Archiv


Ein Münchener Original-Genie

Man hat ihm Sentenzen zu verdanken wie: "Die Zukunft war früher auch besser" oder: "Fremd ist der Fremde nur in der Fremde". Der Volkssänger Karl Valentin gilt längst als Klassiker der Hochkomik. Seine großen Bühnenerfolge feierte er während der goldenen Zwanziger nicht zuletzt in Berlin. Für Tucholsky war er der "Linksdenker", für Bert Brecht ein "blutiger Witz". Heute vor 125 Jahren wurde Karl Valentin in München geboren.

Von Michael Langer |
    Valentin (feierlich) " Liebe Rundfunkhorcher und Horcherinnen! Wir erlauben uns anlässlich ... aus der, ähm, anlässlich aus des Um- des Ein- äh, des Umzuges des Einzuges des ... "
    Karlstadt (genervt): " Geh, was reden's denn für einen Schmarrn zusammen! "
    Valentin (erbost): " Ja, ich werd' ja noch wissen, was ich red'! "

    Was er redete, wenn er so redete, wusste Karl, der Komiker von der spindeldürren Gestalt, genau. Je besser er war, desto umständlicher wurden seine umwerfenden Couplets, seine abgründigen Szenen und aberwitzigen Mini-Dramen. Anlässlich des Umstandes seines Geburtstages erlauben wir uns also nachträglich, aber ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er besonderen Wert auf seinen Rufnamen legte: Valentin heißt er und keinesfalls "Walentin" - denn, wie er zu sagen pflegte: Sie nennen Ihren Vater ja auch nicht Water.

    "Ich sing Ihnen jetzt ein ganz mieses Couplet vor. Über dieses Couplet können und sollen Sie auch nicht lachen. Nur ich selbst lach' nach jeder Stroph'. Allerdings kann ich nicht mehr so herzlich lachen wie früher. Ich hab' nämlich früher wunderbar lachen können, aber während der Inflationszeit hab' ich das Lachen verlernt. Ich kann nur noch gezwungen lachen, ungefähr so: hahahahahahaha"

    Dass (nach Jean Paul) der Ernst die Bedingung des Scherzes ist, war dem Künstler als Lebenskünstler bald klar. Geboren wurde das Sonntagskind, das mit bürgerlichem Namen Valentin Fey hieß, am 4. Juni 1882; aufgewachsen ist es als gefürchteter Lausbub im kleinbürgerlichen Milieu der Münchener Vorstadt Au.

    Nach dem frühen Tod des Vaters war die elterliche Möbelspedition dahin und Valentin hängte seinen erlernten Schreinerberuf gleichfalls an den Nagel, um Volkssänger zu werden. Es folgten entbehrungsreiche Wanderjahre als Musikclown Charles Fey, Engagements als Zitherspieler und Grimassenschneider und Blödsinnskönig, ehe ihm unter dem Namen Karl Valentin auf Münchens besten Bühnen endlich, als er auch schon fast dreißig war, der Durchbruch gelang.

    " Ein Fremder ist nicht immer ein Fremder.
    Wieso?
    Fremd ist der Fremde nur in der Fremde "

    Im Jahr 1911 hatte der begnadete Komiker seine famose Bühnenpartnerin kennen gelernt: Elisabeth Wellano, genannt Liesl Karlstadt. Mit ihr machte er die Kleinkunst erst richtig groß. Pummelig und untersetzt stand sie neben dem langen Elend mit den viel zu großen Schuhen und brillierte, übrigens auch in absurdesten Hosenrollen. In einer ihrer berühmtesten Nummern stießen die beiden einmal nicht im Ding-an-sich auf die Tücke des Objekts, sondern entdeckten gewissermaßen im Knödel die Grammatik:

    Karlstadt: " Semmelknödel sind Semmelknödel "
    Valentin: " -deln "
    Karlstadt: " Deln? "
    Valentin: " -deln! "
    Karlstadt: " Was deln?!? "
    Valentin: " Es heißt Semmelnknödeln! "

    München war bald zu klein für den Lokalmatador. Es folgten begeisternde Gastspiele in Zürich, in Wien und Berlin. Und selten wurde ein populärer Unterhaltungskünstler von Bildungsbürgern und Hochkultur derart geschätzt. Kurt Tucholsky zählte zu den Fans, Hermann Hesse war entzückt und Bertolt Brecht mochte ihn sowieso von Anfang an. Auch dass ein Dramatiker wie Samuel Beckett, der Valentin auf der Bühne erlebte, "viel und herzlich" über ihn lachte, wundert einen nicht, hatte das Münchener "Original-Genie" doch viele Sprüche wie diesen zuhauf im Programm: "Zuerst wartete ich langsam, dann immer schneller."

    " Ja, wo bleibst denn? - Bin scho da! "

    1937 wurde Valentins urkomischer, derber und berührender Film "Die Erbschaft" wegen "Elendstendenzen" von der NS-Zensur kassiert. Sein Humor taugte nicht mehr - weder für Durchhalteparolen noch für die Aufbruchsstimmung nach dem Krieg. Am Rosenmontag des Jahres 1948 starb - verarmt, halb verhungert und vom Publikum so gut wie vergessen - Karl Valentin. Was blieb und über die Jahre wuchs, ist sein Nachruhm.

    Valentin: " Wir erlauben uns anlässlich des Umzuges ... "
    Karlstadt:" Ah geh, hören's doch auf. "
    Valentin:" Ich hab's doch richtig gsagt, anlässlich des Auszuges - Sie machen mich ganz wirr! "