Christian Lehner: Tony Oursler, lassen Sie uns zu Beginn doch vom Ende reden, nämlich vom Abspann des Bowie-Videos. Da ist zu lesen: "Ein Film von Tony Oursler" und nicht "ein Videoclip". Warum?
Tony Oursler: Das war Davids Idee! Ich hätte das nie getan. Der Clip ist ja nun wirklich kein Film. Und so eitel bin ich auch nicht. Ich glaube, David wollte damit einfach nur Humor beweisen. Auf der anderen Seite war es aber durchaus eine Geste und Verneigung, denn Rockvideos haben normalerweise keine Credits.
Lehner: Sie und David Bowie kennen sich nun schon eine Weile. Was ist denn die Geschichte hinter dem Video? Wie ist denn das zustande gekommen?
Oursler: Vor einigen Monaten klingelte das Telefon. Es war David. Er sagte, ich solle sofort in sein Büro kommen. Ich bin also hin und das Erste, was er machte, war, mir dieses Blatt Papier unter die Nase zu schieben. "Unterschreiben!", befahl er mir. Es war eine schriftliche Vereinbarung, die mich zum Schweigen verpflichtete. Ich dachte: "Interessant!" und unterschrieb. Dann spielte er mir den Song vor. Es war fantastisch, seine Stimme zu hören. Endlich! Ein neuer, wunderbarer Bowie-Song! Nach über zehn Jahren!
Lehner: Wenn Sie sich an den Moment zurückerinnern, an dem Sie den Song zum ersten Mal gehört haben, sind Ihnen da sofort Bilder dazu eingefallen? Wie haben Sie sich künstlerisch kurzgeschlossen?
Oursler: Das lief anders. Da waren zwar Bilder, die kommen bei mir automatisch, aber ich war völlig auf die Musik konzentriert. Dann schlug David vor, das Video zu machen. Und noch ehe ich ein konkretes Bild im Kopf hatte, präsentierte er ein fertiges Konzept. Er hatte eine klare Vorstellung. Er meinte, dass wir Puppen verwenden könnten. Ich zu ihm: "Welche Puppen?" Er zeigte mir daraufhin die zwei Figuren, die ich 1997 für eines meiner Projekte mit ihm gebastelt hatte. Sie befanden sich immer noch in seinem Besitz! Sie waren der Ausgangspunkt für das Video. Dann kamen noch Projektionsflächen hinzu, die die Funktion von Kinoleinwänden übernehmen sollten. Wir arbeiteten mit verschiedenen Schichten von Erinnerung. Darum geht es ja auch in dem Song.
Lehner: Er wollte sozusagen einen typischen "Oursler"?
Oursler: Ja genau! Er hatte eine klare Vision: das Medium YouTube. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung. Die Geheimniskrämerei. Und mein Studio als Bühne für die Inszenierung. Es war wie eine Geburt und mein Atelier war der Kreißsaal. Was für eine wunderbare Sache!
Lehner: David Bowie war noch nie so zerbrechlich wie in Ihrem Video. Er wirkt irdisch und sterblich. Wohin wollten Sie mit dieser Bildersprache?
Oursler: In dem Song überschneiden sich private Erinnerungen mit dem kollektiven Gedächtnis. Die persönliche Geschichte trifft auf die historische, allgemeine. Berlin ist für Bowie eine zentrale Stadt. Hier ist seine berühmte Trilogie entstanden, hier hat er mehrere Jahre gelebt. Seit dem ist viel Zeit vergangen. Die Mauer ist gefallen. Die Stadt, Deutschland, ja ganz Europa hat sich verändert. Und natürlich auch er. Die Zerbrechlichkeit, von der Sie gesprochen haben, resultiert meiner Meinung nach aus der Analogie der geteilten Stadt und der konstanten Fragmentierung der Zeit in ein Gestern, Heute und Morgen. Das macht verletzlich, ist aber auch ein sehr poetischer und schöner Gedanke.
Lehner: Der New Yorker Künstler Tony Oursler im heutigen Corsogespräch. Herr Oursler, was fasziniert Sie an der Erscheinung David Bowies? Sie arbeiten ja sehr viel mit Gesichtern in ihrer Kunst.
Oursler: Ich habe über die Jahre mehrere Theorien zu ihm entwickelt. Als ich David das erste Mal gefilmt habe, war ich geschockt. Ich dachte: "Oh Gott, der sieht ja am Monitor mehr nach Bowie aus als im echten Leben!" Sein Gesicht ist ein Medium. Wir alle wissen, dass es fotogene Menschen gibt und solche, die im Fernsehen einfach hässlich aussehen. Mein Kinn verschwindet zum Beispiel fast zur Gänze. Bei David ist das umgekehrt. Mehr noch: Die Kamera macht ihn nicht nur schöner, er wirkt durch sie einfach kompletter als in der Realität.
