alle deutschen Hafenbetreiber, ohne eine Weservertiefung gegenüber dem übermächtigen Konkurrenten Rotterdam ins Hintertreffen zu geraten. Und mit einer Ausrichtung der Verkehrsströme auf Rotterdam sei ökologisch auch nichts gewonnen.

    "Der Jade-Weser-Port wird nicht die Kapazitäten haben, die notwendig sind, wir brauchen auch Hamburg und Bremerhaven, um das Verkehrswachstum abfertigen zu können."

    Die Befürworter der Weservertiefung sind optimistisch: Sie gehen davon aus, dass die Bagger noch in diesem Jahr anrollen.