Eine der großen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts war die Befreiung des Individuums von den gesellschaftlichen Zwängen. Ab nun war man in der Lage, sich eine eigene Identität zuzulegen. Klassenschranken und Armut konnten überwunden werden, durch Bildung zum Beispiel. David Bowie ist ein Symbol dieser Transformationsprozesse. Er wandelte durch die Zeiten, verformte sich und entwickelte sich ständig weiter. Mich fasziniert dieser Wandel, der nicht zuletzt durch Technologie vorangetrieben wird. Natürlich ist heute das Internet das ultimative Transformationsmedium.
Lehner: Herr Oursler. Lassen Sie uns doch noch kurz über ihre Kunstkarriere sprechen. Kritiker meinen, Sie hätten die Videokunst vom Format des Bildschirms befreit. Sie arbeiten zum Beispiel viel mit Puppen, Plastiken vom Trödler und Projektoren. Kommt dieser Ansatz aus Ihrer Sozialisierung in den 70er- und 80er-Jahren in der Punk- und New-Wave-Szene New Yorks? Sie hatten ja sogar eine eigene Band.
Oursler: Ich glaube, Künstler haben die Aufgabe, sich mit den Medien ihrer Zeit auseinanderzusetzen und sich diesbezüglich etwas einfallen zu lassen. Meine Generation war die Fernseh-Generation. Die heutige Generation ist die Xbox-Generation - mein Sohn hängt jedenfalls lieber an der Spielkonsole als vor dem TV-Gerät. Diese Medien sind auch Fallen. Um sich von ihnen nicht gänzlich gefangen nehmen zu lassen, sollte man sie gegen den ursprünglichen Gebrauch verwenden. Das ist ein zentrales Thema meiner Kunst. Deshalb wollte ich auch das Fernsehbild aus dem Fernseher herauslösen. Ich wollte Kameratechniken wie Mittelformat, Weitwinkel oder die Totale neu überdenken und nicht allein der Werbung überlassen. Ich musste das also zu meinem Ding machen.
Und genau so war es auch mit der Musik, die ich mit meinen Freunden Mike Kelly oder John Miller machte. Die Frage lautete: Wie können wir sie neu denken und wie können wir sie mit unseren begrenzten Mitteln realisieren? Inspiriert wurde ich von Leuten wie Alan Vega, Jonathan Richman und natürlich David Bowie oder die Band DNA und die Punkszene rund um den CBGB’s Club. Kunst, egal ob Video oder Musik, funktionierte damals nach dem Motto: Do it Yourself! Mach was und brich die Regeln.
Tony Oursler: Das war Davids Idee! Ich hätte das nie getan. Der Clip ist ja nun wirklich kein Film. Und so eitel bin ich auch nicht. Ich glaube, David wollte damit einfach nur Humor beweisen. Auf der anderen Seite war es aber durchaus eine Geste und Verneigung, denn Rockvideos haben normalerweise keine Credits.
Lehner: Sie und David Bowie kennen sich nun schon eine Weile. Was ist denn die Geschichte hinter dem Video? Wie ist denn das zustande gekommen?
Oursler: Vor einigen Monaten klingelte das Telefon. Es war David. Er sagte, ich solle sofort in sein Büro kommen. Ich bin also hin und das Erste, was er machte, war, mir dieses Blatt Papier unter die Nase zu schieben. "Unterschreiben!", befahl er mir. Es war eine schriftliche Vereinbarung, die mich zum Schweigen verpflichtete. Ich dachte: "Interessant!" und unterschrieb. Dann spielte er mir den Song vor. Es war fantastisch, seine Stimme zu hören. Endlich! Ein neuer, wunderbarer Bowie-Song! Nach über zehn Jahren!
Lehner: Wenn Sie sich an den Moment zurückerinnern, an dem Sie den Song zum ersten Mal gehört haben, sind Ihnen da sofort Bilder dazu eingefallen? Wie haben Sie sich künstlerisch kurzgeschlossen?
Oursler: Das lief anders. Da waren zwar Bilder, die kommen bei mir automatisch, aber ich war völlig auf die Musik konzentriert. Dann schlug David vor, das Video zu machen. Und noch ehe ich ein konkretes Bild im Kopf hatte, präsentierte er ein fertiges Konzept. Er hatte eine klare Vorstellung. Er meinte, dass wir Puppen verwenden könnten. Ich zu ihm: "Welche Puppen?" Er zeigte mir daraufhin die zwei Figuren, die ich 1997 für eines meiner Projekte mit ihm gebastelt hatte. Sie befanden sich immer noch in seinem Besitz! Sie waren der Ausgangspunkt für das Video. Dann kamen noch Projektionsflächen hinzu, die die Funktion von Kinoleinwänden übernehmen sollten. Wir arbeiteten mit verschiedenen Schichten von Erinnerung. Darum geht es ja auch in dem Song.
Lehner: Er wollte sozusagen einen typischen "Oursler"?
Oursler: Ja genau! Er hatte eine klare Vision: das Medium YouTube. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung. Die Geheimniskrämerei. Und mein Studio als Bühne für die Inszenierung. Es war wie eine Geburt und mein Atelier war der Kreißsaal. Was für eine wunderbare Sache!
Lehner: David Bowie war noch nie so zerbrechlich wie in Ihrem Video. Er wirkt irdisch und sterblich. Wohin wollten Sie mit dieser Bildersprache?
Oursler: In dem Song überschneiden sich private Erinnerungen mit dem kollektiven Gedächtnis. Die persönliche Geschichte trifft auf die historische, allgemeine. Berlin ist für Bowie eine zentrale Stadt. Hier ist seine berühmte Trilogie entstanden, hier hat er mehrere Jahre gelebt. Seit dem ist viel Zeit vergangen. Die Mauer ist gefallen. Die Stadt, Deutschland, ja ganz Europa hat sich verändert. Und natürlich auch er. Die Zerbrechlichkeit, von der Sie gesprochen haben, resultiert meiner Meinung nach aus der Analogie der geteilten Stadt und der konstanten Fragmentierung der Zeit in ein Gestern, Heute und Morgen. Das macht verletzlich, ist aber auch ein sehr poetischer und schöner Gedanke.
Lehner: Der New Yorker Künstler Tony Oursler im heutigen Corsogespräch. Herr Oursler, was fasziniert Sie an der Erscheinung David Bowies? Sie arbeiten ja sehr viel mit Gesichtern in ihrer Kunst.
Oursler: Ich habe über die Jahre mehrere Theorien zu ihm entwickelt. Als ich David das erste Mal gefilmt habe, war ich geschockt. Ich dachte: "Oh Gott, der sieht ja am Monitor mehr nach Bowie aus als im echten Leben!" Sein Gesicht ist ein Medium. Wir alle wissen, dass es fotogene Menschen gibt und solche, die im Fernsehen einfach hässlich aussehen. Mein Kinn verschwindet zum Beispiel fast zur Gänze. Bei David ist das umgekehrt. Mehr noch: Die Kamera macht ihn nicht nur schöner, er wirkt durch sie einfach kompletter als in der Realität.
Eine der großen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts war die Befreiung des Individuums von den gesellschaftlichen Zwängen. Ab nun war man in der Lage, sich eine eigene Identität zuzulegen. Klassenschranken und Armut konnten überwunden werden, durch Bildung zum Beispiel. David Bowie ist ein Symbol dieser Transformationsprozesse. Er wandelte durch die Zeiten, verformte sich und entwickelte sich ständig weiter. Mich fasziniert dieser Wandel, der nicht zuletzt durch Technologie vorangetrieben wird. Natürlich ist heute das Internet das ultimative Transformationsmedium.
Lehner: Herr Oursler. Lassen Sie uns doch noch kurz über ihre Kunstkarriere sprechen. Kritiker meinen, Sie hätten die Videokunst vom Format des Bildschirms befreit. Sie arbeiten zum Beispiel viel mit Puppen, Plastiken vom Trödler und Projektoren. Kommt dieser Ansatz aus Ihrer Sozialisierung in den 70er- und 80er-Jahren in der Punk- und New-Wave-Szene New Yorks? Sie hatten ja sogar eine eigene Band.
Oursler: Ich glaube, Künstler haben die Aufgabe, sich mit den Medien ihrer Zeit auseinanderzusetzen und sich diesbezüglich etwas einfallen zu lassen. Meine Generation war die Fernseh-Generation. Die heutige Generation ist die Xbox-Generation - mein Sohn hängt jedenfalls lieber an der Spielkonsole als vor dem TV-Gerät. Diese Medien sind auch Fallen. Um sich von ihnen nicht gänzlich gefangen nehmen zu lassen, sollte man sie gegen den ursprünglichen Gebrauch verwenden. Das ist ein zentrales Thema meiner Kunst. Deshalb wollte ich auch das Fernsehbild aus dem Fernseher herauslösen. Ich wollte Kameratechniken wie Mittelformat, Weitwinkel oder die Totale neu überdenken und nicht allein der Werbung überlassen. Ich musste das also zu meinem Ding machen.
Und genau so war es auch mit der Musik, die ich mit meinen Freunden Mike Kelly oder John Miller machte. Die Frage lautete: Wie können wir sie neu denken und wie können wir sie mit unseren begrenzten Mitteln realisieren? Inspiriert wurde ich von Leuten wie Alan Vega, Jonathan Richman und natürlich David Bowie oder die Band DNA und die Punkszene rund um den CBGB’s Club. Kunst, egal ob Video oder Musik, funktionierte damals nach dem Motto: Do it Yourself! Mach was und brich die Regeln.